Ob Kaffeebecher, Verpackungen, Flugzeugflügel oder Smartphones: in den allermeisten Alltagsprodukten stecken heutzutage Klebstoffe, die traditionell ein Leben lang halten sollen. Viele dieser Klebeverbindungen sind mittlerweile so stabil und verbinden unterschiedlichste Werkstoffe. So etwa Glas mit Kunststoff, Holz mit Metall oder Aluminium mit Stahl. Doch so wichtig die Langlebigkeit eines Klebstoffes für die Haltbarkeit eines Produktes auch ist – mitunter kann das zum Problem werden – zumal Klebstoffe oft noch aus erdölbasierten und damit nicht nachwachsenden Rohstoffen bestehen.
Plattformtechnologie für neuartige Klebstoffe
Hier setzt das Projekt electraDetouch an. Mit der Entwicklung eines biohybriden Klebesystems will ein Forschungsteam um Hans Börner von der Humboldt Universität zu Berlin Klebstoffe nachhaltiger und funktionaler machen. Im Fokus steht dabei eine Plattformtechnologie zur Herstellung eines neuartigen Klebstoffs, der überwiegend aus nachwachsenden Rohstoffen besteht und sich auf „Knopfdruck“ entkleben lässt.
Entkleben auf Knopfdruck
Ein Klebstoff, der sich selbst entklebt – das scheint zunächst paradox, ist aber durchaus sinnvoll: „Die Geräte, die man heute kauft, kann man selten selbst reparieren und werden leider oft wegschmissen, obwohl nur Einzelteile ausgetauscht werden müssten. Das liegt auch an der Konstruktion und den Verklebungen“, erklärt Börner. Gemeinsam mit Partnern aus Forschung und Industrie will der Leiter des Lehrstuhls für Organische Synthese funktionaler Systeme an der HU Berlin daher „einen Klebstoff entwickeln, der wenn es notwendig ist, schaltbar seine Klebkraft aufgibt“.
Miesmuschel als Vorbild
Die Technologie des schaltbaren Entklebens steht im Fokus von electraDetouch. Die Grundlage dafür bildet ein Klebstoff, der aus nachhaltigen Bausteinen besteht – aus Aminosäuren, wie sie auch in der Natur vorkommen. Hier ließ sich das Forschungsteam ebenfalls von der Natur inspirieren. „Die Miesmuschel hat ein hervorragendes Klebesystem. Sie nutzt auch Aminosäuren, also Protein-basierte Klebstoffe, die enorm stark und schnell unter sehr widrigen Bedingungen haften. Die Klebfunktion dieses Muschelsystem haben wir jetzt als mögliche elektrisch schaltbare Funktion identifiziert“, erklärt Börner.
Der Einsatz natürlicher Bausteine ermöglich den Forschenden, den Klebstoff in einem wasserbasierten Prozess herzustellen und so das Verfahren nachhaltig zu gestalten. Hierbei werden die Bausteine, die aus Aminosäuren bestehen, mithilfe von Enzymen in einem biotechnologischen Prozess aktiviert, um den Klebstoff aufzubauen. Dafür sind Enzymexperten der Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung in Potsdam verantwortlich. Die aktivierten Aminosäuren nutzt das Team an der HU Berlin wiederum zur Herstellung des Klebstoffes, dessen Eigenschaften und Funktion vom Klebstoffspezialisten Henkel im Projekt untersucht und optimiert werden.
Elektrisches Entkleben am Smartphone-Display demonstrieren
Die Methode des elektrisch schaltbaren Entklebens will das Team übrigens an einem Smartphone demonstrieren. „Wir wollen den Klebstoff nutzen, um ein Display auf den Rahmen zu kleben und dann unter Einfluss von elektrischem Strom wieder zu entfernen. Das Gerät hat sowieso Batterien an Bord, die den Entklebeprozess einleiten können“, erklärt der Forscher.
Das Prinzip: Das Abschalten der Klebeigenschaften übernimmt ein Schalter, der einen elektrischen Impuls auf den Klebstoff leitet. Der Strom wirkt dann auf den Klebstoff ein und schaltet idealerweise die Klebrigkeit komplett ab. Am Smartphone könnte eine versteckte Tastenkombination solch einen elektrischen Schaltimpuls auslösen und die Klebeverbindung zwischen Display und Rahmen lösen. „Das Projektteam schaut genau hin, wie sich die Chemie durch den Strom verändert: was passiert in diesem Klebstoff, welche Änderungen gibt es durch die Einwirkung von Strom, wie kann man am besten den Strom anlegen“, erklärt Börner.
Kleber mit Elektronik gekoppelt
Die Methode des elektrischen Entklebens ist bisher wenig etabliert, obwohl sie viele Vorteile mit sich bringt. Im Vergleich zum thermischen Entkleben, bei dem Schäden durch Hitze entstehen können, ist das elektrische Entkleben, Börner zufolge, viel besser steuerbar. Mit INURU hat das Projektteam ein Start-up an Bord, das seine Expertise im Bereich des sogenannten Smart-Packaging einbringt und den Kleber mit der Elektronik koppeln kann.
Erste Modellversuche erfolgreich
Bis Handynutzer ihr defektes Display dank des biohybriden Klebesystems auf Knopfdruck selbst wechseln können, ist es noch ein weiter Weg. Ein Jahr nach Projektstart kann das Konsortium jedoch bereits erste Erfolge am Modell vorzeigen. „Wir haben die ersten Klebstoffe, die Klebrigkeit- und Haftfähigkeit zeigen, hergestellt, und wir konnten auch schon in einem Modell nachweisen, dass wir die Klebkraft dieser Klebstoffe dramatisch reduzieren können“, berichtet Börner. Konkret konnte die Klebkraft vom 100% auf 10% nach dem Schaltprozess reduziert werden. Zufrieden ist das Berliner Team damit aber noch nicht.
Einsatzmöglichkeiten unbegrenzt
Aktuell sind die Forschenden dabei, die Klebkraft weiter zu steigern, ohne die Abschaltbarkeit zu verlieren und größere Mengen des biohybriden Klebstoffs herzustellen. Langfristig soll das Klebesystem komplett aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen. Doch schon für die biohybride Variante scheint der Einsatz im Smartphone nur eine von vielen Anwendungsmöglichkeiten zu sein. „Durch die Nutzung des Klebstoffes im Bereich des Smart-Packaging könnten sich etwa auch Container mit sensiblen Inhalten wie Medikamentenverpackungen auf Knopfdruck automatisch, beziehungsweise mit Fingerabdruckscan nur von verifizierten Personen kontrolliert öffnen lassen. Die Möglichkeiten sind da nur durch unsere Phantasie begrenzt“, sagt Börner.
Das Projekt electraDetouch wird vom Bundesforschungsministerium im Rahmen der Förderinitiative „Zukunftstechnologien für die industrielle Bioökonomie: Schwerpunkt Bio-hybride Technologien“ von 2021 bis 2024 mit rund 600.000 Euro gefördert.
Autorin: Beatrix Boldt