Spätestens seit der Entdeckung der Großen Atlantischen Müllstrudels ist das Thema Plastikmüll wieder in der öffentlichen Debatte. Seitdem ist klar: Es genügt nicht, in der Herstellung von Kunststoffen Erdöl durch biobasierte Ressourcen zu ersetzen. Das schützt zwar das Klima, aber nicht die Natur. Dazu müssen die biobasierten Kunststoffe zugleich unter Umweltbedingungen biologisch abbaubar sein. Der einzige Kunststoff, der bislang in industrieller Dimension produziert wird und in diese Richtung geht, ist Polyactid (PLA). Doch auch er verrottet nur in industriellen Kompostieranlagen in vernünftiger Zeit. Die Suche nach neuen, besser geeigneten Kunststoffen geht daher weiter. Das Forschungsprojekt PHB2Market hat einen vielversprechenden Kandidaten auf seine Markttauglichkeit geprüft und optimiert.
Zwei PHB-Komposite entwickelt
PHB – mit vollem Namen Polyhydroxybutyrat – ist auf den ersten Blick kein überzeugender Kunststoff. Das Polymer ist zwar biobasiert und gut bioabbaubar. Außerdem verfügt es über eine sehr gute Wärmebeständigkeit von mehr als 100 Grad Celsius, was beispielsweise für Getränkebecher wichtig ist oder für Oberflächen, die längere Zeit der Sonne ausgesetzt sind. Doch PHB ist im unmodifizierten Zustand wenig schlagzäh – also relativ spröde – und verändert seine mechanischen Eigenschaften mit der Zeit. Mit rund 360.000 Euro gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ist daher ein Team unter Leitung des Fraunhofer-Instituts für Chemische Technologie (ICT) angetreten, ein PHB-Komposit zu entwickeln, das die Schwächen von PHB behebt, ohne dessen Stärken zu verlieren. Das Vorhaben lief von Januar 2017 bis April 2020 und resultierte in zwei praxistauglichen Komposit-Formulierungen.
„Wir hatten im Projekt zwei wesentliche Ziele im Fokus“, erläutert Projektleiter Kevin Moser vom ICT: „Die Einbringung eigenentwickelter Weichmachersysteme zur Erhöhung der Schlagzähigkeit sowie die Optimierung der Langzeitstabilität.“ Andere industriell wichtige Eigenschaften wie Festigkeit und E-Modul übertreffen bei PHB bereits die von Polypropylen (PP). Erreichte das Forschungsteam also seine beiden Ziele, läge ein nachhaltiger allgemeinverwendbarer Kunststoff vor, der je nach Zielanwendung weiter individuell modifiziert werden kann – das war von Beginn an die Vision.
3D-Druck-Filamente und eine Frisbee
Erprobt werden sollte die Funktionalität des PHB-Komposits an zwei Praxisanwendungen: der Herstellung einer Frisbee-Scheibe und der von Filamenten für den 3D-Druck von Würfeln oder Zahnrädern. „Die Frisbee ist ein Spritzgießprodukt, muss ausreichend flexibel sein, nicht zu spröde und optisch ansprechend aussehen“, begründet Moser die Wahl.
Natürlich kennen Compoundeure die unterschiedlichen Additive, mit denen ein Kunststoff in seinen Eigenschaften beeinflusst werden kann. Doch die richtige Formulierung ist damit noch längst nicht gefunden: „Wenn Sie einen Weichmacher hinzufügen, um die Schlagzähigkeit zu erhöhen, beeinflusst dieser auch alle anderen Eigenschaften. Das muss man dann ausbalancieren und gegebenenfalls weitere Additive hinzufügen.“ In einen solchen Entwicklungsprozess flössen langjährige Erfahrung, aber eben auch jede Menge Versuche im Technikum mit ein.
Die Projektbeteiligten
- Fraunhofer - Institut für Chemische Technologie ICT
- Biotrend
- IBWCH - Instytut Biopolimerów i Włókien Chemicznych
- ICSO - Instytut Ciężkiej Syntezy Organicznej "Blachownia
- Silesian Polymers
30 unterschiedliche Weichmacher getestet
Mehr als 30 Weichmacher hat das Team im Projektverlauf entwickelt und getestet, bis die gewünschte Schlagzähigkeit erreicht war. Mehr als einhundert Komposite stellten die Fachleute daraus her, um diese anschließend auf deren Langzeitstabilität zu testen. Zunächst wird dazu die Stabilität geprüft und dann nochmals nach einem Monat nachgemessen, wie sich die Werte verändert haben. „Bei PHB sind in dieser Zeit die Veränderungen der mechanischen Eigenschaften am signifikantesten“, erklärt Moser. „Wenn bis dahin nicht viel passiert ist, stehen die Zeichen für eine ausreichende Stabilität und damit einen späteren Einsatz schon mal ganz gut.
Dank langjähriger Erfahrungen mit PHB konnte das Team so manche Herausforderung der Verarbeitung gut meistern. Als schwierig erwies sich vielmehr, die als Weichmacher genutzten modifizierten Fettsäuren richtig zu dosieren, die sich bei Raumtemperatur oft genau am Übergang zwischen ihrem festen und ihrem flüssigen Zustand befinden. „Überrascht hat uns auch, dass wir machen Weichmacher in hoher Konzentration in die Polymermatrix einarbeiten konnten und sich andere schon bei niedriger Konzentration separierten.“ So große Unterschiede habe das Team angesichts der ähnlichen Polarität der Stoffe nicht erwartet.
Hoher Bioanteil beibehalten
Am Ende stand dennoch der Erfolg: Das Projekt konnte eine Formulierung vorweisen, die im Spritzgießverfahren für höherwertige Anwendungen geeignet ist und neben einer hohen Schlagzähigkeit eine ausreichend hohe Festigkeit und E-Modul aufweist – und diese Eigenschaften über die Zeit bewahrt. Für den 3D-Druck konnte eine Formulierung gefunden werden, die trotz der hohen Kristallinität von PHB gut zu verdrucken ist und eine hohe Genauigkeit im Druck besitzt. Ob diese beiden Komposite noch vollständig biologisch abbaubar sind, wurde im Projekt nicht mehr geprüft. „Aber wir haben bei den verwendeten Additiven Wert darauf gelegt, dass sie biobasierten Ursprungs sind“, betont der Projektleiter. „Der Bioanteil war am Ende sehr hoch.“ Außerdem hätten die verwendeten Additive keinen negativen Einfluss auf die Umwelt. „Daher ist das Material vermutlich weiter bioabbaubar und als Thermoplast auch recyclingfähig“, erwartet Moser.
Die entwickelten Komposite haben es zwar bislang nicht in die Praxis geschafft. „Aber wir konnten einige Firmen damit neugierig machen und haben dann für deren Anforderungen PHB-Komposite entwickelt“, berichtet Moser. Am Markt sind diese zwar noch nicht, aber „die Firmen arbeiten daran“.
Autor: Björn Lohmann