Mit Zuckern gegen Pneumokokken impfen
Pneumokokken sind Erreger gefährlicher Lungen- und Hirnhautentzündungen. Potsdamer Chemiker haben erfolgreich einen Impfstoff aus drei Zuckermolekülen synthetisiert.
Bei einer Impfung wird das Immunsystem auf das Auftauchen eines Erregers in der Zukunft trainiert: Strukturen an der Oberfläche der Eindringlinge trimmen die Körperabwehr darauf, bei künftigen Infektionen mit einer effektiven Immunantwort zu begegnen.
Für die Herstellung von Impfstoffe gegen bakterielle Erreger isolieren Pharmaforscher deshalb charakteristische Zuckermoleküle, die in der Hülle von Bakterien sitzen. Jedoch bietet eine Immunisierung durch diese sogenannten Kapselpolysaccharide nicht immer einen vollständigen Schutz vor Infektionen. Denn die Gemische sind nicht gegen alle Subtypen der Bakterien wirksam. Außerdem ist ihre Herstellung teuer und aufwendig, da bei der Isolation der Oberflächenzucker oftmals Verunreinigungen durch Rückstände und veränderte Zuckermoleküle entstehen.
Synthetische Zuckermoleküle als Impfstoff
Eine äußerst vielversprechende Alternative bieten synthetische Zuckermoleküle, die den Oberflächenmolekülen der Bakterien nachempfunden sind. Ein Spezialist für die synthetische Herstellung komplexer Zuckermoleküle, sogenannter Glykane, ist Peter Seeberger, Direktor am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam-Golm.
Unter seiner Leitung hat ein internationales Forscherteam von der Freien Universität Berlin, der Berliner Charité und des Albert Einstein College of Medicine in New York jetzt in einer Reihe von Experimenten die für den Impfschutz gegen das Pneumokokken-Bakterium Streptococcus pneumoniae relevanten Oberflächenmoleküle identifiziert. Die Forscher berichten darüber im Fachjournal „Science Translational Medicine“.
„Synthetische Impfstoffe bedeuten einen Paradigmenwechsel innerhalb der Impfstoffforschung. Sie sind präziser, effektiver und einfacher herzustellen als konventionelle Impfstoffe.“ Seeberger und sein Team konnten bereits Kandidaten-Impfstoffe gegen Malaria, Tuberkulose und andere Erreger synthetisieren. Die Herstellung synthetischer Zuckermoleküle im Labor ist zwar deutlich einfacher als die Isolation konventioneller Impfstoffe aus Bakterien, um sie zu entwickeln, müssen die Forscher jedoch genau wissen, welcher Bestandteil der Bakterienhülle die Immunität gegen den Erreger tatsächlich auslöst.
Ein Dreifachzucker gegen Pneumokokken
Das Pneumokokken-Bakterium vom Serotyp 8, kurz ST8, ist hochvirulent, oftmals antibiotikaresistent, und kann gefährliche Lungen- und Hirnhautentzündungen verursachen. „Die Herstellung konventioneller Impfstoffe gegen ST8 ist schwierig, weshalb die Entwicklung eines synthetischen Impfstoffs einen enormen medizinischen Fortschritt bedeuten würde“, erklärt Seeberger. Die Chemiker fanden sie heraus, dass ein Molekül aus drei bestimmten aneinandergereihten Zuckern bereits ausreicht, um das Immunsystem zur Bildung von Antikörpern gegen das Bakterium anzuregen. Die Wissenschaftler konnten außerdem zeigen, wie sich künftig maßgeschneiderte Impfstoffe einer neuen Generation entwickeln lassen.
Schritt für Schritt zur Immunisierung
Um den Syntheseaufwand für den Impfstoff möglichst gering zu halten, suchten die Forscher in einem ersten Schritt den kleinstmöglichen Zucker, der eine Immunisierung auslöst.
Zu diesem Zweck bildeten die Wissenschaftler mithilfe eines automatisierten Synthese-Verfahrens zunächst eine Reihe unterschiedlicher Zuckermoleküle, die den verschiedenen Teilen des Kapselsaccharids auf dem ST8-Bakterium entsprechen, nach. In einem zweiten Schritt testeten sie, welche dieser Zuckermoleküle von Antikörpern erkannt werden, die auch gegen das ST8 Bakterium wirksam sind. Denn diese Moleküle könnten auch eine Schutzwirkung gegen die Pneumokokken auslösen. Um genau diese Wirkung zu testen, wurden Mäuse mit den Molekülen injiziert. Die Versuche zeigten dass die Tiere, die eine bestimmte Zuckerkombination erhielten, tatsächlich wirksame Antikörper gegen die echten, aus ST8-Bakterien isolierten Kapselpolysaccharide bildeten.
Von Mäusen zu Menschen
Um herauszufinden, welcher spezielle Teil des Kapselsaccharids dafür sorgt, dass das Immunsystem wirksame Antikörper bildet, analysierten die Forscher das Bindungsverhalten der Antikörper genauer. So zeigten sie letztlich, dass ein Dreifachzucker aus zwei Glucose- und einem Galactosemolekül die schützende Immunantwort vermittelt. Benachbarte Bereiche des Kapselsaccharids bewirkten dagegen keine schützende Immunantwort.
Die Wissenschaftler haben den synthetischen Zuckerimpfstoff zu dem gängigen Pneumokokken-Impfstoff Prevnar 13 hinzugefügt, und dadurch erreicht, dass sich dessen Wirkungsspektrum von 13 auf 14 Serotypen ausgeweitet hat – die geimpften Tiere waren jetzt zusätzlich auch gegen den gefährlichen ST8-Erreger immun.Die Forscher planen, den Impfstoff zusammen mit der Vaxxilon AG für die Anwendung am Menschen weiterzuentwickeln.
jmr