Mit modularer Bioraffinerie zum Wasserstoff

Mit modularer Bioraffinerie zum Wasserstoff

Am Evonik-Standort in Rheinfelden ist der Testbetrieb für eine modulare Bioraffinerie angelaufen. Fraunhofer-Forschende erproben hier, wie aus industriellen Reststoffen und Abwässern mithilfe von Bakterien und Algen Biowasserstoff und Chemikalien entstehen können.

Standortleiter Hermann Becker (Evonik) im Gepräch mit Projektkoordinatorin Dr.-Ing. Ursula Schließmann (Fraunhofer IGB) vor der Bioraffinerie.
Evonik-Standortleiter Hermann Becker und Projektkoordinatorin Ursula Schließmann vom Fraunhofer IGB vor der Bioraffinerie

Die Demonstrationsanlage vom Projekt SmartBioH2-BW gehört zu insgesamt fünf Bioraffinerie-Vorhaben, die das Land Baden-Württemberg im Rahmen des Förderprogramms „Bioökonomie – Bioraffinerien zur Gewinnung von Rohstoffen aus Abfall und Abwasser – Bio-Ab-Cycling“ seit 2021 mit mehreren Millionen Euro unterstützt. Zentrales Anliegen ist dabei, regionale Rohstoffreserven zu erschließen und nutzbar zu machen. Abwasser und Abfälle aus der Industrie werden bisher selten als Ressource verwendet. Am Industriestandort von Evonik in Rheinfelden werden Forschende vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB nun demonstrieren, wie dieses Potenzial mithilfe biotechnologischer Verfahren genutzt werden kann.

Bioraffinerie koppelt zwei biotechnologische Verfahren

In Anwesenheit von Andre Baumann, Staatssekretär im baden-württembergischen Umweltministerium, ist am 3. August der Testbetrieb für die vom Fraunhofer IGB entwickelte modulare Bioraffinerie angelaufen. Die Anlage befindet sich auf dem Gelände von Evonik. Das Unternehmen ist auf die Herstellung von Spezialchemikalien fokussiert und am Projekt beteiligt.  Am Standort in Rheinfelden wird unter anderem Wasserstoffperoxid produziert, das als Desinfektionsmittel eingesetzt wird. Statt den Wasserstoff wie bisher aus Erdgas zu produzieren, will Evonik den Rohstoff künftig aus nachhaltigen Quellen gewinnen.

„Der Standort von Evonik in Rheinfelden hat sich auf die Fahne geschrieben, die grüne Transformation unserer Branche voranzutreiben“, so Hermann Becker, Standortleiter von Evonik. „Mit dem gemeinsamen Forschungsprojekt und der zukunftsweisenden Pilotanlage wollen wir zeigen, wie das im Sinne der Kreislaufwirtschaft gehen kann – sauberer Wasserstoff, gewonnen aus Spülwasser und Reststoffen ist eine Win-win-win-Situation für die Umwelt, die Chemieindustrie und die Wissenschaft.“

Die vom IGB entwickelte modulare Bioraffinerie besteht aus zwei gekoppelten Verfahrensmodulen zur biotechnologischen Produktion von Wasserstoff: der fermentativen Dunkelphotosynthese durch Purpurbakterien und einem zweistufigen Prozess mit Mikroalgen. „Durch die intelligente Kopplung dieser beiden Verfahren zu einem kombinierten Bioraffinerie-Konzept wird es möglich, industrielle feste und flüssige Reststoffströme, die in der Produktion am Standort anfallen und bisher teuer als Abfall und Abwasser entsorgt werden mussten, effizient und ohne Emissionen als Rohstoffe zu nutzen, um daraus den Zukunftsenergieträger Wasserstoff und weitere wertschöpfende biobasierte Produkte herzustellen“, erläutert Ursula Schließmann, stellvertretende Institutsleiterin des Fraunhofer IGB und Koordinatorin des Projekts.

Bakterien nutzen Ethanol aus Spülwasser als Kohlenstoffquelle

In einem ersten Schritt werden mittels der Dunkelphotosynthese vom Purpurbakterium Rhodospirillum rubrum ohne Licht aus verschiedenen Kohlenstoffsubstraten Wasserstoff erzeugt. Am Industriestandort von Evonik dient den Purpurbakterien demnach Ethanol aus dem Spülwasser als Kohlenstoffsubstrat und Energiequelle. Unter entsprechenden Bedingungen produziert das Bakterium aber nicht nur Wasserstoff, sondern auch weitere wertvolle Produkte wie Carotinoide, fettlösliche Pigmente beispielsweise für die Kosmetik oder den Biokunststoff Polyhydroxyalkanoat (PHA) – sowie Kohlenstoffdioxid (CO₂) als Nebenprodukt. „Da die wasserstoffproduzierenden Enzyme der Purpurbakterien sehr sauerstoffempfindlich sind, ist die präzise Kontrolle des Sauerstoffgehalts bei der Fermentation eine Herausforderung im Betrieb“, ergänzt Susanne Zibek, Leiterin der Bioprozessentwicklung am Fraunhofer IGB.

In einem zweiten Schritt wird das Kohlenstoffdioxid (CO₂) an die angekoppelte Mikroalgenanlage weitergeleitet. Dort wird es von den Mikroalgen für den Aufbau von Biomasse oder Speicherprodukten genutzt und damit nicht in die Atmosphäre abgegeben. Konkret werden in der Demonstrationsanlage Mikroalgen der Art Chlorella sorokiniana in einem mittels LED beleuchteten kompakten Photobioreaktor kultiviert. In diesem Verfahren stellen die Mikroalgen aus dem anfallenden CO₂ Stärke her. Die benötigten Nährstoffe stammen wiederum aus einem zweiten in Rheinfelden, diesmal in fester Form anfallenden Reststoffstrom: Ammoniumchlorid.

Höhere Biowasserstoff-Ausbeute durch neuen Photobioreaktor

Forschende vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung haben im Rahmen des Projektes ein Prozessmodell erstellt, das die wichtigsten Inputs und Outputs des gesamten Bioraffinerie-Konzepts vorhersagen kann. „Auf Basis der praktischen Erfahrungen können wir anschließend ermitteln, ob sich eine Anlage im industriellen Maßstab auch wirtschaftlich rentieren würde. Wichtig ist dabei, dass wir einen hohen Grad an Automatisierung vorgesehen haben, um die Ausbeute der Anlage zu verbessern“, so Schließmann. Um die Gesamtausbeute an Biowasserstoff noch zu steigern, wollen die Forschenden als Nächstes einen neu entwickelten Photobioreaktortyp in die modulare Bioraffinerie integrieren.

bb