Auf dem Weg zur Insekten-Bioraffinerie

Auf dem Weg zur Insekten-Bioraffinerie

Am Fraunhofer IGB in Stuttgart entsteht bis 2024 eine Insekten-Bioraffinerie-Pilotanlage. Hier werden erstmals Insektenlarven auf Bioabfällen gezüchtet und aus den Abfallströmen Proteine, Fette und Chitosan gewonnen.

Die Häute der Larven enthalten Chitin, das in InBiRa extrahiert und in wertvolles Chitosan umgewandelt wird.
Die Häute der Larven enthalten Chitin, das in InBiRa extrahiert und in wertvolles Chitosan umgewandelt wird.

Insekten werden in der EU seit Längerem kommerziell gezüchtet. Ein beliebter Kandidat ist die Schwarze Soldatenfliege. Sie ist längst als wertvoller Baustein einer biobasierten Kreislaufwirtschaft identifiziert: Die Larven von Hermetia illucens sind nicht nur reich an Proteinen und Fetten. Sie können vor allem große Mengen an Rest- und Abfallstoffen als Futter verwerten. Das Mehl der Insekten selbst dient wiederum als Futtermittelzusatz und Sojaersatz in der Tierhaltung. Eine komplett neue Verwertung aller organischer Reststoffe im Sinne der Kreislaufwirtschaft strebt das Verbundprojekt InBiRa mit dem Bau einer Insekten‑Bioraffinerie-Pilotanlage an.

Insektenlarven auf Abfallströmen züchten

„Mit InBiRa planen und bauen wir erstmals eine Insekten‑Bioraffinerie‑Pilotanlage, um Insektenlarven auf Abfallstoffen zu züchten und daraus im großen Maßstab sekundäre Rohstoffe zu gewinnen, die sich dann in hochwertige chemische Produkte umwandeln lassen“, erklärt Susanne Zibek, Projektleiterin am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB. „Der Anlagenkomplex umfasst die Abfall- und Reststromaufbereitung, die Insektenlarvenmast, die Primärraffination zur Trennung und Aufarbeitung der Biomasse in hochreine Fraktionen von Proteinen und Fetten sowie eine Sekundärraffination dieser Stofffraktionen“.
 
Auch sämtliche bei der Insektenlarvenherstellung anfallenden Reststoffe sollen in der Bioraffinerie auf ihre Verwertungsmöglichkeiten – stofflich und energetisch – untersucht werden. Dazu zählen nicht verwertetes Restfutter, das vor allem aus pflanzlicher Cellulose besteht, die Exuvien, die bei der Häutung der Larven beim Übergang ins nächste Larvenstadium abgeworfen werden, sowie die Exkremente der Insekten. „Diese drei Stoffströme setzen wir in der zweiten Raffineriestufe mittels chemischer oder biotechnologischer Verfahren zu wertvollen Grundbausteinen und Zwischenprodukten um, die schließlich in Kraftstoffen, Kosmetika, Reinigungsmitteln, Kunststoffen und Pflanzendüngern eingesetzt werden können“, so Zibek.

Proteine, Fette und Chitin gewinnen

Überlagerte Lebensmittel und Bioabfälle aus Einzelhandel, Gastronomie und Kantinen dienen im Projekt den Larven der schwarzen Soldatenfliege als Futter und verwandeln diese während ihres Wachstums in Proteine, Fette und Chitin um. In der Bioraffinerie wird diese Biomasse schließlich nach Inaktivierung der Larven in Fett- und Proteinbestandteile aufgetrennt und kann später als Ausgangsstoff für eine Vielzahl hochwertiger Produkte genutzt werden.
 
Mit der Fütterung der Insekten mit Bioabfällen betritt das Projekt jedoch Neuland. Denn bisher gibt es keine entsprechende Prozesskette, die organische Restströme und Abfälle so aufbereitet und zusammenstellt, dass eine Larvenkultivierung möglich ist. Im Projekt wird daher auch untersucht, inwiefern Lebensmittelabfälle tatsächlich als zukunftsweisendes Futtermittel für die Larvenzucht etabliert werden können.

Optimale Futtermischung für Larven ausloten

Am Projekt beteiligt ist unteranderem auch der Insektenzucht- Spezialist, die Hermetia Baruth GmbH. Sie wird untersuchen, wie gut die Larven mit den bereitgestellten Futtermischungen wachsen. Das Team ist überzeugt, dass die Hälfte aller in der EU anfallenden Bioabfälle für die Umsetzung durch die Schwarze Soldatenfliege geeignet ist. „Die Insektenbiotechnologie kann helfen, diese Abfälle sinnvoll zu nutzen“, so Kirsten Katz von der Hermetia Baruth GmbH. Das Unternehmen bringt zudem seine Expertise bei der Etablierung der mehrstufigen Primärraffination zur Aufarbeitung der Insekten ein.

Bioraffinerie-Tour-Slider

Multimedia-Story: Entdeckungstour durch eine Bioraffinerie

Die neue Multimedia-Story macht anschaulich, was eine Bioraffinerie ist und was in ihrem Inneren vor sich geht. Unter anderem geht es auch um die Lignocellulose-Bioraffinerie von Clariant.

Mit der Verwertung der Insektenfette wollen die Forschenden zugleich eine Alternative zu tropischen Fetten wie Palmkern- und Kokosöl etablieren. Die Fettanteile lassen sich etwa zu Schmierstoffen, Kraftstoffen, Biotensiden oder Seifen umsetzen. Die Proteinanteile können hingegen zur Herstellung von Holzklebstoffen, Kosmetika, Bindemitteln, Papierbeschichtungen oder Verpackungsfolien eingesetzt werden. Aus den chitinhaltigen Puppenhüllen, Larvenhäuten und erwachsenen Fliegen soll wiederum hochwertiges Chitosan extrahiert werden, das sowohl in der Textilindustrie als auch in der Abwasseraufbereitung Verwendung finden kann. Schließlich wird untersucht, wie sich aus den Restsubstraten Dünger oder Biogas herstellen lassen.

Bioraffinerie-Prozess wird kontinuierlich optimiert

Am Ende der Projektlaufzeit wollen die Forschenden ein optimiertes Produktionssystem für die Insekten-Bioraffinerie präsentieren, das sich auch wirtschaftlich rentiert. Das Produktions- und Verwertungssystem soll daher in den drei Jahren regelmäßig bewertet werden. Das Projekt InBiRa ist im Oktober 2021 gestartet und wird bis März 2024 durch die EU und das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg im Rahmen des EFRE‑Förderprogramms „Bioökonomie – Bioraffinerien zur Gewinnung von Rohstoffen aus Abfall und Abwasser – Bio-Ab‑Cycling“ gefördert.

Das Vorhaben wir vom Fraunhofer IGB koordiniert. Daran beteiligt sind: die Universität Stuttgart, das Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu), die Hermetia Baruth GmbH, die Landesgesellschaft BIOPRO Baden‑Württemberg (BIOPRO) und die PreZero Stiftung & Co. KG.

bb