Halle: Mit Bioökonomie krisenfester werden

Halle: Mit Bioökonomie krisenfester werden

Auf der International Bioeconomy Conference in Halle stand das Potenzial der Bioökonomie in Zeiten von Klimakrise und Ukraine-Krieg im Mittelpunkt. Das Bundeswirtschaftsministerium hatte erstmals die Schirmherrschaft übernommen.

Forumsdiskussion bei der International Bioeconomy Conference in Halle

Die International Bioeconomy Conference ist jährlicher Treffpunkt für Entscheider aus internationalen Konzernen und Gründerinnen und Gründer von erfolgreichen Start-ups sowie Akteuren aus Wissenschaft und Politik. Rund 120 Teilnehmende hatte die zehnte Ausgabe der Konferenz vom 18. und 19. Mai in die Räume der Leopoldina in Halle (Saale) gelockt. Veranstaltet vom Cluster BioEconomy e.V. und vom Science Campus „Pflanzenbasierte Bioökonomie“ in Halle wartete die Konferenz auch in diesem Jahr mit einem interessanten Vortragsprogramm auf. Erstmals stand die Veranstaltung unter der Schirmherrschaft des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK).

Moderiert wurden das Konferenzprogramm an beiden Tagen von Michael Carl. Der Vorstandsvorsitzende des Clusters BioEconomy, Joachim Schulze, sagte zur Eröffnung: „Wir haben große Potenziale in Sachsen-Anhalt und in anderen Bundesländern, ich möchte diese Chancen als Antworten auf viele Zukunftsfragen, national enger verbinden.“

Nutzpflanzen und Modellregionen

Aus Brüssel war Peter Wehrheim, bei der EU-Kommission Head of Bioeconomy & Food Systems, gekommen. Er sprach über die Bedeutung der Bioökonomie für den European Green Deal als nachhaltige Wachstumsstrategie. Er ging auch auf akute Herausforderungen ein, wie die Unabhängigkeit von Gas aus Russland. Ein Fokusthema am ersten Tag war der Anbau von Nutzpflanzen und wie diese besser an die Folgen des Klimawandels angepasst werden können. Philip Rose vom Start-up ROKO Farming stellte Vertical Farming als Zukunftskonzept vor. Robert Hoffie vom IPK Gatersleben ging auf die Bedeutung molekularer Werkzeuge für die Pflanzenzüchtung – wie die Genschere CRISPR-Cas – ein.

Bioökonomie kann auch wichtiger Impulsgeber für den regionalen Strukturwandel sein: Ulrich Schurr, Direktor des Instituts für Pflanzenwissenschaften am Forschungszentrum Jülich, stellte die vielfältigen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in der Modellregion Bioökonomie im Rheinischen Revier vor.

Innovationen aus Reststoffen und alternative Proteine

Bioökonomie-Innovationen aus Reststoffen wie Stroh – etwa für die Biomethanherstellung (Verbio AG) oder als Styropor-Ersatz in Verpackungen (Landpack GmbH) – standen im Mittelpunkt einer weiteren Session. Ein boomendes Feld in der Ernährungsindustrie sind alternative Quellen für Proteine sowie zellbasierte Ansätze für die Lebensmittel-Produktion. Kultivierter Fisch, Lupinenprotein und Fleisch aus dem Bioreaktor – diese Entwicklungen wurden in Halle diskutiert.

Den abendliche Keynote-Vortrag hielt Klimafolgenforscher Hans Joachim Schellnhuber, Vordenker und emeritierter Gründungsdirektor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Natürlich ging es auch in seinem Vortrag um die Klimakrise – als Herausforderung und Treiber der Bioökonomie. Neben der Darstellung der bedrohlichen Szenarien äußerte Schellnhuber auch Optimismus im Kampf gegen den Klimawandel: Er zählt die Photovoltaik zu den effektivsten regenerative Energien. „Wir müssen aufhören, unseren einzigen Verbündeten zu bekämpfen: die Biosphäre“, sagte er. Wichtig sei es, CO2 aus der Atmosphäre zu holen. Aber CCU ist Tropfen auf heißen Stein. Stattdessen plädierte Schellnhuber für Aufforstung als wichtige Maßnahme. Beim Thema Einsparen von CO2-Emissionen lenkte er den Blick auf den Städtebau als „Elefant im Raum“: „Hier werden sehr viel Klimagase ausgestoßen und es gibt großes Potenzial für Verbesserungen – etwa durch Holzbau, der als Kohlenstoffsenke dient.

Plenum der International Bioeconomy Conference Halle 2022

Die Folgen des Ukraine-Krieges im Blick

Auch am zweiten Tag war der Krieg in der Ukraine Thema in Halle: Alfons Balmann, Direktor am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO), beleuchtete in seinem Vortag am Donnerstagvormittag, wie sich die Ausfälle in der Nutzpflanzen-Produktion in der Ukraine und in Russland auf die deutsche Bioökonomie auswirken. Die Kriegsfront verlaufe unter anderem durch die Getreideanbau-Regionen im Nordosten der Ukraine. „Das größte Problem aber ist die Logistik und die zerstörte Infrastruktur“, sagte Balmann. Wegen blockierter Häfen müsste der Transport auf die Schiene verlegt werden und das sei teuer. „Zusammen mit den Folgen der Corona-Pandemie ergeben sich insgesamt erhebliche zusätzliche Belastungen für Konsumenten, Steuerzahler und Staatshaushalt“, sagte Balmann.

Der Ukraine-Krieg habe wieder verstärkt ins Bewusstsein gerückt, dass die Ernährungssicherung die grundlegende Funktion der Landwirtschaft sei. Eine solche Landwirtschaft berge aber eben auch enorme Zielkonflikte, etwa zwischen Biodiversitätsschutz, Tier- und Klima- und Umweltschutz. Als wichtige Treiber eines nachhaltigen Wandels der Landwirtschaft bezeichnete der Ökonom die Digitalisierung und die Biotechnologie.

Um das Potenzial der Bioökonomie bei der Bewältigung diverser Krisen ging es in einer Forumsdebatte. Michael Kellner, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) war dazu aus Berlin zugeschaltet. „Bei meiner Reise vor einigen Tagen an den Chemiestandort Leuna habe ich die Zukunft gesehen“, sagte Kellner und spielte auf die Holz-Bioraffinerie an, die der finnische Konzern UPM derzeit baut. Kellner nannte mehrere Punkte, wie die industrielle Bioökonomie aus Sicht des Bundeswirtschaftsministeriums weiter gestärkt werden soll. „Wir müssen Forschungsideen besser in den industriellen Maßstab umsetzen, dafür brauchen wir auch eine verstärkte Wachstumsfinanzierung und Investitionsförderung“, sagte er. Mit der Dialogplattform Industrielle Bioökonomie arbeite man gemeinsam an Lösungen.

Derzeit sei das BMWK zudem dabei, mit dem Bundeslandwirtschaftsministerium eine nationale Biomassestrategie zu erarbeiten. „Wichtig ist uns hier: Biomasse für den Teller hat Vorrang. Und die hochwertige stoffliche Nutzung hat Vorrang vor der energetischen Nutzung“, sagte Kellner. Auch neue Produktionstechnologien auf der Basis von Pilzen, Algen und Insekten müssten auf erneuerbaren Energien basieren.

Kreislaufbasierte Biotechnologie und Chemie

Neue Ressourcen für eine biobasierte Kreislaufwirtschaft standen im folgenden Panel im Mittelpunkt. Thomas Brück ist an der TU München Professor für synthetische Biotechnologie und Mitglied im Bioökonomierat. In Halle sprach er darüber, wie sein Team eine zirkuläre Biotechnologie realisieren will. Hier nutzt er altes Brot als Ressource für die biotechnologische Produktion von mikrobiellen Ölen. „Wir verflüssigen das Brot mithilfe von Enzymen und verwenden die entstandenen Zucker als Substrat für Hefen als Ölfabriken“, sagte Brück. Das Einzelleröl sei ein Äquivalent zum Palmöl. „Das kann wiederum zum Backen oder zur Herstellung von Margarine genutzt werden“, sagte er. Um Kreisläufe zu realisieren, müsse man in modularen Lösungen denken, so Brück.

Lars Börger vom finnischen Konzern Neste erläuterte, wie das global agierende Chemie-Unternehmen alternative Kohlenstoffquellen erschließt. „Da Kohlenstoff in Chemikalien und Materialien steckt, kann die Chemische Industrie nicht dekarbonisiert werden“, betonte er. Um trotzdem von fossilen Ressourcen wegzukommen, setze die Industrie entweder auf Recycling, auf CO2 oder auf Biomasse als erneuerbare Kohlenstoffquelle.

Neste sammelt dazu gebrauchtes Speiseöl – etwa Frittierfett – im großen Stil in Restaurants oder in Stadien ein und nutzt es als Rohstoff für erneuerbaren Diesel, nachhaltiges Kerosin oder für erneuerbare Polymere. Derzeit würden an mehreren Standorten weltweit Kapazitäten zur Verarbeitung von 5,5 Millionen Tonnen Alt-Speiseöl jährlich aufgebaut. „Wir setzen dabei auf Drop-in-Lösungen und neue Formen der Zusammenarbeit in der Wertschöpfungskette“, sagte Börger in Halle.

Die Zukunft der Bioökonomie: Im großen Maßstab denken

In der abschließenden Diskussionsrunde loteten Akteure aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft aus, was die Bioökonomie für die Zukunft benötigt. Friedrich Gröteke, Referatsleiter Bioökonomie beim BMWK, erläuterte, man setze besonders darauf, wie Ergebnisse aus der starken hiesigen Bioökonomie-Forschung in die industrielle Anwendung gebracht werden können. Dazu zählte er die öffentliche Förderung von Demonstrationsanlagen. Von der Dialogplattform Industrielle Bioökonomie wurde zudem eine Online-Landkarte mit Best-Practice-Beispielen erarbeitet, die auf der Hannover Messe in der kommenden Woche vorgestellt werden soll.

Klaus Pellengahr ist Geschäftsführer der Corden BioChem GmbH mit Sitz im Industriepark Hoechst in Frankfurt am Main. Als Auftragshersteller für biotechnologische Produkte betreibe sein Unternehmen „quantitative Bioökonomie“, also biotechnologische Produktion im Großmaßstab in Bioreaktoren mit einem Fassungsvermögen von bis zu 120.000 Litern. „Nur 20 % unserer Kunden stammen aus Europa“, sagte er. Europäische Start-ups in der industriellen Biotechnologie würden im globalen Vergleich abgehängt. Das liege an zu langen Zulassungsvorgängen und einem großen bürokratischen Aufwand. „Im Riesenmaßstab wird nicht gedacht“, sagte er. Michael Duetsch von der UPM Biochemical GmbH betonte: „Wir müssen weg von den Spezialprodukten hin zu einer Massenproduktion kommen.“ Mit Blick auf die Rahmenbedingungen wünschte er sich Verlässlichkeit und Bestandsschutz. Denn technische Produktionsanlagen für die nachhaltige Bioökonomie-Produktion würden für einen Betrieb von 30 bis 40 Jahren gebaut.

pg/mr