Die Vereinten Nationen haben im Jahr 2015 mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung die UN-Nachhaltigkeitsziele beschlossen. Sie formuliert insgesamt 17 Leitziele und adressiert die wichtigsten ökologischen, ökonomischen und sozialen Herausforderungen. Viele dieser Sustainable Development Goals – kurz SDGs – sind für die Bioökonomie relevant. Sie reichen vom Kampf gegen Hunger über Nachhaltigkeit in Produktion und Konsum bis hin zu Klimaschutzmaßnahmen. Mit der Nationalen Bioökonomiestrategie und der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie hat die Bundesregierung auch hierzulande das biobasierte und nachhaltige Wirtschaften auf die politische Agenda gesetzt und Maßnahmen formuliert, die zum Erreichen der UN-Nachhaltigkeitsziele beitragen können.
Im Fokus des bioökonomischen Wandels stehen vor allem biogene Roh- und Reststoffe. Sie sollen fossile und umweltschädliche Rohstoffe wie Erdöl in Produkten, Verfahren, Dienstleistungen und bei der Energieerzeugung ersetzen. Doch gerade die zunehmende Nutzung von Biomasse könnte zu Konflikten führen, wie einst die Tank-Teller-Debatte bei der Einführung von Biosprit gezeigt hat. „Wir wollen uns von den fossilen Rohstoffen unabhängig machen, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren und die Klimaziele zu erreichen. Aber man muss auch evaluieren, mit was für Rückkopplungseffekten wir rechnen können. Erst wenn man weiß, was passiert, kann man auch Maßnahmen ergreifen, um solche Zielkonflikte zu vermeiden oder zu lösen“, sagt Tobias Heimann vom Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel).
Zielkonflikte analysieren
Heimann koordiniert seit April 2020 das Verbundprojekt BIOSDG. Darin untersuchen Forschende, welchen konkreten Beitrag die Transformation zur Bioökonomie zur Erreichung der UN-Nachhaltigkeitsziele leisten kann und welche Zielkonflikte sich zwischen den Zielen der Bioökonomie und den einzelnen SDGs ergeben können. Das über drei Jahre laufende Vorhaben wird vom Bundesforschungsministerium mit insgesamt 955.836,00 Euro gefördert. Daran beteiligt sind auch das Department für Geographie der Ludwig-Maximilians-Universität München und das Thünen-Institut für Waldwirtschaft in Hamburg.
Rückkopplungseffekte erkennen
„Wir konzentrieren uns hier auf die Bioenergie, aber auch auf die stoffliche Nutzung von Biomasse, und werden im Laufe des Projektes evaluieren, welche Auswirkungen der Bioökonomie auf die SDGs wir quantifizieren können“, so Heimann. Bei der stofflichen Nutzung wollen die Forschenden vor allem den Rohstoff Holz ins Visier nehmen. Schwerpunkt im Projekt ist jedoch BECCS (Bioenergy with Carbon Capture and Storage). Die Erzeugung von Bioenergie mit anschließender Kohlenstoffspeicherung zielt darauf ab, dass das bei der Erzeugung von Bioenergie ausgestoßene Klimagas CO2 abgefangen und gespeichert wird, und damit sogenannte negative Emissionen entstehen. Diese negativen Emissionen spielen in den Szenarien des Weltklimarates eine entscheidende Rolle und sind daher ausschlaggebend für die Arbeit der Forschungsgruppe. „85 % der vom Weltklimarat IPCC untersuchten Szenarien zum Erreichen des Zwei-Grad-Ziels gehen davon aus, dass solche negativen Emissionstechnologien zum Einsatz kommen müssten“, erklärt Heimann. „Aber man weiß noch viel zu wenig über die Rückkopplungseffekte, die es geben könnte, wenn man BECCS einbindet.“
Energieerzeugung mit BECCS im Fokus
Genau das will das Team im Projekt herausfinden. Denn auch bei der Energieerzeugung mit BECCS wird Biomasse eingesetzt - etwa Holz oder Feldfrüchte wie Mais. Was also passiert, wenn künftig BECCS im größeren Stil zum Einsatz kommt? Mehrere Szenarien des Weltklimarates von 2014 rechnen immerhin mit einem globalen Primärenergieanteil aus BECCS von 20% im Jahr 2100. „Wenn man den nationalen Akademien der Wissenschaften in den USA folgt, bedeuteten 20 % Primärenergieanteil für Bioenergie, gerechnet für das Jahr 2010, dass man ungefähr 100 Exajoule Energie pro Jahr (EJ/yr) aus Biomasse produzieren muss, und dazu braucht man ungefähr 5 % der heutigen Ackerfläche“, erläutert Heimann. Der globale Energiebedarf wird aber bereits auf Grund der wachsenden Weltbevölkerung bis 2100 voraussichtlich noch deutlich ansteigen. „Land ist aber ohnehin ein sehr knappes Gut und soll nicht nur für BECCS, sondern auch für andere Produkte der Bioökonomie zur Verfügung stehen, wie für die stoffliche Nutzung oder die Nahrungsmittelproduktion. Auch zum Wohnen brauchen wir Land und für den Erhalt der Biodiversität“, so Heimann.
Auf den ersten Blick scheinen die Konflikte im Zusammenhang mit BECCS vorprogrammiert. Ob das tatsächlich der Fall ist und welche nationalen und globalen Effekte die Folge wären, gilt es im Projekt herausfinden. „Wir fokussieren uns hier darauf, welche Rolle die zunehmend knappe Ressource Land in diesem Zielkonflikt spielt. Dabei schauen wir uns vor allem an, welche Synergien und Zielkonflikte es zwischen Bioökonomie und Klimapolitik gibt und welche Rückkopplungseffekte diese auf Landnutzung, Ernährungssicherheit und Biodiversität haben“.
Verschiedene Modelle und Zukunftsszenarien
Um die Zielkonflikte im Zusammenhang mit BECCS aufzuzeigen, wollen die Forschenden verschiedene ökonomische und biophysikalische Modelle miteinander koppeln und auch unterschiedliche Zukunftsszenarien modellieren. Bei den Modellen handelt es sich um das globale allgemeine Gleichgewichtsmodell DART-BIO des IfW Kiel, das Pflanzenwachstumsmodel PROMET der LMU und das globale Forstmarktmodel GFPM des Thünen-Instituts.
„Das allgemeine Gleichgewichtsmodell DART-BIO ist ein Modell mit einem globalen Horizont, in dem man die globalen ökonomischen Auswirkungen nachvollziehen kann“, so Heimann. Hier kann auf Grundlage einer globalen Datenbasis beobachtet werden, wie sich Politikmaßnahmen auf eine Ökonomie auswirken. Im Vorgängerprojekt BIONEX zeigte sich beispielsweise, dass in Europa mehr Raps für die Biodieselproduktion verwendet wird, wenn in der EU kein Biodiesel aus Palmöl mehr verwendet werden darf, wie in der aktuellen EU-Richtlinie für erneuerbare Energien (RED II) vorgesehen. „Mit dem Gleichgewichtsmodell können wir diese Rückkopplungseffekte analysieren. Während in Europa in diesem Fall deutlich mehr Raps angebaut wird, exportieren Indonesien und Malaysia Palmöl vermehrt in andere Regionen, und der Palmfruchtanbau verringert sich nur geringfügig. Güter werden über den globalen Handel umverteilt“, erläutert Heimann.
Mit dem biophysikalischen Pflanzenwachstumsmodell PROMET können die Münchner Kollegen hingegen nachvollziehen, wie sich Erträge unter verschiedenen Klimaszenarien entwickeln und wo der Anbau welcher Frucht welche Erträge bringt. Dabei wird ein neuentwickeltes Verfahren angewandt, das es ermöglicht, global die landwirtschaftliche Eignung von Flächen präziser als bisher zu erfassen. So werden bei der Berechnung der Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft nicht nur Emissionen berücksichtigt, die bei der Bewirtschaftung der Flächen anfallen. Auch Emissionen durch Landnutzungsänderungen – etwa durch die Umwandlung von Gras- in Ackerland – spielen eine Rolle. Das GFPM- Modell vom Thünen-Institut ist ein partielles Gleichgewichtsmodell für den Forstsektor und kann Forstangebot und -nachfrage modellieren.
Online-Expertenumfrage liefert Datenbasis
In einem ersten Schritt mussten die Forschenden jedoch die Datenbasis der Modelle auf den aktuellen Stand bringen. „Um BECCS über DART-BIO abzubilden, mussten wir erstmal Informationen generieren. Die haben wir in Form einer globalen Online-Expertenumfrage eingeholt. Hier ging es sowohl um potenzielle technologische Erwartungen als auch darum, was die Experten von der Politik zum Thema BECCS erwarten“, berichtet Heimann. „Hier zeigte sich, dass neben Wäldern auch bisher nur kaum verbreitete Kurzumtriebsplantagen erwartete Lieferanten von Holzrohstoffen für BECCS sind.“. „Momentan schauen wir, wie wir diese Informationen in unser Modell einbinden können.“
Entwicklung eines SDG-Tools geplant
Welche Effekte die Anwendung von BECCS auf globale Märkte und Landnutzung konkret mit sich bringt, wird erst die Kopplung der drei Modelle sichtbar machen. Dann erst können die Forschenden auch sagen, auf welche SDGs konkret BECCS Einfluss haben wird. Diese Aussagen sind dann wiederum die Basis für ein SDG-Tool, das im Rahmen des Projektes ebenfalls entwickelt werden soll. „Ich hoffe, dass wir am Ende sagen können, inwiefern BECCS tatsächlich eine nachhaltige Technologie ist, auf die man sich in der Klimapolitik verlassen kann, und was für negative Emissionspotenziale unter welchen Umständen realisiert werden können.“
Autorin: Beatrix Boldt