„Eine Bioökonomie, in der wir alle aktiv sind“

„Eine Bioökonomie, in der wir alle aktiv sind“

Uwe R. Fritsche

Beruf:
Physiker, Nachhaltigkeitsanalyst

Position:
Wissenschaftlicher Leiter des Internationalen Instituts für Nachhaltigskeitsanalysen und -strategien (IINAS)

Uwe Fritsche IINAS
Vorname
Uwe R.
Nachname
Fritsche

Beruf:
Physiker, Nachhaltigkeitsanalyst

Position:
Wissenschaftlicher Leiter des Internationalen Instituts für Nachhaltigskeitsanalysen und -strategien (IINAS)

Uwe Fritsche IINAS

Nachhaltigkeitsanalyst Uwe Fritsche spricht im Interview über Strategien für eine zukunftsfähige Bioökonomie, die breit in die Gesellschaft eingebettet ist.

Uwe Fritsche ist Gründer und wissenschaftlicher Leiter des Internationalen Instituts für Nachhaltigskeitsanalysen und -strategien (IINAS) in Darmstadt. Im Jahr 2021 hat das IINAS im Auftrag des NABU eine Studie zum Thema Zukunftsfähige Bioökonomie vorgestellt. Fritsche plädiert zudem für eine BioWEconomy, in der Partizipation und Gemeinwohl, Ökologie und fairer Handel eine wichtige Rolle spielen.

Frage

Sie plädieren für eine Transformation des Modells der Nachhaltigkeit und der UN-Nachhaltigkeitsziele, der SDGs. Warum? Was bedeutet das für den Wandel hin zu einem biobasierten Wirtschaften?

Antwort

Die globalen Herausforderungen wie Klimawandel und Artenverlust erfordern, die Säulen-Definition der Nachhaltigkeit zu transformieren. Anstelle den drei nebeneinander stehender „Säulen“ für Gesellschaft, Umwelt und Wirtschaft muss eine integrierte Sicht treten mit Umwelt als übergreifendem System, darin eingebetteter Gesellschaft und der Verortung der Wirtschaft innerhalb der Gesellschaft. Biobasiertes Wirtschaften muss damit innerhalb des Rahmens der Gesellschaft und im Rahmen der planetaren Grenzen („Umwelt“) erfolgen.

Frage

Können Sie die fünf Kernstrategien für eine „Zukunftsfähige Bioökonomie“ erläutern, die Sie in der gleichnamigen Studie herausgearbeitet haben?

Antwort

Erstens: Die planetaren Grenzen sollten in maximale Biomassemengen übersetzt werden, die ohne nachteilige Wirkungen für Mensch und Umwelt sowie für künftige Generationen nutzbar sind: Hier muss Deutschland „seine“ Grenzen definieren und dabei auch die (Nicht-) Nachhaltigkeit von Importen einbeziehen.
Zweitens: Es gilt, das Ernährungssystem zu transformieren in Hinblick auf Ernährungssicherung, Biodiversität, Klimaschutz und nachhaltige Landnutzung: Nahrungs- und Futtermittel sind die größten Verbraucher von Biomasse, dominieren die globale Flächennutzung, den Flächennutzungswandel und viele Umwelteinflüsse wie den Biodiversitätsverlust. Dieser Problemlage muss auf der Nachfrageseite durch geänderte Ernährungsweisen (weniger tierische Proteine) und auf der Angebotsseite durch Umstellung auf ökologischem Anbau und Tierhaltung begegnet werden. Eckpfeiler nachhaltiger Ernährungssysteme sind Innovation und Produktivität, auch die Verringerung von Lebensmittelverlusten und Wertschöpfung aus Nebenprodukten der Lebensmittelverarbeitung gehören dazu.
Drittens: Vorrang hat die stoffliche Biomasse-Nutzung in Kaskaden und in dezentralen Bioraffinerien, die energetische, stoffliche und Futter-Produkte integriert bereitstellen. Zudem sollten biogene Abfall- und Reststoffe vorrangig genutzt werden –  unter Einhaltung von Nachhaltigkeitskriterien. Bioraffinerien sind hierbei keine zentrale Großanlagen, sondern dezentrale Technologien, die über biologische und chemisch-physikalische Verfahren die in der Biomasse bereits vorhandenen Komponenten auftrennen und weiter verarbeiten.
Viertens: Der Biomasseanbau sollte in eine ökologische Landwirtschaft integriert werden, die über Zwischen- und Zweitkulturen sowie Acker-Wald-Mischformen biogene Rohstoffe ohne direkte oder indirekte Landnutzungsänderungen bereitstellt. Ziel ist die Steigerung von Biodiversität sowie Bodenkohlenstoff durch mehr Ökosystemleistungen in der offenen Agrarlandschaft.
Fünftens: Biogene Rohstoffe sollten verstärkt auf Flächen angebaut werden, die wegen geringer Bodengüte, Rentabilität und Wasserverfügbarkeit nicht für Nahrungs- oder Futtermittel genutzt werden. Hierzu zählen zum Beispiel durch Überweidung degradierte Flächen, auf denen in mehrjährigen Kulturen biogene Rohstoffe (nach)wachsen können.

Frage

Wofür steht das Konzept BioWEconomy?

Antwort

Die Einfügung des „WE“ (we = all of us) in den englischen Begriff Bioeconomy zur Bildung des Begriffs BioWEconomy soll audrücken, dass es um eine breite gesellschaftliche Einbettung der Bioökonomie geht unter einem neuen Paradigma: Die Transformation zu einer zirkulären, nachhaltigen BioWEconomy, die die Transformation der Abfall-, Agrar-, Fischerei- und Forstwirtschaft einschließt, stimuliert und unterstützt und dabei Produzenten und Konsumenten als Wirtschaftsakteure selbst aktiv sind, also wir alle. Die BioWEconomy umfasst auch neue soziokulturelle Akteure (kollaborative/teilende Ökonomie, Commoning) und erforscht Innovationen nicht nur bei Technologien, sondern auch bei Geschäftsmodellen und sozialen Praktiken. Kultur und Kunst sind nicht nur Kommunikationsmittel, sondern Elemente der BioWEconomy, sowohl in Bezug auf die Bereitstellung von (gesellschaftlichen und wirtschaftlichen) Dienstleistungen als auch Mittel zur Transformation. Die Governance einer nachhaltigen Bioökonomie muss Vertrauen schaffen – dafür braucht es transparente Lieferketten und Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an der Verifizierung (Citizen science). Wichtig für die BioWEconomy ist auch die Einbeziehung der Bioökonomie in nachhaltige Finanzierungen (EU-Taxonomie, Konjunkturpakete etc.).

Frage

Stichwort Klimaneutralität: Welche Rolle kann das Konzept Bioökonomie spielen, um nationale Klimaziele und die Ziele des European Green Deal zu erreichen?

Antwort

Alle der genannten fünf Kernstrategien für eine „Zukunftsfähige Bioökonomie“ können Treibhausgasemissionen drastisch reduzieren bzw. Kohlenstoff durch naturnahe Systeme aus der Atmosphäre entnehmen (z.B. Holz als Kohlenstoffspeicher für Baustoffe). Dabei werden negative Wirkungen auf z.B. Artenvielfalt, Beschäftigung und Kosten für Verbraucherinnen und Verbraucher vermieden. Dies gilt in Deutschland wie auch für die EU, wo eine nachhaltige zirkuläre BioWEconomy einen wichtigen Teilbeitrat zum „Green Deal“ leisten kann.

Frage

Wo sehen Sie die Herausforderungen, das Konzept Bioökonomie zu vermitteln und in den gesellschaftlichen Dialog zu treten?

Antwort

Bislang wird das Ernährungssystem in der Öffentlichkeit kaum als Teilfrage der Bioökonomie gesehen, hat aber erhebliches Mobilisierungspotenzial durch die starken Alltagsbezüge, den hohen Beiträgen zu Klimawandel und Artenverlust sowie regionalwirtschaftlichen Effekten  diese Verknüpfungen gilt es stärker zu betonen durch entsprechende Kampagnen, die mit Aktivitäten von zum Beispiel Fridays for Future koordiniert werden sollten. Hierbei sind Fragen der Biodiversität, des Tierwohls und des Naturschutzes in der Land(wirt)schaft Ansatzpunkte, die sich gut mit nachfrageseitigen Maßnahmen (Ernährungs- und Konsumstile) verbinden lassen. Städte sind die Orte, an denen die meisten Verbraucherinnen und Verbraucher leben, einkaufen und konsumieren. Entscheidungen in Bezug auf Handel, Infrastruktur, Gesundheit, Mobilität und Bildung beeinflussen städtische Lebensgrundlagen und die Umwelt sowohl durch die Nachfrage als auch durch das Angebot erheblich. Urbane Landwirtschaft kann eine wichtige Rolle spielen bei der Versorgung mit frischem Gemüse, und eine urbane Waldwirtschaft könnte eine wesentliche naturbasierte Komponente beim anstehenden Umbau von Städten sein, um Puffer für Starkregen- und Hitzeperioden zu schaffen, lokale Rohstoffe für die Bioökonomie zu liefern und die Biodiversität zu erhöhen.

Frage

Welche partizipatorischen Ansätze sind zudem zielführend?

Antwort

Nicht zuletzt muss eine nachhaltige Bioökonomie ihren Geltungsbereich um die soziale Dimension erweitern und insbesondere Kultur und Kunst mit ihrer engen Verknüpfung zu Ernährung, Konsum und Mobilität (Freizeit, Tourismus) als Mittel zum Antrieb der Transformation zu nutzen. Daher sind Kultur und Kunst als Investition in die soziale Infrastruktur zu fördern und als Teil der Bioökonomie-Transformation anzuerkennen. Aktivitäten und Engagement der Zivilgesellschaft werden entscheidenden Einfluss auf das Verhalten haben und dazu beitragen, gesellschaftliche Normen in Bezug auf Lebensmittel, Materialverbrauch und Mobilität zu verändern. Die breitere Einbindung der (Zivil)Gesellschaft in die Bioökonomie wird Unternehmen und öffentliche Verwaltungen mit neuen Werten und Zielen konfrontieren und neue Governance-Vereinbarungen und Umsetzungsallianzen ermöglichen.

Interview: Philipp Graf