Edle Einzeller-Öle aus Abwasser

Edle Einzeller-Öle aus Abwasser

In Industrieabfällen und Abwässern schlummern reichlich bislang ungenutzte Kohlenstoffe. Die strategische Allianz "ZeroCarbonFootprint" vereint Partner aus Forschung und Industrie, um solche Abfallströme als Rohstoffquelle für innovative Produkte zu erschließen. Mikroorganismen kommt hierbei eine Schlüsselrolle zu.

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In industriellen Abwässern und Klärschlämmen steckt jede Menge bislang ungenutzter Kohlenstoff.

Klärschlämme, Abwässer und Abfälle – in der Industrie und in Siedlungen fallen riesige Mengen an sogenannten Restströmen an. In ihnen steckt jede Menge Kohlenstoff – bislang wird dieser jedoch kaum genutzt. Dabei ist Kohlenstoff ein elementarer Baustein für Chemikalien. Auf diese Verwertung hat es die strategische Allianz „ZeroCarbonFootprint – ZeroCarbFP" abgesehen. Die 12 Partner des im Jahr 2013 an den Start gegangenen Netzwerks fahnden nach Mikroorganismen, die kohlenstoffreiche Abfälle als Substrate nutzen und diese zu wertvollen Bausteinen und Substanzen für die Industrieproduktion umwandeln. Das BMBF steuert zu der rund 48 Millionen Euro schweren Allianz die Hälfte des Betrags im Rahmen der „Innovationsinitiative industrielle Biotechnologie" bei.

Täglich fließen rund 10 Millionen Kubikmeter Abwasser durch die deutschen Kanalnetze zu den Kläranlagen. Das Schmutzwasser steckt voller organischer Fracht, und damit voller Kohlenstoff und Energie – bislang bleibt diese Ressource jedoch weitgehend ungenutzt. Kohlenstoffhaltige Restströme fallen nicht nur in der Abwasserwirtschaft an: Bei der Biodieselherstellung entsteht Rohglycerin, bei der Bioethanol-Produktion CO2, bei der Erzlaugung im Bergbau bleibt eine mit Metallen angereicherte Brühe übrig.

Im Abfall schlummern wertvolle Ressourcen

„Wir wollen diese Abfallströme als Rohstoffquelle für die Herstellung innovativer Produkte erschließen", sagt Dirk Bogaczyk von der Emschergenossenschaft, einem der größten deutschen Wasserwirtschaftsverbände mit Sitz in Essen. Er ist Koordinator der strategischen Allianz „ZeroCarbFP". „Zu den Produkten, die wir herstellen wollen, zählen unter anderem Enteisungs- und Kühlmittel, Hochleistungsadditive für Schmierstoffe, sowie Öle und Basis-Chemikalien für die Kunststoffindustrie", erläutert Bogaczyk. Zudem werden Technologien zur Erzlaugung sowie biotechnologische Verfahren Erhöhung der Energieausbeute aus Abwasser entwickelt.

Seit Juli 2013 haben sich sieben Unternehmen aus Forschung, Industrie und öffentlichem Sektor zu einer einzigartigen Allianz zusammengeschlossen. Neben der Emschergenossenschaft sind die BRAIN AG, Fuchs Europe Schmierstoffe GmbH, Enzymicals AG, BioEton GmbH, Ceritech AG und Südzucker AG dabei. Zusammen mit akademischen Forschungspartnern führt die auf insgesamt neun Jahre ausgelegte strategische Allianz bundesweit 12 Partner zusammen.

Mikroorganismen führen Regie

Eine Schlüsselrolle in der Allianz kommt Mikroorganismen zu. Die Idee: In der Natur existieren spezialisierte Winzlinge, die kohlenstoffreichen Abfälle als „Nahrung" nutzen und diese durch ihren Stoffwechsel zu interessanten Chemikalien umwandeln können. Mikrobiologie-Spezialisten um Guido Meurer von der Zwingenberger BRAIN AG haben nicht nur deren riesige Bioarchive durchforstet, sondern auch in den Industrieanlagen der Allianzpartner vor Ort Proben genommen, um besonders talentierte Mikroorganismen für ihre Ziele aufzuspüren. Die besten Kandidaten werden mithilfe biotechnologischer Methoden noch weiter optimiert und so für den Einsatz in der industriellen Produktion vorbereitet.

Einzeller-Öle aus Abwasser

ZeroCarbFP besteht dabei aus fünf Teilprogrammen, die jeweils auf einem anderen Abfallstoff basieren und ein bestimmtes werthaltiges Produkt für eine Vermarktung zum Ziel haben. Zum Beispiel das Teilprogramm namens „Additive 2": Hier geht um die Nutzung von Abwasser. In den Faultürmen vergärt ein Mix aus Mikroben das organische Material aus dem Abwasser zu Faulgas. Damit man dieses Faulgas gut verbrennen kann, muss der Methangehalt möglichst hoch sein. „Wir suchen in der Allianz deshalb nach Organismen, die in unseren Bioreaktoren aus den Abwasserrückständen Öle und Lipide herstellen können oder verstärkt Methangas produzieren", sagt Bogaczyk. Besonders begehrt sind jene mikrobiellen Öle, die in der Fachwelt als Einzeller-Öle (Single Cell Oils) bezeichnet werden. Sie zeichnen sich durch eine besondere Fettsäurezusammensetzung aus und sind begehrt für den Einsatz in der Energieerzeugung, als Plattformchemikalie, oder als Zusätze in der Schmiermittelindustrie.

Die ZeroCarbFP-Allianz im Überblick

Industriepartner: Emschergenossenschaft (Koordination), BRAIN AG, Enzymicals AG, Fuchs Schmierstoffe GmbH, Ceritech AG, Bioeton Deutschland GmbH, Südzucker AG

Akademische Partner: Karlsruher Institut für Technologie (KIT), RWTH Aachen, TU Darmstadt, Helmholtz Zentrum für Umweltforschung (UFZ) Leipzig, Goethe-Universität Frankfurt/Main

Mikrobielle Brennstoffzelle liefert Strom

Bereits jetzt schon gibt es vielversprechende Ergebnisse: „Die Wissenschaftler von Brain haben bereits eine Reihe unterschiedlicher Mikroorganismen für die Herstellung von Ölen ausfindig gemacht", so Bogaczyk. Diese Kandidaten werden nun weiter untersucht, zudem denken die Allianzpartner bereits darüber nach, wie sich die Öl-Bakterien am besten in den Kläranlagenbetrieb einbetten lassen. Mit der im Abwasser steckenden Energie wiederum beschäftigt sich ein eigenes Teilprojekt, das Forscher vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) zusammen mit der Emschergenossenschaft vorantreiben. In den Karlsruher Laboratorien und zukünftig auch auf der Versuchskläranlage der Emschergenossenschaft in Dinslaken experimentieren die beiden Partner mit der mikrobiellen Brennstoffzelle, um mit Hilfe von Bakterien die Stromerzeugung weiter zu optimieren.

In sämtlichen fünf Teilprogrammen konnte die Allianz bei ihrem ersten Jahrestreffen im September 2014 eine durchweg positive Bilanz ziehen: Alle gesteckten Ziele wurden bisher erreicht. Zur Herstellung von Spezialprodukten wie Kühlmittel, Schmiermittel-Additive und Basis-Chemikalien aus Abfall mit Hilfe von Mikroorganismen werden erste Patentanmeldungen vorbereitet. Zur Sicherstellung von nachhaltigen biobasierten Verfahren und Produkten hat die Allianz eine Analyse und Quantifizierung von Nachhaltigkeitsaspekten beauftragt. Hier soll etwa ermittelt werden, wie viel CO2 durch die innovativen Verfahren eingespart werden kann, und wie umweltfreundlich die stoffliche Nutzung von Abfall als Rohstoff tatsächlich ist.

Autor: Philipp Graf