Chancen von KI für die Bioökonomie
„KI als Katalysator für die Bioökonomie“ war das Thema einer Konferenz, die am 10. November im Bundesforschungsministerium in Berlin stattfand und Einblicke in die Potenziale der Schlüsseltechnologie bot.
Künstliche Intelligenz (KI) ist längst kein Zukunftsthema mehr, sondern bestimmt zunehmend unseren Alltag. Vor allem für Forschung und Industrie eröffnen innovative KI-Anwendungen ganz neue Möglichkeiten. Das gilt auch für die Bioökonomie, die darauf abzielt, fossile Rohstoffe durch nachwachsende biologische Ressourcen zu ersetzen und biotechnologische Innovationen für eine ressourcenschonende Wirtschaft der Zukunft einzusetzen. In der Hightech Agenda der Bundesregierung werden KI und Biotechnologie als zwei von sechs Schlüsseltechnologien benannt, die Deutschland durch eine verstärkte Forschung für die Zukunft handlungs- und wettbewerbsfähig machen sollen.
Doch wie kann die Bioökonomie von KI-Anwendungen profitieren? Darüber wurde im Rahmen der Konferenz „BioKI - KI als Katalysator für die Bioökonomie“ diskutiert, die am 10. November im Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) in Berlin stattfand. Organisiert wurde sie durch ein Team von bioökonomie.de um Kristin Kambach und Martin Reich im Auftrag des BMFTR.
In einer Videobotschaft verwies Rolf-Dieter Jungk, Staatssekretär im BMFTR, gleich zu Beginn auf das vielfältige Potenzial, das sich aus der Synergie der beiden Schlüsseltechnologien ergibt. „Zusammen bilden sie die Grundlage für eine moderne Bioökonomie“, so Jungk.
Potenziale von KI für die Bioökonomie ausloten
Moderiert von Julia Vismann bot die eintägige Veranstaltung spannende Impulsvorträge und Diskussionsrunden zu den Themen „KI und Industrielle Bioökonomie“, „KI und intelligente Agrarsysteme“ sowie „KI und Modellierung“. Hochkarätige Akteurinnen und Akteure aus Forschung und Wirtschaft referierten und debattierten mit rund 130 Gästen darüber, wo KI bereits zum Einsatz kommt – aber auch, welche Herausforderungen es noch gibt, damit sich das volle Potenzial entfalten kann.
Mehr positive Narrative wagen
Den Auftakt machte Innovationsexperte Manouchehr Shamsriz, der unter anderem für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e. V. (DGAP) tätig ist, das gamelab.berlin mitgründete und den Hauptstadt-Hub für Quantentechnologien leitet. In seiner Keynote verwies er auf die Potenziale von KI für eine gesunde, resiliente und geopolitisch unabhängige Gesellschaft, aber auch auf die verbreitete, wenig hilfreiche „Angst“ vor Zukunftstechnologien wie Gentechnik und KI. Er appellierte an die anwesende Bioökonomie-Community, mehr positive Narrative zu wagen und sich zu trauen, das transformative Potenzial von Biotechnologie und KI für eine Verbesserung der Gesellschaft deutlicher zu kommunizieren.
Den Impuls zum Einsatz von KI in der industriellen Biotechnologie lieferte Tobias Erb. Der Mikrobiologe forscht unter anderem an der Entwicklung von CO₂-umwandelnden Enzymen und Stoffwechselwegen und designt synthetische Zellen, die CO₂ besser einfangen und verwerten können als die Natur es tut. „Dafür suchen wir Enzyme aus unterschiedlichsten Organismen und entwickeln sogar gänzlich neue, um daraus synthetische Stoffwechselwege zusammenzubauen. Das maschinelle Lernen beschleunigt die Entwicklungszyklen dabei enorm. Heute brauchen wir wenige Tage für etwas, das früher noch Jahre gedauert hat“, schwärmte Erb. Er mahnte an, dass sich dieses Potenzial für die Bioökonomie nur entfalten könne, wenn sich politische Rahmenbedingungen und Regulierung entsprechend anpassen. Mehr zum Thema liefert auch der neue Trendbericht zu Synthetischer Biologie auf bioökonomie.de.
KI in der industriellen Bioökonomie
Durch die schnellere Analyse großer Datenmengen, die Automatisierung komplexer Prozesse oder die Optimierung von Wertschöpfungsketten kann KI dazu beitragen, biologische Systeme besser zu verstehen, zu gestalten und zu nutzen. Wie KI die biotechnologische Revolution beschleunigen kann, war Thema des ersten Podiums mit Philipp Heuermann von Ginkgo Bioworks, Christian Spier von Differential Bio, Dominik Grimm vom TUM Campus Straubing für Biotechnologie und Nachhaltigkeit und Laura Helleckes vom Imperial College London.
Datenverarbeitung erfordert intelligente und schnellere Verfahren
Spier berichtete, wie Differential Bio bereits KI einsetzt, um die Etablierung von biotechnologischer Produktion zu beschleunigen. Wichtige Handlungsfelder sahen die Podiumsgäste darin, Laborprozesse zu automatisieren, Skalierungsprobleme zu lösen und die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Industrie und Öffentlichkeit zu stärken. „Wir brauchen intelligente und schnelle Verfahren, um die Menge an Daten verarbeiten zu können“, erklärte Dominik Grimm und verwies auf die Hürden bei der Skalierung. Eine Lösung sei es, Zwischenstufen bei der Skalierung zu etablieren, um Verfahren schneller in die Produktion zu bringen und dort reale Daten für die weitere Skalierung zu sammeln.
Laura Helleckes machte deutlich, wie wichtig praxisnahe Datensätze sind. „Um den Transfer von Prozessen in die industrielle Anwendung zu schaffen, brauchen wir gute Modelle, die wir skalieren und die lernen können.“ KI könne einen großen Unterschied machen und vieles beschleunigen, vorausgesetzt, die Datenlage gebe es her. Denn eine KI sei nur so gut, wie die Daten, mit denen sie gefüttert werde.
Erfolge von KI positiv kommunizieren
Einigkeit herrschte auf dem Podium darüber, dass bei aller digitaler Revolution die Arbeit im Labor auch in Zukunft ein Flaschenhals sein wird. Herausragende KI-Tools wie AlphaFold würden nur so gut funktionieren, weil sie auf eine riesige Menge experimenteller Daten zugreifen können, hatte auch schon Erb in seinem Impuls bemerkt. Eine weitere Botschaft dieser ersten Expertenrunde: Die Vernetzung zwischen Forschung, Industrie und Start-ups ist unerlässlich, um Fortschritte zu beschleunigen. Um die Akzeptanz von KI zu fördern, müsse man sie erklären und ihre Erfolge positiv kommunizieren.
Ein solches positives Beispiel ist die Forschung von Hendrik Dietz. Mit seinem Start-up CPTx, einer Ausgründung der TUM, arbeitet er an programmierbaren Nanoträgern für neuartige In-vivo-Therapien gegen Krebs. Sein Team hat eine Methode entwickelt, mit der sich per KI Proteine am Computer noch besser und schneller designen und mit den gewünschten Eigenschaften versehen lassen – eine große Hoffnung für wirksame Zelltherapien.
KI und intelligente Agrarsysteme
Konkrete Anwendungen von KI in der Landwirtschaft wurden in der zweiten Session in den Fokus gerückt. Den Impuls dazu lieferte Stefan Stiene von der Hochschule Osnabrück. „Wir müssen KI, Robotik und Kreislaufwirtschaft zusammendenken. Denn es geht um Anwendungen, die einen großen Mehrwert bringen können“, erklärte Stiene dem Publikum in seinem anschaulichen Vortrag. Doch wie kann KI in Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion einen solchen „Mehrwert“ erzielen? Das vor kurzem gestartet KI-Reallabor in Osnabrück setzt genau hier an. „Hier arbeiten wir mit Landwirten zusammen und entwickeln Bausteine für den Einsatz von KI-Modellen, die wiederverwendet werden“, berichtet Stiene. Entscheidend seien auch hier die Daten. „KI-Modelle sind nur so gut, wie die Daten, auf denen sie basieren. Da diese aber nie perfekt sein werden, wenn man mit Pflanzen auf dem Feld arbeitet, müssen die KI-Programme mit Unsicherheiten umgehen können.“
Auch in der Agrar- und Lebensmittelwirtschaft ergeben sich durch KI viele Chancen, um die Branche intelligenter, nachhaltiger und konkurrenzfähiger zu gestalten, wie die anschließende Podiumsdiskussion zeigte. Mit dabei Hugo Storm von der Universität Bonn, Laura Bies vom August-Wilhelm Scheer Institut, Evelyn Reinmuth von der Universität Hohenheim und Sonoko Bellingrath-Kimura von Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF).
Landwirtschaftliche Strukturen und Systeme besser designen
So könnten neue landwirtschaftliche Strukturen und Systeme besser designt werden, wie Hugo Storm berichtet. Ein Beispiel dafür ist eine von der Universität Bonn im Rahmen des Exzellenzclusters PhenoRob entwickelte Software, die das zukünftige Wachstum von angebauten Ackerpflanzen simulieren kann. Laura Bies präsentierte mit Fish-AI eine Technologie, die das Verhalten von Fischen rund um die Uhr überwacht. „Damit sind viele präventive Maßnahmen möglich: Wir können Krankheiten frühzeitig erkennen und wissen, wie hoch der Futterbedarf ist, sodass wir Ressourcen einsparen und Abfälle vermeiden können.“
KI-Tools müssen echten Mehrwert generieren
„Allein die verschiedenen Umweltbedingungen und die damit verbundene Komplexität in der Landwirtschaft schreit nach einer intelligenten Datenverarbeitung“, betonte Sonoko Bellingrath-Kimura. Auch bei der Generierung von Biomasseströmen und deren Nutzung kann KI hilfreich sein, „weil sie einen viel breiteren Zugang zu Information ermöglicht“, wie Evelyn Reinmuth konstatierte. „Dafür müssen wir die Menschen in Landwirtschaft und Industrie aber stärker in den Mittelpunkt stellen, ihnen zuhören und Tools entwickeln, die draußen wirklich einen Mehrwert generieren.“ Laura Bies stimmte zu. Sie komme selbst von der technischen Seite der Anwendungen und müsse sich immer wieder vor Augen führen, dass diese nur dann einen echten Impact haben, wenn die Menschen in der Wirtschaft auch wirklich etwas mit ihnen anfangen können und sie verstehen.
Wie KI die Produktentwicklung im Lebensmittelsektor vorantreiben kann, wurde im Spotlight von Jochen Matzer deutlich. Mit nextfood.ai hat er eine KI-basierte Software mitentwickelt, die Unternehmen hilft, in nur wenigen Minuten neue Produkte zu entwickeln. Die KI kann anhand von Zielgruppen, groben Ideen und Zielsetzungen nicht nur passgenau völlig neue Produkte vorschlagen, samt Inhaltsstoffen, Design und Hintergrundgeschichte, sondern diese sogar von synthetischen Panels testen lassen. Das spart gleich mehrere aufwendige Schritte in der Produktentwicklung, hilft dabei, Flops zu vermeiden, und wird, laut Matzer, den heute zu langsamen Innovationsprozess in der Lebensmittelbranche enorm beschleunigen, weil die KI „die Brücke in die reale Welt schlägt“.
Rebound-Effekte vermeiden
In dieser „realen Welt“ sollte KI jedoch verantwortungsbewusst eingesetzt werden. Darauf verwies Andreas Pyka in seinem Impulsvortrag zum Thema „KI und Modellierung“. „Aufgrund der Komplexität bioökonomischer Möglichkeiten sollten wir uns nicht allein auf die KI verlassen, wenn es darum geht, die Transformation zu einem nachhaltigen Wirtschaftssystem zu gestalten“, so der Professor für Innovationsökonomik an der Universität Hohenheim. Am Beispiel von Innovationen wie moderne Heizungen, die dazu motivieren, mehr zu heizen und damit Ressourcenverbrauch und Kosten in die Höhe treiben, warnte er vor der Gefahr von Rebound-Effekten, die der Nachhaltigkeit im Wege stünden. Pyka sieht allerdings auch große Chancen, dass unter den richtigen Rahmenbedingungen KI dazu beitragen kann, den Kipppunkt der Wirtschaft hin zu einer Bioökonomie zu erreichen.
KI und Modellierung
Das Potenzial von KI in der Modellierung der Bioökonomie stand im Fokus des letzten Podiums des Tages mit Sebastian Losacker von der Universität Gießen, Markus Kröll vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, Rüdiger Schaldach von der Universität Kassel und Monika Dittrich vom Wuppertal Institut.
„KI kann bei der Modellierung strukturbedingter Entscheidungsprozesse helfen, indem sie komplexe Dynamiken erfasst und interpretiert“, erklärte Rüdiger Schaldach. Sein Team nutzt Fernerkundungsdaten zur Entwicklung von Landnutzungsmodellen. Im Projekt TRABBI wird wiederum KI in Form von Large Language Models (LLM) eingesetzt, um die Transformation des Bausektors hin zu einer Bioökonomie zu untersuchen. „Um Transformation zu gestalten und die richtigen Entscheidungen treffen zu können, braucht es ein gutes Monitoring, also Daten. Ein modernes, KI-gestütztes Monitoring kann Informationen dazu liefern, wo noch Schwachstellen sind“, erklärte Sebastian Losacker.
Interdisziplinär Daten generieren
Nicola Cruz, Leiter das KIWI-biolab an der TU Berlin, unterstrich abschließend in einem Spotlight noch einmal das Potenzial von KI, verwies aber zugleich auf die noch immer ungenügende Datenbasis, um Modelle gut zu trainieren. „Wir müssen daher interdisziplinär arbeiten, um Daten zu generieren. KI kann uns in der Biotechnologie nur wirklich helfen, wenn sie mit Robotern und Maschinen kombiniert wird, wenn also viele Geräte in den Laboren zusammenarbeiten“, betonte Cruz. Damit KI zum Katalysator der Bioökonomie wird, ist dem Experten zufolge vor allem eins wichtig: Die Daten müssen vertrauenswürdig und reproduzierbar sein.
BMFTR will Einsatz von KI in Bioprozess-Anwendungen fördern
Die Hightech Agenda sieht vor, dass bis 2030 10 % des Bruttoinlandprodukts mit KI erwirtschaftet werden. Darauf verwies in seinem Schlusswort Daniel Rudolf, Unterabteilungsleiter MinDirig beim BMFTR. „KI geht mit immensen Potenzialen und Chancen für die BÖ einher. Aber ohne Daten geht nichts.“ Nach Angaben von Rudolf will das BMFTR den Einsatz von KI in Bioprozess-Anwendungen durch eine gezielte Förderung vorantreiben.
Darüber hinaus bot die Konferenz BioKI abseits von Vorträgen und Diskussionsrunden ausreichend Zeit zum Austausch und Netzwerken. Flankiert wurde das Event von Infoständen und einer interaktiven Video-Ausstellung im Foyer. Hier kamen auf großen Bildschirmen spannende Bioökonomie-Enthusiasten zu Wort und gaben Einblick in ihre Berufs- und Karrierewege. Passend zum Thema der Konferenz präsentierte bioökonomie.de am Stand die neue Multimedia-Story „Künstliche Intelligenz in der Bioökonomie“, während an einem zweiten Infostand der Projektträger Jülich über Fördermöglichkeiten informierte.
Beatrix Boldt