„Algen bieten vielfältige Möglichkeiten für eine industrielle Nutzung“
Carola GriehlBeruf:
promovierte Chemikerin
Position:
Leiterin des Kompetenzzentrums Mikroalgenbiotechnologie der Hochschule Anhalt
Beruf:
promovierte Chemikerin
Position:
Leiterin des Kompetenzzentrums Mikroalgenbiotechnologie der Hochschule Anhalt
Carola Griehl forscht seit mehr als zwei Jahrzehnten an Technologien, um Proteine, Wirkstoffe oder Erdöl-ähnliche Kohlenwasserstoffe im großen Maßstab aus Algen zu extrahieren und sie für die Industrie nutzbar zu machen.
Algen sind nicht nur Überlebenskünstler, sondern auch Multitalente mit großem Potenzial für die Bioökonomie. Als Leiterin des Kompetenzzentrums Mikroalgenbiotechnologie der Hochschule Anhalt will Carola Griehl dieses Potenzial nutzen, um einen möglichst großen Teil der immer knapper werdenden Erdölressourcen durch Algen zu ersetzen. Dafür ist die promovierte Chemikerin stets auf der Suche nach neuen Stämmen, um das Algen-Portfolio zu erweitern und für neue biobasierte Produkte in der Lebensmittel-, Pharma-, Kosmetik-, Agrar- und Chemieindustrie nutzbar zu machen. Darüber hinaus ist ihr Team dabei, die Mikroalgenproduktion in einen landwirtschaftlichen Betrieb zu integrieren.
Was fasziniert Sie an Algen?
Das Meer und die Algen faszinieren mich schon seit meiner Kindheit, vermutlich weil sie die Grundlage unseres Lebens bilden und selbst wahre Überlebenskünstler sind – sie gedeihen in Süßwasserseen, heißen Quellen, salzhaltigen Meeren und sogar im Boden oder in der Luft. Wir verdanken nahezu jeden zweiten Atemzug den Algen: Durch Photosynthese wandeln sie Kohlendioxid in Biomasse um und produzieren fast 50 % des globalen Sauerstoffs. Ihre Bedeutung als CO₂-Senke ist mit der von Wäldern vergleichbar. Algen reinigen Abwässer und Abgase, bilden die Grundlage der marinen Nahrungsketten und liefern zahlreiche Wertstoffe für industrielle Anwendungen. Ihre enorme Vielfalt und ihre außergewöhnlichen Inhaltsstoffe haben schon vor Jahren meine Neugier geweckt und faszinieren mich immer noch. Auf meinen Reisen sammle ich ständig neue Stämme, um sie für eine wirtschaftliche Nutzbarkeit zu selektieren. Da nur ein Bruchteil der geschätzten 500.000 Algenarten erforscht ist, ist das Potenzial für neue Produkte und Anwendungen riesig.
Welche Vision verfolgen Sie mit Ihrer Forschung?
Meine Vision ist es, einen möglichst großen Teil der immer knapper werdenden Erdölressourcen durch Algen als schnell nachwachsende Rohstoffe für künftige Generationen zu ersetzen. Aus deren Biomasse und umgebenden Schleimschichten können zahlreiche Alltagsprodukte, wie gesunde Lebens- und Futtermittel, Naturfarbstoffe, Pharma- und Kosmetikwirkstoffe, biologisch abbaubare Kunststoffe oder nachhaltige Chemikalien und Düngemittel hergestellt werden. Aufgrund der großen phylogenetischen Diversität von Algen unterscheiden sich deren Stoffwechselwege und Produktspektren deutlich, was vielfältige Möglichkeiten für eine breite technische Nutzung eröffnet.
Wo liegt der Schwerpunkt Ihrer Forschungsarbeit an der Hochschule Anhalt?
Unter meiner Leitung forscht das Köthener Algenteam seit über 20 Jahren an der biotechnologischen Gewinnung von Wert- und Wirkstoffen aus Mikroalgen, der Etablierung neuer Verfahren zur CO₂-verwertenden Biomasseproduktion und -aufarbeitung sowie an der Entwicklung innovativer algenbasierter Produkte für den Lebensmittel-, Pharma-, Kosmetik-, Agrar- und Chemiesektor. Wir untersuchen, welche Algen sich im technischen Maßstab stabil kultivieren lassen und für die Extraktion von Omega-3-Fettsäuren, Carotinoiden, Proteinen, Biokunststoffen oder erdölähnlichen Kohlenwasserstoffen („Algentankstelle“) geeignet sind. Dafür haben wir ein Algenkompetenzzentrum mit eigener Stammsammlung, Analytikbereich und Algentechnikum aufgebaut, das die Überführung der Laborverfahren in die industrielle Praxis ermöglicht und stetig weiterentwickelt wird. Die hohe Chemodiversität mit teils einzigartigen bioaktiven Verbindungen nutzen wir für die Entwicklung gut verträglicher therapeutischer Wirkstoffe. Im neu gegründeten Algenwirkstoffzentrum (Zentrum für Naturstoffbasierte Therapeutika) forschen wir in Kooperation mit dem Fraunhofer IZI-MWT an der Isolierung und Wirkungsweise antibakterieller, antientzündlicher und antiviraler Wirkstoffe aus Algen, darunter Virus-hemmende Lektine und Enzym-inhibierende Sulfolipide.
Im vom BMBF geförderten Projekt BG2Algae soll die Mikroalgenproduktion in einen landwirtschaftlichen Betrieb integriert werden.
Was heißt das konkret? Und was wurde bisher erreicht?
Im Rahmen des BG2Algae-Projektes wird in einem landwirtschaftlichen Betrieb mit Biogasanlage und gekoppelter Strom-Wärmeerzeugung (BHKW) eine Algenproduktionsanlage integriert. Zu diesem Zweck wurden mehrere offene Algenkultivierungssysteme (Raceway Ponds) einschließlich Separations- und Trocknungsanlage in leerstehenden Stallgebäuden errichtet. Diese ermöglichen die Anzucht, Produktion und Ernte von bis zu 8 Tonnen Algenbiomasse, die vor allem für die Herstellung von Futtermittelpellets verwendet werden. Als geeigneter Algenstamm, der sich stabil in Raceway Ponds kultivieren lässt und sowohl für die Futtermittel- als auch die Lebensmittelproduktion geeignet ist, wurde ein Arthrospira-Stamm selektiert. Die Biogasanlage mit BHKW liefert neben Wärme auch Kohlendioxid und Gärreste als Nährstoffe für eine ganzjährige Biomasseproduktion. Durch die Nutzung leerstehender Gebäude und die Wiederverwertung von ungenutzten Stoff- und Energieströmen wird eine nachhaltige Ressourcennutzung im Sinne der Kreislaufwirtschaft erreicht und die Wertschöpfung gesteigert. Ein wichtiger Bestandteil des Projekts sind regelmäßige Schulungen zur Algenbiomasseproduktion, die sich grundlegend vom Feldanbau unterscheidet. Sie umfassen die Kultivierung, mikroskopische Kontrolle der Algenvitalität, das Erkennen von Kontaminationen, die Ermittlung des richtigen Erntezeitpunktes sowie die Ernte und Trocknung der Biomasse.
Welche Chancen und Herausforderungen bietet die Mikroalgenproduktion für Landwirtinnen und Landwirte?
Die Integration einfacher Mikroalgenproduktionssysteme in landwirtschaftliche Betriebe, die ungenutzte Ressourcen aus Biogasanlagen (Wärme, CO₂ und Nährstoffe) verwerten, bietet Landwirtinnen und Landwirten eine vielversprechende Möglichkeit, ihre Betriebe zu diversifizieren und neue Einkommensquellen zu erschließen. Die produzierte Algenbiomasse, die reich an Proteinen, Omega 3-Fettsäuren, Vitaminen, Mineralstoffen und Antioxidantien ist, kann zur Herstellung gesunder Lebens- und Futtermittel sowie für ertragssteigernde Phytostimulantien und Düngemittel im Feldanbau genutzt werden.
Die größten Herausforderungen liegen in der Installation der kostenintensiven Systeme für die Kultivierung, Ernte, Trocknung und Qualitätskontrolle der Algenbiomasse sowie in der Vermittlung des erforderlichen biotechnologischen Fachwissens. Dies umfasst insbesondere den mehrstufigen Algenproduktionsprozess, aber auch Kenntnisse zur Produktanwendung und Zulassung. Ein weiteres Risiko, besonders für Viehzuchtbetriebe, ist eine potenzielle Infektion der Algenkulturen mit parasitären Fremdorganismen, die die Produktion in kurzer Zeit zum Erliegen bringen kann.
Die Hochschule Anhalt gehört zu den Initiatoren des Mitteldeutschen Algenstammtisches, der die Bandbreite der Entwicklung auf dem Gebiet algenbasierter Biomasse zeigt.
Wie entwickelt sich die Algenwirtschaft in Mitteldeutschland und vor welchen Herausforderungen steht sie?
Mitteldeutschland ist einer der weltweit führenden Standorte der Mikroalgenbranche und bietet ein großes Wertschöpfungspotenzial für die in der Region etablierten Lebensmittel-, Pharma-, Kosmetik-, Agrar- und Chemiefirmen. In Klötze wurde vor 25 Jahren die erste Mikroalgenfarm auf Basis von Glasröhrenphotobioreaktoren gebaut – eine in der Region entwickelte Technologie, die heute weltweit etabliert ist. Mit 500 km Glasröhren ist die Klötzer Algenfarm, die jährlich 20–30 Tonnen Chlorella-Algen für den deutschen Lebensmittel- und Tierfuttermarkt produziert, die größte Algenproduktionsanlage Deutschlands. Gemeinsam mit Forschungseinrichtungen decken mitteldeutsche Algenfirmen (wie GICON GmbH, IGV GmbH, KTS Alge GmbH, Knufmann GmbH, Salzbrücke Astaxa GmbH) die gesamte Wertschöpfungskette ab – von der Forschung und Entwicklung über den Anlagenbau bis hin zur Vermarktung.
Der Weltalgentag oder die Ausbildung von IHK-zertifizierenden Algensommeliers unterstreichen die Rolle Mitteldeutschlands als Keimzelle wegweisender Entwicklungen. Ein weiterer Meilenstein steht bevor: In Dessau-Roßlau soll die größte Algenproduktionsanlage der Welt zur Herstellung von Omega-3-Fettsäuren entstehen.
Trotz dieser Erfolge steht die Algenwirtschaft vor großen Herausforderungen wie der Wirtschaftlichkeit von Niedrigpreisprodukten, gestiegenen Energiepreisen, langwierigen Zulassungsverfahren, fehlenden Qualitätsstandards und Kontaminationen durch Fremdorganismen. Diese Faktoren bremsen Investitionen und Unternehmenswachstum. Eine gezielte Förderung von Forschung und Entwicklung ist entscheidend, um die Algenwirtschaft in Mitteldeutschland weiter voranzubringen. Das geplante Mitteldeutsche Algenzentrum (MAZ) in Köthen wird die regionalen Potenziale bündeln und die Entwicklung kosteneffizienter Technologien und innovativer Produkte vorantreiben.
Interview: Beatrix Boldt