Hightech-Bioökonomie auf der Hannover Messe
Smarte Traktorreifen, Textilien aus bakterieller Nanocellulose, eine komplette Algen-Bioprozessanlage: Die Hannover Messe 2023 hatte auch diesmal zahlreiche Bioökonomie-Innovationen im Aufgebot.
Lösungen für eine klimaneutrale Produktion standen im Fokus der diesjährigen Hannover Messe. Neben Innovationen aus dem Bereich Maschinenbau, Elektro- und Digitalindustrie sowie Energiewirtschaft zeigten Forschungseinrichtungen und Unternehmen, wie biobasierte Innovationen die Transformation der Industrieproduktion mitgestalten.
Im Future Hub in Halle 2, wo traditionell die neuesten Trends aus den Innovationsschmieden aus Wissenschaft und Industrie gezeigt werden, präsentierten sich im „Schaufenster Bioökonomie“ auch in diesem Jahr Bioökonomie-Akteure ihre Innovationen aus Forschung und Entwicklung. Am Gemeinschaftsstand A33 des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) wurden insgesamt 19 aktuelle Forschungs- und Entwicklungsprojekte zu den Themenfelder „Automotive, Baustoffe, Prozesstechnik und Biowerkstoffe" vorgestellt.
Mit dabei das Team von bioökonomie.de mit seinem Multimedia-Exponat. Die Besuchende hatten an fünf Stationen die Möglichkeit, in die Bioökonomie-Welt von morgen blicken. Dazu gab es unsere besten Videos und Multimedia-Storys zu den Themen nachhaltige Stadt der Zukunft, Lebensmittel der Zukunft, nachhaltiger Konsum und Bioraffinerien als Fabriken der Zukunft. An einem Tablet konnten die Besuchenden zudem mehr über die Informationsplattform bioökonomie.de und die Kommunikation von Bioökonomie erfahren.
Daneben zeigte das Institut für Biokunststoffe und Bioverbundwerkstoffe (IfBB) der Hochschule Hannover neue Biokunststoffe auf Basis von Rizinusöl, die sich auch für Hochtemperaturanwendungen wie im Automobilbau eignen. Im Rahmen des Vorhabens HoT-Bro2 wurden dafür verschiedene Polyamide auf ihre Belastbarkeit getestet und Verarbeitungsprozesse weiterentwickelt und optimiert.
Von Naturfaserbehandlung und Bio-Kunstrasen
Mit der Herstellung thermoplastisch umformbarer naturfaserverstärkter Kunststoffe befasst sich gegenwärtig das Projekt DuroBast. Forschende vom Leibniz-Institut für Verbundwerkstoffe haben hier mit Partnern ein innovatives Verfahren zur Faserbehandlung entwickelt. „Das Besondere ist, dass der Prozess verhindert, dass Feuchtigkeit in die Fasern eindringt“, erläutert Projektmitarbeiter Maximilian Salmins.
Das BMEL-geförderte Verbundprojekt TheForestCleanup präsentierte Wuchshüllen, die aus den nachwachsenden Rohstoffen Zucker und Stärke bestehen und zu 100 % biologisch abbaubar sind. „Wenn der Baum die Hülle absprengt, gibt es keine Mikroplastikbelastung mehr“, sagt Dirk Schawaller vom Projektpartner Tecnaro GmbH. Präsentiert wurde auch eine auf Basis des Biokunststoffgranulats namens Arboblend entwickelte Füllung für Kunstrasen, die Sportplätze nachhaltiger machen kann. „Im Herbst soll in der Nähe von Stuttgart der erste biobasierte und nachhaltige Kunststoffrasenplatz entstehen“, so Schawaller.
In dem vom BMBF geförderten Vorhaben Digital Pure Timber sind Forschende der TU Dresden derzeit dabei, geborgene Vollholzelemente aus Laubholz für die Bau- und Möbelindustrie zu entwickeln. Fraunhofer-Forschende des WKI arbeiten wiederum an einem nachhaltigen Baustoff, der aus recyceltem Beton und Reisstroh besteht.
Ein weiter Schwerpunkt im „Schaufenster Bioökonomie“: Innovationen für den Agrarsektor. Gezeigt wurden unteranderem neue Biostimulanzien, die das Pflanzenwachstum fördern und chemische Dünger ersetzen können. So hat das Start-up Bexbiotec einen Weg gefunden, das Biopolymer Chitosan aus Pilzen herzustellen. Außerdem hat das Team einen KI-basierten Schnelltest zur Qualitätskontrolle von Biostimulanzien parat.
Recyclinganlage für tierisches Urin
Um die Herstellung von Biodüngern auf Basis von Abfallstoffen geht es auch vom BMEL geförderte Projekt PhycoKult. Das Team um Projektleiter Stephan Ende vom Alfred-Wegner-Institut in Bremerhaven hat eine Anlage zur Rückgewinnung von Phosphor aus dem Urin von Kühen und Schweinen entwickelt. „In der Anlage werden Phosphor und ein Teil des Ammoniums durch Zugabe von Magnesium Oxid gefällt. Dabei entsteht ein Granulat, dass als Dünger verwendet werden kann“ erklärt Ende im Gespräch mit bioökonomie.de.
Das Besondere: Der sogenannte „slow release“ Effekt bindet den Nährstoff länger und sorgt so für eine optimale Versorgung der Pflanzen. Aber nicht nur das: „Mit der Recyclinganlage bieten wir Landwirten nun die Möglichkeit, auch den Urin der Tiere zu verwerten und selbst Dünger herstellen“, sagt Ende. Im nächsten Schritt soll die Anlage in Verbindung mit einer Kuhtoilette, die selbstständig Urin und Kot trennt, bei Landwirten erprobt werden. Ziel ist es, Dünger aus landwirtschaftlichen Nebenströmen bei der Kultivierung von Mikroalgen einzusetzen.
Smarte Traktorreifen für nachhaltige Bodenbewirtschaftung
Mit einem Multimedia-Tisch und grünem Queller in schmalen Pflanzenkästen waren auch die Forschungskonsortien der Fördermaßnahme Agrarsysteme der Zukunft im Schaufenster Bioökonomie präsent. Ein Blickfang der Ausstellung war auch der smarte Reifen, der im Projekt SOILAssist im Rahmen der BMBF-Fördermaßnahme BonaRes entwickelt wird. „Unser Ziel ist die Vermeidung von Bodenverdichtung und der Erhalt der Bodenfunktionen“, erklärt Marie Eden vom Thünen-Institut für Agrartechnologie. Dafür wurde der smarte Reifen mit mehreren Sensoren ausgestattet. Diese messen Reifendruck oder den Abstand zur Bodenoberfläche und senden die Daten an ein Display, das den Landwirten bei der Feldbearbeitung helfen soll.
Gleich nebenan präsentierten Fraunhofer-Forschende vom ISC in Würzburg eine neuartige Mulchfolie, die vollständig biologisch abbaubar ist. Dabei handelt es sich um Nanocellulosepapier, das mit einen Bio-Bindemittel beschichtet ist. „Die Abbaubarkeit des Mulchpapieres kann durch den Bioanteil eingestellt werden. Die Biokomponenten können hier Fisch- oder Holzabfälle aber auch Reststoffe der Lebensmittelindustrie sein“, erläutert Projektleiter Mark Mirza.
Biomaterial aus bakterieller Nanocellulose
Auch an anderen Stellen der weltgrößten Industrieschau in Hannover ließen sich biobasierte Innovationen bestaunen. Am Stand des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) in Halle 2 ging es um Produkte aus der industriellen Bioökonomie. Zum Beispiel das von ScobyTec entwickelte Biomaterial aus bakterieller Nanocellulose. Das Material ist zu 100 % biobasiert und biologisch abbaubar und eignet sich nicht nur als Lederersatz für die Textilbranche. „Es ist vor allem ultrastabil, brennfest und säureresistent und macht es damit perfekt für den Einsatz in Batterien“, berichtet Geschäftsführerin Carolin Wendel. Die Nachfrage sei groß. Vor allem Kunden aus den Bereichen Leicht- und Möbelbau sowie Luftfahrt gehören Wendel zufolge zu den Interessenten. Auf der Messe präsentierte das Leipziger Start-up erste Produkte wie Taschen und Schuhe aus bakterieller Nanocellulose.
Die Kultivierung von Mikroalgen stand wiederum im Fokus eines Projektes, das die Hochschule Anhalt im Future Hab in Halle 2 vorstellte. Das Team hat eine Technologie entwickelt, die eine effizient Gewinnung von Wertstoffen aus der Mikroalge Botryococcus braunii ermöglicht. Dahinter verbirgt sich eine sogenannte Algentankstelle, die hochwertige Verbindungen direkt und zerstörungsfrei während der Kultivierung extrahieren kann. Schwerpunkt ist hier die Extraktion von Kohlenwasserstoffen. „Wir wollen die kostenintensiven Aufarbeitungsschritte wie Ernte, Trocknung und Zellaufschluss einsparen“, erläutert Christian Kleinert von der Hochschule Anhalt. Im nächsten Schritt soll die Kultivierung der Mikroalgen auf einen Maßstab von 25 Liter hochgefahren werden.
Fabrik zur Algenkultivierung im Kreislauf
Mit Mikroalgen CO2 aus der Luft binden und diese im industriellen Maßstab kultivieren, um aus ihnen Algenöl zu gewinnen: Das auf Automatisierungstechnik spezialisierte Unternehmen Festo hatte in Halle 7 mit der BionicCellFactory einen eindrucksvolle Hightech-Bioprozess-Anlage aufgebaut. Der Bioprozess umfasst ein CO2-Anreicherungsmodul für die optimale Algenkultivierung sowie ein Modul zur dauerhaften Überwachung und Analyse des Prozesses mithilfe von KI und Quantensensorik. Kultiviert werden die Mikroalgen in einem Röhrenreaktor des Unternehmens Algoliner. Weitere Module des Bioprozesses sorgen für die Ernte, die Weiterverarbeitung und die Veredelung einzelner Algeninhaltsstoffe. Durch den Einsatz von Automatisierungstechnik erfolgt die Algenkultivierung in einem hocheffizienten Kreislauf. Im Vorjahr hatte Festo mit der PhotoBionicCell den ersten Bioreaktor zur automatisierten Algenkultivierung präsentiert.
bb