Welche Mentalitäten braucht biobasiertes Wirtschaften?

Welche Mentalitäten braucht biobasiertes Wirtschaften?

Wie verändert biobasiertes Wirtschaften die Einstellungen der Menschen? Im Projekt „flumen“ suchen Forschende der Universität Jena nach Antworten.

Kleingarten mit Häuschen
In einer Fallstudie zum biobasierten Wirtschaften wurden auch die Mentalitäten zu Kleingärten in Estland untersucht.

Mit der Neuauflage der Bioökonomiestrategie hat die Bundesregierung 2020 Maßnahmen für den Übergang von einer vorwiegend auf fossilen Rohstoffen basierenden Wirtschaft hin zu einer biobasierten und ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft formuliert. Die Agenda zielt darauf ab, die Wirtschaft durch die Nutzung innovativer Technologien und den Einsatz biogener Ressourcen zukunftsfähig zu machen und damit die Belastungen für Klima, Umwelt und Ökosysteme zu begrenzen. Gleichzeitig soll die bioökonomische Transformation auch die Wirtschaft Deutschlands stärken und den Wohlstand der Menschen im Land sichern.

Vier Fallstudien zum biobasierten Wirtschaften erstellt

Doch was bedeutet dieser Wandel für eine moderne Gesellschaft? Wie verändern sich Grundhaltungen, Einstellungen und gemeinsame Vorstellungswelten von Menschen sowie die Erwerbsstrukturen, wenn sich die Rohstoff- und Energiebasis von fossilen hin zu biogenen Rohstoffen verschiebt? Im Rahmen des Projekts „Mentalitäten im Fluss (flumen)“ haben Forschende an der Friedrich-Schiller-Universität Jena nach Antworten auf diese Fragen gesucht. Das Vorhaben ist im März 2019 gestartet und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Förderinitiative „Bioökonomie als gesellschaftlicher Wandel“ mit fast 3 Mio. Euro gefördert. In Fallstudien, Interviews und Datenanalysen erforschte das Team um den ehemaligen Projektleiter Dennis Eversberg und seinen Nachfolger Martin Fritz, wie sich Mentalitäten, also die grundlegenden Einstellungsmuster der Menschen, in Bezug auf biobasiertes Wirtschaften verändern.
 
Eine Wirtschaftsweise zu ändern und dabei die Errungenschaften moderner Gesellschaften wie soziale Absicherung, Emanzipation und liberale Freiheiten zu erhalten, sei nicht so ohne weiteres möglich, sagt Projektleiter Martin Fritz. „Wir sehen, dass eine Bioökonomie, die auf der Nutzung nachwachsender Rohstoffe und dem Kreislaufprinzip basiert, prinzipiell im Widerspruch zum derzeitigen kapitalistischen Wirtschaftsmodell steht, das auf die kontinuierliche Steigerung von Energie- und Materialzufuhr für Produktion und Konsum ausgelegt ist.“
 
Neues Wirtschaftswachstum zu generieren, sei eines der zentralen Ziele fast aller Bioökonomie-Strategien weltweit, auch in Deutschland. Aus naturwissenschaftlicher Sicht sei dies so aber nicht machbar, sagt Fritz. Er verweist auf Studien, die zeigen, dass die Endlichkeit der Ressourcen und die bereits vielfach überschrittenen Belastungsgrenzen der planetaren Ökosysteme eine endlose Ausweitung und Intensivierung der wirtschaftlichen Aktivität nicht erlauben. So ist beispielsweise Land nur begrenzt verfügbar, wird aber von vielen Bereichen wie Landwirtschaft, Verkehr oder Wohnungsbau benötigt. Hier scheinen Zielkonflikte und Widersprüche programmiert oder nicht?

Verschiedene Szenarien des biobasierten Wirtschaftens

Es gibt unterschiedliche, sogenannte Entwicklungspfade des biobasierten Wirtschaftens, die sich die Jenaer Forschungsgruppe genauer anschaut hat. Sie wollte erfahren, welche Mentalitäten dabei jeweils eine Rolle spielen, ob und wie sich Haltungen und Einstellungen der Menschen verändert haben und welche Konflikte auftreten. Insgesamt wurden vier Varianten von Bioökonomie untersucht und dafür jeweils Fallstudien in Finnland, Estland, Spanien und Deutschland durchgeführt.

Der erste Entwicklungspfad der Bioökonomie setzt stark auf Wachstum und den Einsatz von Technologie. Hierfür wurde eine Fallstudie in Finnland durchgeführt, wo eine hochmoderne Forstwirtschaft dominiert. „Diese Variante des biobasierten Wirtschaftens findet trotz starker Elemente einer Ausbeutung der natürlichen Ressourcen des Waldes, wie Kahlschlag und Monokulturen, mit Ausnahme einiger weniger breiten Zuspruch in der Bevölkerung“, sagt Fritz. Die Analysen ergaben auch, dass die Menschen in Finnland zum Wald ein ambivalentes Verhältnis haben. „Einerseits berichten sie davon, sich gern in ihrem Wald aufzuhalten und dass er gepflegt werden muss. Andererseits werden Bäume und Holz als wirtschaftliches Kapital betrachtet und versucht, so viel wie möglich aus dem Wald herauszuholen“. Insgesamt werde diese Art der Forstwirtschaft von den Akteurinnen und Akteuren selbst zumeist als sehr nachhaltig betrachtet, berichtet Fritz.

Forstwirtschaft Finnland
Forstwirtschaft in Finnland

Ein zweiter Bioökonomie-Pfad, der hinsichtlich der Nutzung von Technik eher ein traditionelles, insgesamt wachstumsorientiertes Wirtschaften fokussiert, wurde anhand des Olivenanbaus in der spanischen Provinz Jaén untersucht. Das Ergebnis hier: Der bis dato extensiv betriebene Olivenanbau stößt an seine Grenzen, weil das zu bewirtschaftende Land kaum mehr auszuweiten ist. „Da entstehen ganz eigene Konflikte und neuartige Strategien, um damit klarzukommen. So wird einerseits auf Intensivierung gesetzt, also mehr Bäume auf einer Fläche angebaut und versucht, durch den Einsatz von Maschinen und Technologie die Erträge zu erhöhen. Andere setzen darauf, weiter traditionell Oliven anzubauen oder stärker ökologische Richtlinien einzuhalten, um mehr hochwertige Öle herzustellen, die man zu einem höheren Preis auf dem Weltmarkt verkaufen kann“, erläutert Fritz.
 
Der dritte Pfad, den eine biobasierte Kreislaufwirtschaft einschlagen kann, verzichtet auf moderne Technologien und Wachstum. Im Rahmen dieser Fallstudie haben sich die Forschenden Kleingärten in Estland angeschaut, deren Besitzerinnen und Besitzer sich mit dem Anbau von Obst und Gemüse zu einem großen Teil selbst versorgen. Diese Art des biobasierten Wirtschaftens wird Fritz zufolge häufig von älteren Menschen betrieben, „die oft noch die von Mangel geprägte sozialistische Planwirtschaft erlebt und entsprechende Strategien des Improvisierens und der Selbstversorgung entwickelt haben“. Von Jüngeren werde das eher „als Rückschritt, altmodisch und anstrengend empfunden“. „Hier haben wir herausgefunden, dass diese Variante von Bioökonomie, die ja aus ökologischer Sicht am nachhaltigsten ist, in den gesellschaftlich, politisch und medial dominanten Debatten oft marginalisiert und abgewertet wird.“

Exemplarisch für den vierten Entwicklungspfad, der zwar auf moderne Technologie, aber weniger auf Wachstum setzt, wurden in Deutschland sogenannte Bioenergiedörfer untersucht. In diesen wird lokal gewonnene Biomasse, wie anfallende biologische Abfallstoffe aus der Landwirtschaft, zur eigenen Energieversorgung genutzt.

Die Analyse ist zwar noch nicht abgeschlossen. Erste Ergebnisse, die auf qualitativen Interviews von Beteiligten sowie einer standardisierten Befragung basieren, zeigen Fritz zufolge eine „interessante Konstellation“, was die Einstellungen der Leute zu sozial-ökologischen Themen im Allgemeinen und zur Bioökonomie im Speziellen betrifft. In den Bioenergiedörfern gibt es demnach „eine Mischung aus öko-sozial eingestellten Leuten, die sehr engagiert und von den Bioenergieanlagen überzeugt sind, und Leuten, die hauptsächlich ökonomisch interessiert sind und das gut finden, weil sie nicht mehr den teuren Strom kaufen müssen“.

Lilian Pungas stellt Ergebnisse ihrer Fallstudie vor
Projektmitarbeiterin Lilian Pungas stellt Ergebnisse ihrer Fallstudie vor.

Wachstumsorientierte Einstellung überwiegt

Die Auswertung der Fallstudien für Finnland, Spanien und Estland sowie Deutschland zeigt: Die Überzeugung, nachhaltig handeln zu wollen, geht Fritz zufolge nicht immer mit einer Abkehr von Vorstellungen weiteren Wachstums einher. Dies bestätigen insbesondere die Ergebnisse einer Repräsentativbefragung von 4.000 Personen in Deutschland, die auch im Rahmen des Jenaer Projekts durchgeführt wurde. „In Deutschland sind konservativ-steigerungsorientierte Mentalitäten stärker verbreitet als öko-soziale. Sie sehen in Biotechnologie und Bioindustrie bequeme Möglichkeiten, die ökologische Krise zu bewältigen, dabei den bisherigen Wachstumskurs fortzusetzen und nicht nachhaltige Lebensweisen weiterzuführen“, berichtet Fritz.
 
Bislang wird, so ein Fazit der Forschenden, das biobasierte Wirtschaften von der Bevölkerung tendenziell befürwortet. Zudem werde die Bioökonomie in der Gesellschaft als weniger konflikreich wahrgenommen als beispielsweise der Windkraftausbau. Fritz zufolge liegt das auch daran, „dass viele Menschen nicht genau wissen, was Bioökonomie ist und noch keine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung zu diesen Themen stattgefunden hat“.

Jobaussichten in der Bioökonomie eher gering

Eine wichtige Frage im Projekt war auch, wie sich die Erwerbsstrukturen im Bereich der Bioökonomie verändert haben. „Bis jetzt hat sich das Versprechen, dass die Bioökonomie ein Jobmotor ist, leider nicht erfüllt. Im Laufe der letzten Jahre sind die politischen Ziele in dieser Hinsicht auch stark relativiert worden“, sagt der Projektleiter.
 
Die Studien der Jenaer Forschungsgruppe zeigen, dass die Zahl der Beschäftigten in der Bioökonomie in den vergangenen Jahren eher zurückgegangen ist, vor allem in der Landwirtschaft. „Auch in den Bereichen, wo man gehofft hat, dass die Bioökonomie Jobs schafft, wie in der Biotechnologie und Wissenschaft, ist der Anteil gering“, sagt Fritz. In Deutschland arbeiten demnach nur zwischen 5 und 7 % der Beschäftigten in biobasierten Jobs. Zudem seien die Arbeitsbedingungen dort oftmals schlechter als in anderen Wirtschaftszweigen.

Weitere Informationen zum Projekt „Mentalitäten im Fluss. Vorstellungswelten in modernen bio-kreislaufbasierten Gesellschaften (flumen)“ finden sich auf der Projektseite der Universität Jena.

Biobasierte Bereiche der Wirtschaft aufwerten

Damit eine biobasierte Kreislaufwirtschaft gelingt, muss die Politik nach Einschätzung der Forschenden die biobasierten Bereiche der Wirtschaft „aufwerten und gesamtgesellschaftlich stärker auf Strategien der Suffizienz setzen“ – also Maßnahmen unterstützen, die Ressourcen, Umwelt und Klima schonen. Aber nicht nur das: „Es müssen Strukturen so verändert werden, dass gesellschaftliche, wirtschaftliche und subjektive Zwänge abgebaut werden, die es verhindern, dass Menschen nachhaltiger handeln“, sagt Martin Fritz.  Auch die stärkere Einbindung lokaler Akteure sowie der Bevölkerung in die Planung und Durchführung von Bioökonomie-Projekten ist demnach entscheidend, „um Demokratie und Partizipation zu fördern und die Menschen mitentscheiden zu lassen, wie ein gutes Leben in ökologischer Nachhaltigkeit vor Ort aussehen kann“.

Autorin: Beatrix Boldt