Ob Hitze, Trockenheit oder Starkregen: Der Klimawandel stellt die Landwirtschaft vor immer größere Herausforderungen. Auch im Alpenraum, wo es oft kühler ist und häufiger regnet, sind die Auswirkungen auf Wiesen, Weiden und Almen spürbar. Doch was bedeutet der Klimawandel für die sogenannte Grünlandproduktion? Und vor allem: Wie können Bäuerinnen und Bauern im Alpenraum auf diese Veränderungen reagieren? Mit diesen Fragen beschäftigten sich Forscherinnen und Forscher um Ralf Kiese vom Campus Alpin des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) im BonaRes-Projekt SUSALPSII. Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in der 2. Förderphase von 2018 bis 2022 mit rund 2,8 Mio. Euro gefördert.
Temperaturanstieg in den Alpen über globalem Durchschnitt
„Die Alpen sind ein klimasensitiver Raum, in dem der Klimawandel vergleichsweise schnell voranschreitet und in dem wir in den letzten Jahrzehnten bereits deutlich höhere Temperaturanstiege als im globalen Durchschnitt haben“, erklärt Projektleiter Ralf Kiese. In Höhen von 900 bis 1.000 Metern beträgt der Temperaturanstieg bereits heute 2 Grad Celsius. „Das macht sich – wie überall – auch in der Zunahme von Trockenperioden bemerkbar“, so Kiese. Damit Landwirtinnen und Landwirte im Alpenraum ihr Grünlandmanagement an die veränderten Bedingungen anpassen können, untersuchte das Projektteam wichtige Faktoren des Ökosystems.
Auswirkungen auf Gründlandproduktion
Im Mittelpunkt der Untersuchungen standen die Auswirkungen des Klimawandels auf verschiedene Funktionen von Grünlandökosystemen: die Produktivität und die Artenzusammensetzung, die mikrobielle Aktivität, die Effizienz der Stickstoffnutzung aus Gülle sowie die Wasser- und Kohlenstoffspeicherung im Boden. Da Grünland im Alpenraum relativ viel Kohlenstoff und Stickstoff im Boden speichert, interessierte das Team vor allem, ob steigende Temperaturen zu höherer Mineralisierung und damit zu einer Freisetzung von CO2 in die Atmosphäre beziehungsweise Nitrat ins Grundwasser führen.
Steigende Temperaturen begünstigen Grünlanderträge
„Was wir in den Ergebnissen sehen, ist, dass es bei diesen hohen Niederschlägen nur dann negative Auswirkungen des Klimawandels gibt, wenn Trockenheit dazukommt. Der eigentliche Temperaturanstieg führt dazu, dass die Grünlanderträge eher steigen, weil es noch ein temperaturlimitiertes System ist“, fasst Kiese zusammen. Im Alpenraum hat der Klimawandel bisher kaum negative Auswirkungen, aber nur so lange genügend Regen fällt. Im gesamten Untersuchungszeitraum von mittlerweile zehn Jahren gab es laut Kiese nur ein bis zwei Trockenperioden, die dann auch zu geringen Ertragseinbußen führten.
Ansonsten haben sich die steigenden Temperaturen bisher eher positiv auf die Biomasseproduktion und die Produktivität des Ökosystems ausgewirkt. Hier wurden Zuwächse von bis zu 10 % verzeichnet. „Der kritische Punkt liegt aber bei etwa 900 bis 1.000 Metern, wo es Jahresniederschläge von mehr als 1.000 mm gibt. Grünlandflächen unter 1.000 Meter und einem Jahresniederschlag von weniger als 1.000 mm sind für ausgedehnte Trockenperioden anfälliger.“
Kohlenstoff- und Stickstoffvorräte sinken durch erhöhte Mineralisierung
Das zusätzliche Wachstum kommt zum einen direkt von der höheren Temperatur, zum anderen aber auch indirekt über die Mineralisierung, da den Pflanzen damit mehr Stickstoff aus dem Boden zur Verfügung steht, der von ihnen in hohem Maße aufgenommen wird“, erklärt Kiese. Höhere Nitratausträge als Folge einer höheren Stickstoffverfügbarkeit durch Klimawandel und Mineralisierung konnte das Team daher nicht feststellen. Durch die erhöhte Mineralisierung nehmen aber derzeit die Kohlenstoff- und Stickstoffvorräte im Voralpengrünland tendenziell ab, wenn nicht durch eine Anpassung der Bewirtschaftung, also Schnitt- und organisches Düngermanagement, gegengesteuert wird. Grund dafür sind auch die sehr hohen Kohlenstoff- und Stickstoffvorräte der Grünlandböden. Diese liegen zwischen 5 und 10 %. Zum Vergleich: Der Anteil in Ackerböden liegt bei 1 bis 2%. „Da überlegen wir mit den Landwirten, welche Managementmöglichkeiten es gibt, um den Kohlenstoff im Boden so zu sichern, dass er zumindest gleich bleibt“, sagt Kiese.
Sozioökonomische Untersuchungen im Projekt haben gezeigt, dass der Klimawandel bereits heute die Grünlandbewirtschaftung und die Erträge der Landwirte beeinflusst. Doch wie wirkt sich der Klimawandel auf die Biodiversität aus? Veränderungen in der Futterqualität und im Artenreichtum von Pflanzen wie Leguminosen und Kräutern wurden Kiese zufolge nur nach längeren Trockenperioden beobachtet.
Grünlandmanagement per App neu ausrichten
Eine App soll daher künftig den Landwirtinnen und Landwirten beim Grünland-Management helfen und die Auswirkungen der unterschiedlichen Bewirtschaftungsformen auf Produktivität, Bodengesundheit und Nährstoffnutzungseffizienz anzeigen. Hier sind über eine digitale Karte für jede Grünlandfläche konkrete Klima- und Bodendaten hinterlegt, die neben Informationen vom Landwirt über die Bewirtschaftung die Eingangsdaten für eine Modellsimulation bilden. Die Resultate der Simulations-App werden über ein Ampelsystem angezeigt, zum Beispiel in welchem Bereich – grün, gelb, rot – sich der Ertrag sowie die Stickstoff- und Kohlenstoffbilanzen des Bodens befinden und liefern Vorschläge, wie oft gemäht und wie gedüngt werden sollte. „Ist die Kohlenstoffbilanz zum Beispiel im roten Bereich, kann der Landwirt eventuell mit Mulchen oder Festmist ausprobieren, die Humusbilanz auszugleichen und dabei etwaige Ertragsänderungen mit berücksichtigen“, erklärt Kiese. Mit Hilfe von Klimaszenarien lassen sich solche Berechnungen nicht nur für die aktuelle Saison, sondern auch für einen deutlich späteren Zeitpunkt durchführen.
Noch arbeitet das Forschungsteam daran, die App so benutzerfreundlich wie möglich zu gestalten. Ein erster Test mit zahlreichen Landwirtinnen und Landwirten soll noch in diesem Jahr starten. Mittlerweile befindet sich das Projekt SUSALPII in der dritten Förderphase, die ebenfalls vom BMBF unterstützt wird. Hier will das Projektteam untersuchen, wie das Management verbessert werden kann, um regional Produktivität, Bodenkohlenstoffspeicherung und Biodiversität zu optimieren. „Phase 2 hat gezeigt, dass überall dort, wo die Biodiversität hoch und die Nutzungsintensität niedrig ist, auch der Bodenkohlenstoff höher ist“, sagt Kiese.
Biodiversität durch veränderte Nutzungsintensität steigern
In der 3. Phase will das Team nun räumlich analysieren, inwieweit verschiedene Wiesen unterschiedlich intensiv bewirtschaftet werden könnten, um sowohl die Produktivität als auch die Biodiversität zu steigern. „Wenn wir zum Beispiel einerseits Flächen mit mittlerer Nutzungsintensität intensivieren und so den Ertrag steigern, können wir andererseits auf anderen Flächen die Bewirtschaftung extensivieren. Das wäre dann gut für die Artenvielfalt und auch für den Kohlenstoffpool im Boden“, sagt Kiese.
Autorin: Beatrix Boldt