Biosynthese für fluorierte Arzneistoffe
Ein neues Verfahren ermöglicht die Verbesserung zahlreicher Medikamente, darunter Antibiotika, Antidepressiva und Cholesterinsenker.
Fluor ist ein kleines Atom mit großer Wirkung: Seit Jahrzehnten nutzt die Pharmaindustrie es, um medizinische Wirkstoffe zu verbessern. So kann Fluor die Bindung eines Wirkstoffs an sein Zielmolekül verbessern, die Verfügbarkeit des Wirkstoffs für den Körper erhöhen oder die Verweildauer des Wirkstoffs im Körper verändern. Bislang erforderte der Einbau des Fluors meist aufwendige chemische Synthesen. Jetzt hat ein Forschungsteam im Fachjournal „Nature Chemistry“ ein biotechnologisches Verfahren dafür vorgestellt.
Fluorierung trotz hohen Aufwands populär
Als „brachial“ bezeichnet Martin Grininger, Professor für Organische Chemie und Chemische Biologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, die bisherige chemische Methode und benennt als weiteren Nachteil, „dass man in der Auswahl der Position, an die das Fluor angefügt werden soll, sehr eingeschränkt ist“. Trotzdem sind die Vorzüge so groß, dass fast jeder zweite in den USA zugelassene Wirkstoff mit weniger als 100 Atomen Größe mindestens ein Fluoratom enthält.
Grininger und sein Team wollten die schwierige Synthese der Natur überlassen. Lebewesen sind bekanntlich ausgezeichnet darin, mit ihren Enzymen auch komplexe biochemische Reaktionen unter milden Reaktionsbedingungen umzusetzen. Die Fachleute wählten daher ein Bakterium, das natürlicherweise das Antibiotikum Erythromycin bildet. In dessen Biosyntheseweg schleusten sie ein angepasstes Protein aus der Maus ein, das in der Lage ist, Fluor in das Antibiotikum zu integrieren.
Fluor bei der Biosynthese einschleusen
„Wir schleusen die fluorierte Einheit während des Herstellungsprozesses ein, das ist effektiv und elegant“, schildert Grininger einen weiteren Vorteil, „denn es erlaubt die sehr flexible Positionierung des Fluors im Naturstoff, wodurch dessen Wirksamkeit beeinflusst werden kann.“ Tatsächlich konnte das Forschungsteam bereits zeigen, dass der fluorierte Wirkstoff auch gegen Erreger wirkt, die gegen gewöhnliches Erythromycin resistent sind.
Doch dabei wollen die Forschenden es nicht belassen: „Das Spannende ist, dass wir mit dem Erythromycin einen Vertreter einer ungeheuer großen Stoffklasse fluorieren konnten, den sogenannten Polyketiden“, sagt Grininger. Es seien rund 10.000 Polyketide bekannt und viele würden als Naturstoffmedikamente wie zum Beispiel als Antibiotika, Immunsuppressiva oder Krebsmittel genutzt. „Unser neues Verfahren hat daher ein riesiges Potenzial zur chemischen Optimierung dieser Naturstoffgruppe – bei den Antibiotika vor allem die Überwindung von Resistenzen.“
Start-up soll Verfahren in die Praxis bringen
Das Team testet nun die antibiotische Wirkung weiterer fluorierter Erythromycin-Verbindungen und Polyketide. „Unsere Technologie kann einfach und schnell neue Antibiotika generieren und bietet nun ideale Anknüpfungspunkte für Projekte mit industriellen Partnern“, wirbt Griningers Kollege Mirko Joppe. Ein Start-up soll dabei helfen, das neue Verfahren schnell in die Praxis zu bringen. Die Chancen sind nicht schlecht, denn die Entwicklung neuer Antibiotika ohne Vorarbeit aus der öffentlichen Forschung ist für die Branche oft unwirtschaftlich.
bl