„Die Nutzung von Reststoffen verbessert die Wertschöpfung“
Stefan DrögeBeruf:
Mikrobiologe
Position:
Abteilungsleiter Biotechnologie beim Prüf- und Forschungsinstitut Pirmasens (PFI)
Beruf:
Mikrobiologe
Position:
Abteilungsleiter Biotechnologie beim Prüf- und Forschungsinstitut Pirmasens (PFI)
Reststoffe wie Backwaren haben für Stefan Dröge ein erhebliches Rohstoffpotenzial – nicht nur für Biokraftstoffe, sondern auch für Plattformchemikalien.
Ob Altbackwaren oder Teigreste vom Pizzabäcker: Was in der Biotonne oder im Futtertrog landet, ist für Stefan Dröge der Rohstoff für neue nachhaltige Produkte. Am Prüf- und Forschungsinstitut Pirmasens (PFI) arbeitet der Mikrobiologe an Verfahren, um Reststoffe aus der Lebensmittelproduktion und dem Agrarsektor für die Produktion von Plattformchemikalien und Biogas nutzbar zu machen. Gerade in der kombinierten stofflichen und energetischen Nutzung der Biomasse sieht Dröge das Potenzial für eine verbesserte Wertschöpfungskette.
Was macht Backwaren für die Bioökonomie so interessant?
Reststoffe aus der Backwarenindustrie fallen jedes Jahr in erheblichen Mengen an, deutschlandweit reden wir von rund 500.000 Tonnen, EU-weit fallen ca. 3 Millionen Tonnen an. Zum einen handelt es sich hierbei um Produktionsausschuss, wie etwa Teig aus der Tiefkühlpizza-Produktion, aber auch um Rückläufer, also nicht abverkaufte Ware aus den Bäckerei-Filialen. Derzeit werden diese Reste vorwiegend energetisch (Biogasproduktion) oder in der Futtermittelproduktion verwertet. Aufgrund des hohen Stärkegehaltes eignen sich Backwaren aber auch hervorragend als Rohstoff für die fermentative Produktion von biobasierten Grundstoffen für die chemische Industrie.
Welche Inhaltsstoffe sind von Nutzen und für welche Anwendungen sind sie geeignet?
Diese Reststoffe bestehen zu rund 50 % aus Stärke, weiterhin enthalten sie hohe Anteile an Protein und Fetten. Für die biotechnologische Produktion von Grundchemikalien nutzen wir zunächst den Stärkeanteil. Die Stärke lässt sich leicht in Gluose aufspalten und dieser Zucker kann für die fermentative Produktion verschiedener Basischemikalien wie Alkohole, Lösungsmittel und organische Säuren genutzt werden. Die Protein- und Fettanteile können darüber hinaus sehr gut bioenergetisch genutzt werden. Die hieraus resultierende thermische und elektrische Energie kann wiederum für sogenannte Downstream-Verfahren eingesetzt werden, konkret für die Aufkonzentrierung und Aufreinigung der oben genannten chemischen Zielprodukte. Damit bietet der Rohstoff eine sehr gute Basis für eine gekoppelte stoffliche und energetische Nutzung und damit eine verbesserte Wertschöpfung.
Die Nutzung von Ausschussware der Backwaren- und Tiefkühlpizza-Industrie stand im Fokus eines Projektes. Welche Ergebnisse konnten hier erzielt werden?
Im Rahmen eines anwendungsnahen Forschungsprojektes konnten wir die gekoppelte stoffliche und energetische Nutzung von Teigresten am Beispiel einer Alkohol- und Lösungsproduktion demonstrieren. Hierbei wurde der Stärkeanteil der Teigreste zu Aceton, Butanol und Ethanol fermentiert – chemische Grundstoffe, die vielfältige Anwendungen in der Industrie und als Biotreibstoffe finden. Im Anschluss wurden die Fermentationsreste, einschließlich der verbliebenen Fett- und Proteinanteile, zu Biogas umgesetzt.
In einem vom BMBF geförderten Projekt ist es gelungen, durch die Fermentation von aufgeschlossenem Stroh die wertvolle Plattformchemikalie Bernsteinsäure herzustellen und gleichzeitig Biogas zu gewinnen. Wie ist der aktuelle Entwicklungsstand?
Die Nutzung von Stroh für Fermentationsverfahren wird aktuell in einem breit angelegten regionalen Verbundvorhaben weiterverfolgt. Das PFI, die Hochschule Kaiserlautern, die Zukunftsregion Westpfalz sowie mehr als 30 regionale Industriepartner und weitere Forschungsinstitute haben sich hier erfolgreich im Rahmen der BMBF-Initiative WIR! (Wandel durch Innovation in der Region) beworben. Auf dieser Grundlage wird das von den Verbundpartnern eingereichte Strategiekonzept Waste2Value in den kommenden sechs Jahren vom BMBF mit bis zu 16 Mio. Euro gefördert. Das übergreifende Ziel von Waste2Value ist die Produktion von biobasierten Kunst- und Klebstoffen auf Basis von Rest- und Abfallstoffen aus Industrie und Landwirtschaft. Hierfür soll das Verfahren zur reststoffbasierten Gewinnung von Plattformchemikalien wie Bernsteinsäure in die industrielle Anwendung gebracht werden.
Das PFI ist Teil des 2020 gegründeten Bioökonomie-Clusters der Zuse-Gemeinschaft. Welche Vorteile bietet das Netzwerk dem PFI?
Im Bioökonomie-Cluster der Zuse-Gemeinschaft haben sich rund 20 Forschungsinstitute zusammengefunden, die in ganz unterschiedlichen Industriebranchen aktiv sind und ein sehr breites Spektrum wissenschaftlicher und technischer Kompetenzen einbringen. Damit eröffnen sich für das PFI vielfältige neue Kooperationsmöglichkeiten. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf komplexe verfahrenstechnische Entwicklungen und branchenübergreifende Lösungen. Um beispielsweise verstärkt biobasierte Kunst- und Verbundwerkstoffe in der industriellen Anwendung zu etablieren, müssen umfangreiche Expertisen aus verschiedenen Bereichen wie der Bioverfahrenstechnik, der Kunststofftechnik und der Materialwissenschaften einfließen. Hierfür bietet der Bioökonomie-Cluster eine hervorragende Plattform.
Interview: Beatrix Boldt