Die Kreislaufdenkerin
Sina Leipold
Beruf:
Sozialwissenschaftlerin & Juniorprofessorin
Biopionierin für:
Kreislaufwirtschaft und nachhaltiges Denken
Morgengrauen über der Stiftskirche Altenburg. Männer in langen faltenreichen Gewändern wandeln durch den Kreuzgang zum Chor, um zu beten. Gemeinsame Gesänge, Lobpreisungen – Jeden Morgen geht das so, Jahr für Jahr unverändert. Seit dem frühen Mittelalter hält die Gemeinschaft das Leben der Mönche zusammen. Die Benediktiner haben sich einem Regularium verschrieben, das Glaube mit Arbeit und Alltag in faszinierender Weise verbindet.
Klöster zählen zu den nachhaltigsten Institutionen der Welt, eine Tatsache, der Sina Leipold an ihrer ersten Arbeitsstelle an der Universität für Bodenkultur Wien nachgegangen ist. Wie wirkt sich die Spiritualität der Mönche auf ihr Verhalten aus, wie prägt sie ihr Handeln? Benediktiner achten die Schöpfung. Sie legen Wert auf ein maßvolles Leben. Sie lehnen Eigentum ab und sie sind geschickte Wiederverwerter. Entscheidend für ihr Zusammenleben aber ist das Einhalten und Durchsetzen ihrer Regeln. Für die Sozialwissenschaftlerin steht fest: „Der Erfolg nachhaltigen Handelns ist ganz wesentlich vom sozialen Gefüge abhängig.“ Doch lässt sich die heilig-heile Welt der Mönche auch auf die Verhältnisse außerhalb der Klostermauern übertragen?
Pappschalen, Plastikkörbchen, Jutebeutel, Plastiktüten, Glasbehälter – ein bunter Mix alltäglicher Verpackungsmittel und Einkaufshilfen füllt den Tisch. Sina trifft ihre wissenschaftliche Nachwuchsgruppe zur Auswertung im Seminar. Seit 2016 hat die Junior-Professorin den Lehrstuhl für gesellschaftliche Transformation und Kreislaufwirtschaft an der Uni Freiburg inne.
Ihr aktuelles Projekt heißt „Circulus - Transformationspfade und -hindernisse zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft in der Bioökonomie“.
Was sich kompliziert anhört, lässt sich am besten an einem Beispiel erklären: Man nehme ein einfaches Obstkörbchen, wie in jedem Supermarkt erhältlich. Vorhanden in zwei gängigen Ausführungen, z.B. als klassisches PET Körbchen mit Weintrauben drin, und als Schale aus Wellpappe für Blaubeeren mit einer Folie drüber.
Die Verbraucher haben die Wahl zwischen der Plastikverpackung aus Erdöl oder der Pappschale aus Holz. Der bioökonomische Aspekt daran ist, dass die Pappschale aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnen wurde, sich besser als Plastik recyceln lässt und sich anschickt, den Plastikbehälter irgendwann einmal ganz zu ersetzen. Was hat nun die bessere Energiebilanz? Was ist besser für die Umwelt? Dazu hat Sina mit ihrem Team eine umfassende Studie erstellt:
„Das Obstkörbchen aus Wellpappe schneidet bzgl. der CO2 Emissionen um 30 % besser ab als die Plastikverpackung. Weil aber auch Pappe und Papier hergestellt, transportiert und recycelt werden müssen, schmilzt das Einsparpotenzial schnell dahin, wenn der Verbrauch insgesamt nicht gesenkt wird. Wir sprechen da von einem Rebound Effekt: die Abfallmengen wachsen jedes Jahr, die Sachen werden besser recycelt, man hat mehr zur Verfügung und die Leute konsumieren es umso mehr.“
pro Kopf und Jahr (Stand 2020)
Das gilt für allem für Deutschland. Im EU-Vergleich produzieren wir hierzulande den meisten Verpackungsmüll. Zurzeit liegt er bei 226 Kilogramm pro Kopf und Jahr. Ein Großteil davon entfällt auf Einwegverpackungen. Sina bemängelt: Selbst Biolebensmittel werden noch mehr verpackt, um sie wertiger erscheinen zu lassen, was die Idee der Nachhaltigkeit unterläuft. – Verpackungsfluch allerorten?
Der Bioladen Verde in der Freiburger Innenstadt: Hier gibt es frisches Obst, Gemüse und ein großes Sortiment von Bio-Produkten. Das Prunkstück des Ladens ist ein formschönes Silosystem aus in Schichtholz eingefassten Glaszylindern. Gefüllt mit trockener Rieselware, die unverpackt auf fleißige Kundschaft wartet. Sina hält ein großes Glas unter den Spender und drückt den Hebel nach hinten. Einmal hier, einmal dort. Schnell füllen sich die Gefäße: mit Erdbeer-Crunchy-Müsli und mit der würzigen Freiburger Nussmischung. An einer anderen Station gibt es sogar Waschmittel zum Selbstabfüllen. Das Unverpackt-Prinzip eignet sich jedoch nicht für alle Produkte. Und schon aus hygienischen müssen die Trockenfüllungen verpackt angeliefert werden. Sina konstatiert:
"Völlig unverpackt zu leben, ist einfach illusorisch und deswegen ist es glaube ich nicht das Ziel völlig unverpackt zu sein, sondern das auf ein Maß zu reduzieren, mit dem wir pragmatisch leben können und das gleichzeitig so weit wie möglich Ressourcen einspart."
Sina Leipold - im Video
Das ist auch das große Anliegen der Europäischen Union. Im Frühjahr 2020 hat die EU einen Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft herausgegeben. Ziel ist es, das Abfallaufkommen zu verringern, „indem genutzte Ressourcen so lange wie möglich in der Wirtschaft verbleiben“, sprich wiederverwendet und recycelt werden. Ein Beispiel, das jeder kennt, ist das Sammelkonzept des Wertstoffhofes mit seinen verschiedenen Abfallfraktionen: Sperrmüll, Altholz, Metallschrott, Pappe und vieles mehr.
Der Recyclinghof St. Gabriel in Freiburg ist einer von ihnen. Wie viele andere wird er meist von den städtischen Kommunen getragen. Auch hier gilt die Gleichung vom Obstkörbchen: 80-90% der Pappe können recycelt werden, beim Kunststoff sind es dagegen nur 15-20%, weil es billiger ist ihn neu herzustellen als ihn wiederzuverwerten. Sina spricht mit dem Schichtleiter und dem Mann an der Kartonannahme. Wie effektiv ist das Recyclingsystem und wie kann es der Bioökonomie dienen?
"Ich glaube einer der wichtigsten Aspekte der Bioökonomie, der in den letzten Jahren an Auftrieb gewonnen hat, ist, dass sozialwissenschaftliche Forschung und ein gesellschaftliches Verständnis extrem wichtig sind. Bioökonomie war jahrelang stark auf Biotechnologie fokussiert, auf neue Recyclingtechniken, gleichzeitig zeigt die aktuelle Literatur, dass diese technischen Fortschritte uns eigentlich nie zu einem wirklich nachhaltigen Leben geführt haben."
Technik ist eben kein Selbstläufer. Es kommt darauf an, wie ihr Einsatz in der Praxis geregelt wird. Der Verteilungskampf um die Wertstoffe hat schon längst begonnen. Ob private Anbieter oder die Kommunen, alle versuchen die Entsorgung und Verarbeitung mit dem Wertstofferlös aufzuwiegen. Wer trägt die Kosten? Was ist gerecht? Darüber herrscht oft Streit, wie beim neuen Verpackungsgesetz von 2019. Keiner wollte zu den Verlierern zählen.
Sozialwissenschaftliche Diplomatie könnte da helfen. Sina sieht es als ihre Aufgabe verbindliche Sprachregelungen zu finden: Wie werden komplexe Begriffe wie Bioökonomie und Kreislaufwirtschaft von verschiedenen Parteien überhaupt verstanden? Wie kann man Narrative so entwickeln, dass die Akteure eine gemeinsame Vision verfolgen?
Generell zeigt sich: Privater Konsum hat nur eine geringe Wirkung. Darum setzt die Juniorprofessorin auf klare Vorgaben der Politik, die nicht von Einzelentscheidungen abhängen. Mit ihren Analysen will sie „Alternativen aufzeigen und politische Prozesse mit beeinflussen.“
Auf St. Gabriel ist die Sache zunächst geregelt: Die Verbraucherinnen und Verbraucher bringen ihren Sperrmüll zu den jeweiligen Sortierstationen und dort wird sich darum gekümmert. Verglichen mit anderen privatwirtschaftlich dominierten Ländern ist das nicht selbstverständlich:
„Alles, was so im Hintergrund läuft, der Recyclinghof, die Müllabfuhr, die ganzen kommunalen Dinge, die wir jeden Tag nutzen, das ist alles etwas, was wir als Gemeinschaft stemmen, wo wir uns dafür entschieden haben und Steuern zahlen. Ich glaube, darüber sind wir uns in unserem täglichen Leben nicht bewusst. Das sind viele Dinge, die wir als Gemeinschaft machen, die nicht so sichtbar sind, aber unser ganzes Leben stützen.“
Mit dem sozialen Gedanken schließt sich der Kreis zum Kloster. Der Erfolg der Bioökonomie hängt nicht nur von exzellenter Technik ab, sondern auch von verbindlichen Regeln, die von der Gemeinschaft getragen werden.
Ein Knackpunkt bleibt: das selbstlose Leben der Mönche steht im Gegensatz zum Konsumdenken und Privatbesitz in der sozialen Marktwirtschaft.
Aber für hehre Ziele lohnt es zu kämpfen:
Sina Leipold - im Podcast
Sina Leipold will das Wirtschaften nachhaltiger machen. Dafür untersucht die Sozialwissenschaftlerin, wie Nachhaltigkeit in der Praxis geregelt ist, wie z.B. beim Einsatz und Umgang mit Verpackung. Ziel der Juniorprofessorin ist es, Denk- und Handlungsoptionen für eine biobasierte Kreislaufwirtschaft aufzuzeigen. Davon sollen Politik, Wirtschaft und Verbraucher gleichermaßen profitieren.