Von der Kuh zum Konsumenten

Von der Kuh zum Konsumenten

Agrar- und Ernährungsforscher aus Kiel haben das Nahrungsmittel Milch unter die Lupe genommen und dabei die gesamte Wertschöpfungskette vom Erzeuger bis zum Konsumenten untersucht.

Wann und wie viel sind Kunden bereit in Milchprdukte zu investieren? Diese und weitere Fragen hat das Kompetenznetzwerk "FoCus - Food Chain Plus" unter Kieler Leitung untersucht.

Milch und Milchprodukte wie Käse oder Joghurt gehören zu den Lieblingsnahrungsmitteln der Deutschen und verzeichnen schon seit Jahren ein stetig steigendes Umsatzwachstum. Besonders sogenannte funktionelle Milchprodukte wie verdauungsfördernde Joghurtdrinks oder cholesterinsenkende Brotaufstriche haben in den letzten Jahren den Markt erobert. Doch was steckt wirklich in diesen Produkten, was genau sind die gesundheitsfördernden Bestandteile der Milch und wie kann man diese gezielt nutzen? Und nicht zuletzt: wie und warum entscheidet sich der Verbraucher dafür, ein Produkt zu kaufen?

Kompetenznetz rund um die Milch

Diesen und vielen weiteren Fragen rund um das Thema Milch – von der Produktion bis hin zum Verbrauch – ist das Kompetenznetzwerk „Agrar- und Ernährungsforschung (AgroClustER): FoCus – Food Chain Plus“ unter der Leitung der Verbundprojektsprecherin Karin Schwarz an der Christian-Albrechts-Universität (CAU) zu Kiel nachgegangen. Das Mammutprojekt mit vier Verbundprojekten und insgesamt 25 Teilprojekten wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) von 2010 bis 2016 mit 8,7 Mio. Euro gefördert.

„Unser Ziel war es, die Wertschöpfungskette der Milch beziehungsweise der Milchprodukte an einem Standort komplett abzubilden und somit das Thema Milch in all seinen Aspekten zu beleuchten – angefangen beim Futter für die Kühe bis hin zu gesundheitlich relevanten Fraktionen in der Milch, deren tatsächliche Wirkung und schließlich bis hin zur Kaufentscheidung der Konsumenten“, erläutert Schwarz.

Der Standort Kiel ist geradezu prädestiniert für ein solch umfassendes Projekt. Nicht nur die CAU selbst konnte mit der Kompetenz ihrer Agrar- und Ernährungswissenschaftlichen und Medizinischen Fakultät vor Ort aufwarten, auch zwei vor Ort angesiedelte Max-Rubner-Institute, zum einen für Qualität und Sicherheit bei Milch und Fisch und zum anderen für Mikrobiologie und Biotechnologie, waren involviert. Zusätzlich brachte auch das Leibniz-Institut für die Biologie von Nutztieren in Dummerstorf seine Expertise zum Thema Milchvieh ein. Als Industriepartner hat die Firma Müllermilch das Projekt unterstützt.

Einzigartige Kohorte mit 2.000 Probanden

Für ihre Studien stand eine bemerkenswert hohe Zahl an Probanden zur Verfügung: „Wir konnten eine Kohorte von etwa 2.000 Probanden aufbauen – eine solche hohe Probandenzahl als Basis für Interventionsstudien ist nahezu einzigartig“, so Schwarz. Die sogenannte Kieler Interventions-Kohorte (KIK) soll auch weiterhin befragt und untersucht werden, um etwaige Langzeiteffekte auf Gesundheit und Verbraucherverhalten bestimmen zu können. Für das langfristige Management und weitere Untersuchungen anhand der Kohorte wurde extra eine neue Professur für klinische Ernährungsmedizin mit Matthias Laudes an der CAU eingerichtet.

„In einem unserer Teilprojekt war es unser Ziel, die nützlichen Inhaltsstoffe der Milch, wie Proteine, Peptide oder Oligosaccharide, zu isolieren und neuen Funktionen zuzuführen“, so Schwarz. Ihr Team untersuchte unter anderem Milchproteine als mögliche Wirkstoffträger: „Knoblauch und Knoblauchpillen gelten als gesundheitsfördernd, vor allem der Inhaltsstoff Allicin. Doch der Nachteil solcher Kapseln ist der häufig penetrante Knoblauchgeschmack“, so Schwarz. Und tatsächlich: Den Forschern ist es gelungen eine neue, geschmacksneutrale Formulierung für Getränke  herzustellen, bei der ein Milchprotein – ein Beta-Lactoglobulin – als Transporter für den Knoblauchwirkstoff Allicin fungiert. „Dieses Teilprojekt resultierte am Ende sogar in einer Patentanmeldung“, berichtet Schwarz.

Komplexe Projektplanung

Ein solch komplexer Rundum-Blick auf das Thema Milch, der sowohl die optimale Futterzusammensetzung für die Milchproduktion als auch gesundheitliche Auswirkungen bestimmter Inhaltsstoffe der Milch auf den Konsumenten abzudecken versucht, war eine enorme Koordinationsaufgabe, berichtet Schwarz. Die zahlreichen FoCus-Teilprojekte mussten immer wieder aufeinander abgestimmt werden, damit die Vernetzung zwischen den einzelnen Forschergruppen und 25 Teilprojekten gelang.

MEHR INFOS

Das Kompetenznetzwerk "FoCus - Food Chain Plus"

Soziale Netzwerke beeinflussen Kaufentscheidung

Ein Schwerpunkt des Mammutprojektes lag auf dem Konsumentenverhalten und welche Faktoren die Kaufentscheidung verschiedener gesundheitsfördernder Milchprodukte beeinflussen. Hierzu wurde zunächst untersucht, wie sich die Kunden eine Meinung über Nutzen und Qualität funktioneller Milchprodukte bilden.

„Diese Consumer beliefs werden sehr stark von dem sozialen Netzwerk, also den Peer-Groups, beeinflusst“, erklärt Schwarz. Die Empfehlung eines Produktes durch Freunde oder Familie sei dabei wesentlich nachhaltiger und effektiver als mediale Werbung oder fiskale Ansätze. Im Gegenzug passen sich die Menschen auch häufig der überwiegenden Meinung und dem Kaufverhalten ihrer Peer-Group an, wie Teilprojektleiter Christian Henning, Agrarökonom an der CAU, mithilfe der KIK-Kohorte herausfand.

In einem weiteren Teilprojekt unter der Leitung von Awudu Abdulai, Ernährungsökonom an der CAU, wurde untersucht, welche Funktionalitäten oder „Health Claims“ der Milchprodukte den Konsumenten am wichtigsten und wertvollsten erschienen. „Omega-3-Fettsäuren und der Health Claim ‚Unterstützt gesunde Blutgefäße und einen gesunden Stoffwechsel‘ waren den Teilnehmern der Studie besonders wichtig“, sagt Schwarz. Tatsächlich gaben die Verbraucher an bereit zu sein, bis zu 20 Cent mehr für ein funktionelles Milchprodukt mit Omega-3-Fettsäuren zu bezahlen. Funktioneller Frischkäse oder funktionelles Speiseeis hingegen wurden von den Probanden nahezu ignoriert.

Einkommen, Alter und Anzahl bestimmen Kaufverhalten

„Besonders entscheidend für das Konsumentenverhalten sind zudem zahlreiche sozioökonomische Charakteristika, wie das Einkommen, das Alter oder die Anzahl der Personen in einem Haushalt“, betont Schwarz. So erhöhe ein hohes Einkommen die Wahrscheinlichkeit, funktionelle Milchprodukte zu kaufen. Ältere Leute hingegen tendierten zu funktionellen Joghurtprodukten. Zudem kauften männliche Ein-Personen-Haushalte insgesamt weniger funktionelle Milchprodukte als weibliche. Und Menschen in Großstädten kauften mehr funktionelle Milchgetränke als Menschen auf dem Land.

Höhere Preise für funktionelle Milchmischgetränke

„Unsere Ergebnisse sind besonders für die Lebensmittelhersteller von Bedeutung“, sagt Schwarz. „Sie können so ihre Zielgruppe besser abschätzen.“ Denn auf dem eigentlich gesättigten Lebensmittelmarkt in Deutschland sei der Konsum funktioneller Milchprodukte noch immer sehr ungleichmäßig verteilt und auf bestimmte Segmente konzentriert.

In Deutschland sind bereits über 2.000 verschiedene Joghurts in mehr als 250 Produktlinien auf dem Markt erhältlich. Die funktionellen Produktvarianten stellen dabei 14% des Joghurtmarktes und 25% der Milchmischgetränke. Insgesamt haben innerhalb des fünfjährigen Beobachtungszeitraumes 82% der Haushalte bereits einen funktionellen Joghurt gekauft und 69% ein funktionelles Milchmischgetränk. Das Potenzial für einen größeren Ab- und Umsatz für funktionelle Milchprodukte ist also durchaus gegeben. Allerdings verzichten vor allem geringverdienende Haushalte am ehesten auf funktionelle Milchmischgetränke und klassifizieren diese somit als ein „Luxusprodukt”.

„Zusammengenommen heißt das: die Bereitschaft ist da, mehr Geld für funktionelle Milchprodukte auszugeben“, betont Schwarz, „das ist aber jeweils personen- und produktabhängig“. Die Health Claims müssten zudem spezifisch und prägnant genug sein, um vom Kunden als höherwertiges und auch teureres, Produkt akzeptiert zu werden.

Autorin: Judith Reichel