Mildere Reaktionsbedingungen, günstige Substrate und weniger unerwünschte Nebenprodukte: Es gibt viele Gründe, weshalb die chemische Industrie zunehmend traditionelle chemische Synthesewege durch biotechnologische Produktionsverfahren ersetzen will, bei denen Enzyme als Katalysatoren fungieren. Möglich wird das, weil eine Vielzahl der chemischen Verbindungen, die industriell benötigt werden, auch natürlicherweise in lebenden Zellen vorkommen. Doch welches Enzym ist für die jeweilige Anwendung das richtige?
Entwicklungsdauer von sieben auf ein Jahr verringern
Diese Frage war der Ausgangspunkt für das Forschungsprojekt MetaCat („A metagenomic collection of novel and highly efficient biocatalysts for industrial biotechnology“), an dem mehrere Partner aus Hochschule und Industrie beteiligt waren. „In der Literatur sind viele Enzyme beschrieben, die aber in der Praxis nicht verfügbar sind“, erläutert Wolfgang Streit, Biotechnologe an der Universität Hamburg und Koordinator des Projekts. Möchte ein Unternehmen eine bestimmte Verbindung enzymatisch herstellen, muss es erst ein Enzym identifizieren, das diese Fähigkeit besitzt. Außerdem sollte das Enzym ein gut verfügbares und möglichst günstiges Substrat verwenden und unter industriellen Rahmenbedingungen wie erhöhter Temperatur oder in der Gegenwart von Lösungsmittel stabil und produktiv sein.
Nicht zuletzt muss es gelingen, das Enzym selbst mit den etablierten Methoden in ausreichender Menge herzustellen. „Wenn Sie versuchen, 100 Enzyme zu exprimieren, kann das leicht bei 80 scheitern“, weiß Streit. Die Entwicklungszeit für ein Enzym betrage daher normalerweise fünf bis sieben Jahre. „Unser Ziel war es, diese Zeit auf weniger als ein Jahr zu reduzieren.“
Ein Katalog von Plattformenzymen
Um das zu erreichen, wollten die Wissenschaftler promiske Enzyme identifizieren, also solche, die mit einer Vielzahl von Substraten funktionieren. Es sollte ein Katalog von „Plattformenzymen“ für industriell wichtige Reaktionsschritte entstehen, die dann nur noch im Bedarfsfall für die jeweilige Anwendung angepasst werden müssten. „Natürlich erzielt ein solches Enzym nicht mit jedem Substrat die gleiche Produktionsrate“, schränkt Streit ein. Der entsprechende Stoffwechselweg müsse dann optimiert werden. „Aber da ist man mittels evolutiver Ansätze dann schneller am Ziel als mit einer ganz neuen Suche und das sogar stereospezifisch.“
Zunächst konzentrierten sich die Projektpartner vor allem auf zwei Arten von Enzymen, für die sich die Industriepartner Bayer AG, Novozymes A/S und Evoxx besonders interessierten: Lipasen und Esterasen. Durchsucht haben sie Metagenom-Sammlungen, also die genetischen Informationen aller Mikroorganismen ganzer Boden- oder Gewässerproben. So fanden unzählige Arten Berücksichtigung, die bislang nicht im Labor vermehrt und charakterisiert werden können. „Wir haben versucht, eine breite Biodiversität abzubilden“, erläutert Streit. Wichtig sei außerdem gewesen, ob die Enzyme bei mindestens 60 bis 80° C, also typischen Produktionsbedingungen in der Industrie, aktiv sind und ob sie lösungsmitteltolerant sind. Letzteres ist von Bedeutung, da viele Substrate nicht wasserlöslich sind und daher Lösungsmittel erfordern.
Im Labor wurde getestet, mit welchen Substraten die jeweiligen Enzyme funktionieren.
Enzym mit 78 möglichen Substraten
Die Projektpartner – neben der Industrie die Universitäten Hamburg, Düsseldorf, Göttingen, Bangor (UK), das Forschungszentrum Jülich und das Spanische Institut für Katalyse – haben schließlich aus mehreren zehntausend Kandidatensequenzen rund 150 Enzyme ausgewählt und charakterisiert. Zunächst testeten die Forscher die Enzyme mit Substraten, die im Labor gut zu handhaben sind. Sobald ein Enzym in ausreichender Menge verfügbar war, ermittelten sie die Aktivität mit 144 unterschiedlichen Substraten, darunter vor allem industrierelevante – schließlich sollten die Ergebnisse des Projekts erfolgreich Eingang in die Praxis finden. So viele Enzyme aktiv zu bekommen und im Milligramm-Bereich zu exprimieren, sei die größte Schwierigkeit gewesen, schildert Streit. Doch die Mühe habe sich gelohnt: „Wir haben sogar ein Enzym mit 78 Substraten gefunden“, berichtet der Biotechnologe, der sich seit den späten 1990er Jahren mit diesem Thema befasst. Insgesamt besaßen 20 bis 30 der getesteten Enzyme eine extreme Substratvielfalt.
Wie viele dieser Enzyme bereits Eingang in die Produktionsprozesse gefunden haben, „darüber spricht die Industrie nicht viel“, schmunzelt Streit. „Aber unsere Partner haben uns nicht nur die 20 bis 30 Enzyme praktisch aus der Hand gerissen.“ Das Potenzial der MetaCat-Toolbox sei immens, zumal man nicht wisse, welche Enzyme man davon vielleicht morgen benötige. Das mit 2,4 Mio. Euro von der Europäischen Kommission im Rahmen des Programms „Industrielle Biotechnologie für Europa“ (ERA-IB) geförderte Projekt hat damit alle Ziele erreicht.
Active Site definiert Promiskuität
Längst blicken die Forscher daher weiter nach vorne. „Wir haben versucht zu definieren, woran man erkennt, dass ein Enzym promisk ist“, erzählt Streit weiter. Dazu haben die Forscher Strukturanalysen gemacht von extrem promisken Enzymen und solchen, die nur mit zwei Substraten funktionieren. Der Vergleich ergab, dass zumindest für Lipasen und Esterasen wohl die „Active Site“ entscheidend ist, also der Teil des Enzyms, in den das Substrat sich einfügt. Bildet diese Seite eine zu große oder zu kleine Tasche, beschränkt das die Substratoptionen. Gleiches gilt für die Anordnung der Ladungen innerhalb der Tasche, die die Stabilität der Bindung zwischen Enzym und Substrat begünstigen oder verringern können.
Mit diesem Wissen geht die Suche nach Plattformenzymen nun mit begrenzten Mitteln außerhalb des Projekts weiter. Das Team um Streit will Lipasen und Esterasen in den Blick nehmen, die eine Vielfalt von Kunststoffen abbauen oder modifizieren können. Letzteres wäre für die Textil- und Waschmittelbranche sicherlich von großem Interesse. Außerdem gibt es neben Lipasen und Esterasen noch viele Enzymgruppen, die industriell von großer Relevanz sind; und selbst bei den beiden analysierten Enzymgruppen dürfte es noch das ein oder andere industriell relevante Substrat geben, für das selbst MetaCat kein passendes Enzym bereithält.
Die Erfahrungen aus MetaCat stimmen Streit optimistisch, auf die gleiche Weise wieder erfolgreich zu sein: „Wir waren alle überrascht, mit welcher hohen Rate man solch promiske Enzyme fischen kann.“
Björn Lohmann