„Das System Bioökonomie verstehen“
Daniela Thrän
Beruf:
Ingenieurin für Technischen Umweltschutz; Systemwissenschaftlerin
Position:
Leiterin des Departments Bioenergie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig; Bereichsleiterin Bioenergiesysteme am Deutschen Biomasseforschungszentrum - DBFZ
Beruf:
Ingenieurin für Technischen Umweltschutz; Systemwissenschaftlerin
Position:
Leiterin des Departments Bioenergie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig; Bereichsleiterin Bioenergiesysteme am Deutschen Biomasseforschungszentrum - DBFZ
Die Leipziger Helmholtz-Forscherin Daniela Thrän untersucht systematisch Deutschlands Weg in die Bioökonomie. Als Mitautorin des ersten Bioökonomie-Monitorings kennt sie die Stärken und Schwächen des biobasierten Wandels.
Wie kann die Bioökonomie die Wirtschaft zukunftsfähig machen? Mit dieser Frage befasst sich Systemwissenschaftlerin Daniela Thrän. Ein Schwerpunkt ihrer Forschung sind Bioenergiesysteme. Ihre Mission: Treiber und Schwachstellen ausloten, um die Bioökonomie auf den richtigen Weg zu bringen. Als Mitglied des Bioökonomierates hat die Leipziger Helmholtz-Forscherin die Bundesregierung viele Jahre zu dem Thema beraten. Ihre Expertise brachte Thrän nun auch in das erste Monitoring zur Bioökonomie ein. Thrän ist überzeugt: Verlässliche und auf Innovationen ausgerichtete politische Rahmenbedingungen sowie eine gezielte Forschungsförderung sind die wichtigsten Treiber bei der Gestaltung einer biobasierten Wirtschaft.
Sie waren am deutschen Bioökonomie-Monitoring beteiligt. Was sind für Sie die bemerkenswertesten Ergebnisse des kürzlich vorgestellten Pilotberichts?
Das Bioökonomie-Monitoring liefert erstmals eine Gesamtschau der Bioökonomie in Deutschland. Es enthält nicht nur eine Übersicht über die wichtigsten Stoffströme und ihre Entwicklungen, sondern behandelt auch Innovationspotenziale, Erwartungen an die Bioökonomie und verschiedene Ansätze, wie man diese messen kann. Es ist klar, dass im ersten Pilotbericht noch nicht alle Aspekte beachtet werden konnten - aber diesen ersten Versuch, der Bioökonomie als Ganzes ein Gesicht zu geben, finde ich sehr bemerkenswert. Und es ist ein guter Einstieg in ein lernendes Monitoring: neben der wiederkehrenden Berichterstattung können sowohl die Berichtsgrößen noch genauer auf die Fragestellungen angepasst und erweitert werden. Weitere bemerkenswerte Ergebnisse sind für mich die mit 10% der Erwerbstätigen ganz erhebliche wirtschaftliche Bedeutung der Bioökonomie in Deutschland – und da ist noch nicht einmal alles eingerechnet – sowie die systematische Übersicht über die biogenen Rest- und Abfallstoffe, die ja eine zunehmend wichtigere Rohstoffbasis für die Bioökonomie darstellen.
Was sind für Sie die wichtigsten Treiber hin zu einer biobasierten Wirtschaft?
Die Bioökonomie erhält ihre Dynamik/Bedeutung vor allem durch ihre möglichen Beiträge zu den 17 globalen Nachhaltigkeitszielen, den „Sustainable Development Goals“ oder „SDGs“. Für einige dieser Ziele ist die Bioökonomie besonders zentral – das haben auch unsere Workshops mit deutschen Stakeholdern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft ergeben. So gibt es hohe Erwartungen an die Bioökonomie bei der Bekämpfung von Hunger und Armut (SDG 2 & 1), für die Etablierung von nachhaltigen Produktions- und Konsummustern (SDG 12), bei der Sicherung aller natürlichen Lebensgrundlagen von Klima bis Biodiversität (SDG 13, 14, 15). Um diese Erwartungen zu erfüllen, müssen verlässliche und auf Innovation ausgerichtete Rahmenbedingungen geschaffen werden, die den Macher*innen Entwicklungsperspektiven und Planungssicherheit gibt. Das muss von lokalen Möglichkeiten bis hin zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit reichen.
Ist die Corona-Krise ein Katalysator auf dem Weg in eine Bioökonomie?
Die Corona-Krise hat viele Facetten, die wir als Wissenschaftler*innen auch noch nicht alle verstehen: Menschen bleiben zu Hause, Verkehrsströme ändern sich, Bioethanol, das wir als Kraftstoff kennen, wird als Desinfektionsmittel genutzt, andererseits verschmutzen nicht abbaubare Masken und Schutzbekleidung die Weltmeere. Was klar ist: das Interesse an der Bioökonomie ist durch die Krise eher in den Hintergrund getreten, während die Frage, ob vergleichbare Krisen auch durch den Klimawandel bevorstehen und damit mehr Vorsorge dagegen zu treiben ist, an Fahrt gewonnen hat. Daher: ob aus der Corona-Krise ein Katalysator für nachhaltige Produktionssysteme wird, hängt davon ab, wie die Politik mit der Krise umgeht: wohin die Aufbaumittel fließen und ob der Klimaschutz dabei den überfälligen Stellenwert erhält; dann kann es auch ein Katalysator für die Bioökonomie sein. Ich würde mir wünschen, dass wir diese Priorisierung erfolgreich einfordern. Und wer die Corona-Krise persönlich als Katalysator nutzen möchte, dem empfehle ich – in eigener Sache – als Basislektüre das soeben erschienene Buch „Das System Bioökonomie“, in dem die Herausforderungen und Möglichkeiten einer nachhaltigen Bioökonomie für Deutschland facettenreich diskutiert werden.
Was muss getan werden, damit biobasierte Innovationen schneller auf den Markt kommen?
Die erste Voraussetzung ist, dass Forscher und Unternehmen biobasierte Innovationen entwickeln. Das braucht eine verlässliche und inspirierende Forschungsförderung. Damit Innovationen dann schneller auf den Markt kommen, müssen die Produkte und Dienstleistungen attraktiv und rechtskonform sein. Eine konsequentere CO2-Bepreisung und Anreize zur Schließung von Stoffkreisläufen können die ökonomische Attraktivität verbessern – ebenso wichtig ist eine bessere Information der Verbraucher*innen über biobasierten Innovationen und ihre Anwendungsmöglichkeiten. Gleichzeitig muss man den Marktzugang durch den Abbau rechtlicher Hürden - wie zum Beispiel unpassende Brandschutzanforderungen für Holzgebäude - ermöglichen, aber auch einheitliche Nachhaltigkeitsstandards oder bessere Möglichkeiten einer kreislauforientierten und klimaverträglichen Beschaffung der öffentlichen Hand schaffen.
Der Beitrag von Biomasse/Bioenergie am Energiemix der Zukunft: Wo sehen Sie derzeit das größte Potenzial, wo die Schwachstellen?
Bioenergie ist aktuell der am umfangreichsten genutzte erneuerbare Energieträger. Der Klimagasausstoß von Deutschland fällt dadurch zehn Prozent geringer aus. Im Energiemix der Zukunft sollte der Beitrag der Bioenergie nicht unbedingt viel größer, aber vor allem immer intelligenter gestaltet werden: Biomasse und Bioenergie werden dann verstärkt von Industrieprozessen, dem Flug- und Schiffsverkehr und als Möglichkeit, der Atmosphäre CO2 zu entziehen, nachgefragt - alles Bereiche, in denen alternative Lösungen mit anderen erneuerbaren Energien sehr viel teurer sein dürften. Dabei kann man es nur gut machen, wenn man die gesamte Bereitstellungskette, von der Anbaufläche bis zur Nutzung der Energie im Blick hat: Dazu gehört, dass man mit Nachhaltigkeitsanforderungen und Zertifizierungssystemen die Nachhaltigkeit der Rohstoffbasis sicherstellt, so dass nicht nur Energie, sondern möglichst auch weitere positive Nebeneffekte für die Natur und für die Menschen entstehen, wie zum Beispiel die rohstoffschonende Nutzung von Rest- und Abfallstoffen oder eine größere Vielfalt an Anbausystemen. Aber auch eine effiziente und kostenverträgliche Nutzung der erzeugten Bioenergie gehört dazu.
Wissenschaftsjahr Bioökonomie – beobachten Sie, dass das komplexe Thema bei den Menschen ankommt?
Ganz konkret bekommen wir als Wissenschaftler deutlich mehr Nachfragen - und es gibt viele Aha-Effekte, was alles zum System Bioökonomie gehört. Auch im Internet und in den sozialen Medien steigt das Interesse: Google Trends, also die Statistik über Suchanfragen beim Anbieter Google, zeigt, dass das Interesse am Thema "Bioökonomie" in Deutschland zumindest vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie anwuchs. Auch Twitter zeigt, dass mehr über die #Bioökonomie gesprochen wird. Ich hoffe natürlich auch, dass das Wissenschaftsjahr zum Thema Bioökonomie noch mehr Interesse wecken kann – durch die vielen Veranstaltungen und Veröffentlichungen, die in diesem Jahr passieren. Und weil das Wissenschaftsjahr verlängert wurde, bin ich optimistisch, dass auch im Jahr 2021 Menschen dadurch die Bioökonomie oder - sofern sie sie schon kannten - mehr Aspekte der Bioökonomie kennenlernen.
Interview: Beatrix Boldt