Die Milchkuh der Zukunft
Jens BaltissenBeruf:
Tierarzt
Position:
Fachbereichsleiter im Bundesverband Rind und Schwein e.V.,
kommissarischer Geschäftsführer im Förderverein Bioökonomieforschung e.V.
Beruf:
Tierarzt
Position:
Fachbereichsleiter im Bundesverband Rind und Schwein e.V.,
kommissarischer Geschäftsführer im Förderverein Bioökonomieforschung e.V.
Der Tierarzt Jens Baltissen über moderne Züchtungsansätze bei Milchkühen, auf die Bioökonomieforscher im Bundesverband Rind und Schwein setzen.
Der Bundesverband Rind und Schwein ist der Dachverband der Rinder- und Schweinehalter und -züchter. Innerhalb des Verbandes beschäftigt sich der Förderverein Bioökonomieforschung e.V. (FBF) mit moderner Züchtungsforschung und der Besamung. Die Forschungsaktivitäten werden unter anderem vom Bundeslandwirtschaftsministerium und vom Bundesforschungsministerium gefördert. Der Tierarzt Jens Baltissen ist kommissarischer Geschäftsführer des FBF und erläutert, welche Merkmale für die Züchtung von Milchkühen derzeit und in Zukunft im Vordergrund stehen.
Welche Rolle übernimmt der Förderverein Bioökonomieforschung im Bundesverband Rind und Schwein?
Grundsätzlich sind beide Vereine eigenständig. Allerdings sind die Mitglieder im Förderverein Bioökonomieforschung (FBF) fast ausnahmslos auch Mitglied im Bundesverband. Der FBF versteht sich daher als Forschungsabteilung des BRS. Es gibt fünf Fachgruppen aus den Bereichen Rind und Schwein, die eigenständig Projekte vergeben oder sich an bundesweiten Ausschreibungen zu Projekten beteiligen. Im Fokus steht dabei die praxisnahe Umsetzung der wissenschaftlich zu bearbeitenden Fragestellungen.
Milchkühe wurden lange vor allem auf Höchstleistung hin gezüchtet. Welche Zuchtziele gelten für die Kuh der Zukunft und warum?
Der Begriff „Höchstleistung“ ist in unserem Metier ein sehr negativ besetzter Ausdruck. Aus dem züchterischen Ansatz ist die „Leistung“ einer Milchkuh weit mehr als nur die Milchmenge. Als Tierzüchter bearbeiten wir über 50 Merkmale der Milchkuh. Dazu zählen unter anderen auch Eigenschaften wie Exterieur, also der Körperbau der Kuh, leichte Geburten, Zellzahlgehalt der Milch und Nutzungsdauer. Immer mehr im Fokus stehen die – weniger stark erblichen – Gesundheitsmerkmale. Der Fokus liegt hier auf den Klauen, dem Euter und der Fruchtbarkeit. Gerade in diesem Bereich sind in den letzten Jahren neue Zuchtwerte eingeführt worden. Hier wurde ein nachhaltiger Zuchtfortschritt – aufgrund der höheren genetischen Komplexität (multikausale Merkmalskomplexe) und einem sehr großen Haltungsumwelteffekt – erst durch die modernen genomischen Methoden in Kombination mit detaillierter phänotypischer Merkmalserfassung auf Herden- oder Populationsebene möglich.
Wie haben biotechnologische und bioinformatische Verfahren die Rinder- und Schweinezucht verändert?
Die in den letzten Jahrzehnten entwickelten biotechnologischen Verfahren wie die künstliche Besamung und der Embryotransfer haben dazu geführt, dass neue bioinformatorische Methoden wie die „genomische Zuchtwertschätzung“ zielgerichtet in der Praxis angewandt wurden und der züchterische Erfolg gesteigert werden konnte. Die optimierte Erfassung von immer mehr Merkmalen ist auch der Grund, warum diese Entwicklung in der Rinderzucht, speziell der Milchrinderzucht, mehr Anwendung findet, als in der Schweinezucht.
Insbesondere Rinder scheiden Methan aus und tragen wesentlich zu den Treibhausgas-Emissionen der Landwirtschaft bei. Wie groß schätzen Sie diesen Wert hierzulande ein?
Die Frage nach der Methanproduktion und am Ende der Gesamtbetrachtung der Emission ist in erster Linie eine rein kalkulatorische Berechnungsfrage. Berechnet man den reinen Ausstoß, ist die Kuh ein Methanproduzent, der einen nicht geringen Teil der deutschlandweiten Methanemission verursacht. Aber man muss auch die positiven Seiten der Milchkuhhaltung sehen, etwa die Pflege der Grünlandstandorte, Futteranbau und Düngerproduktion für den Nährstoffkreislauf. Setzt man dann die Methanemission unserer heimischen Rinder noch in den globalen Kontext, ist der Anteil deutlich geringer.
Welche Forschungsansätze gibt es, damit Kühe in Zukunft weniger Methan produzieren?
Zurzeit arbeiten wir mit dem Projekt eMissionCow an der Erfassung der individuellen Methanproduktion der Milchkühe und versuchen, daraus einen züchterischen Ansatz im Hinblick auf die Futter- und Methaneffizienz pro produzierter Produkteinheit im Kontext der Lebensleistung der Kühe abzuleiten.
Welches Potenzial hat die Genom-Editierung – etwa per Genschere CRISPR-Cas – für die Rinder- und Schweinezucht? Gibt es dazu hierzulande bereits Forschungsprojekte?
Wir sehen die potenziellen Chancen, die durch diese modernen Biotechnologie-Methoden entstehen, als sehr wertvoll an. Dennoch muss diese Art der züchterischen Beeinflussung sehr sorgsam und unter Abwägung aller Risiken Einsatz finden. Unsere Mitglieder haben dazu eine gemeinsame Verpflichtungserklärung erarbeitet, die beispielsweise die Kenntlichmachung genom-editierter Zuchtprodukte sowie eine ausdrückliche Beschränkung des Einsatzes auf Tierwohl steigernde Merkmalskomplexe beinhaltet. Aktuell lässt die EU-Gesetzgebung den Praxiseinsatz der Genom-Editierung allerdings nicht zu. Die Anwendungsmöglichkeiten beschränken sich daher zurzeit auf einzelne Forschungsprojekte. Aktuell laufen zwei Forschungsprojekte mit FBF-Beteiligung zur Bearbeitung des Hornstatus von Milchkühen sowie eine Modellstudie zur Erzeugung genom-editierter Rinderembryonen als „proof-of-concept“- Studie.
Interview: Philipp Graf