Nutztiere für die Zukunft züchten
Henner SimianerBeruf:
Agrarwissenschaftler
Position:
Professor für Tierzucht und Haustiergenetik, Forschungsdekan der Fakultät für Agrarwissenschaften
Georg-August-Universität Göttingen
Beruf:
Agrarwissenschaftler
Position:
Professor für Tierzucht und Haustiergenetik, Forschungsdekan der Fakultät für Agrarwissenschaften
Georg-August-Universität Göttingen
Für den Göttinger Tiergenetiker Henner Simianer sind kluge Züchtungsstrategien der Schlüssel für eine nachhaltige und ressourceneffiziente Landwirtschaft der Zukunft.
Der Weg zu einer nachhaltigen, ressourceneffizienten und artgerechten Nutztierhaltung führt für den Göttinger Tiergenetiker Henner Simianer insbesondere über moderne Züchtungsmethoden, die auf neuestem Wissen über das Erbgut von Rind, Schwein, Huhn & Co basieren. Simianer ist überzeugt, dass vorrausschauende Züchtungen einen großen Beitrag zu einer nachhaltigeren Lebensmittelproduktion beitragen können.
Wo liegt Ihr Fokus in der Forschungsarbeit momentan?
Der Fokus unsere Forschungsarbeiten liegt ganz allgemein in der Nutzung genomischer Information für ein besseres Verständnis der Vererbung komplexer Merkmale bei Nutztieren. Dies ist eine Voraussetzung dafür, solche Merkmale in Zukunft effizienter züchterisch bearbeiten zu können. Hier geht es schon lange nicht mehr nur um die klassischen Leistungsmerkmale wie Milchmenge, Fleischansatz oder Legeleistung, sondern zunehmend um Merkmale aus den Bereichen der Ressourceneffizienz (etwa die Futterverwertung), Tiergesundheit und Tierwohl. Momentan sind wir an einem Projekt beteiligt, in dem eine aussagekräftige Datenbasis entwickelt werden soll, um das Problem „Schwanzbeißen“ beim Schwein züchterisch zu bearbeiten. Durch das Verbot des vorsorglichen Kupierens der Schwänze bei Ferkeln ist hier in Zukunft mit verstärkten Problemen zu rechnen, und eine nachhaltige Lösung kann eigentlich nur auf züchterischem Wege erfolgen. Ein anderes großes Projekt ist die Charakterisierung der weltweiten Diversität beim Huhn. Hier haben wir mit Partnern DNA von über 170 Hühnerrassen aus allen Kontinenten gesammelt, und auf der Basis von Hochdurchsatz-Genotypen bzw. genomweiten Sequenzen charakterisiert. Diese weltweit einmalige Sammlung ermöglicht es, langfristig die gesamte innerartliche Variabilität für die Züchtung der Zukunft nutzbar zu machen.
Wie würden Sie Ihre Forschung in das Feld der Bioökonomie einordnen?
Ich betrachte Züchtung als eine der nachhaltigsten Strategien, um eine effiziente Nutzung tier- und pflanzengenetischer Ressourcen zu erreichen. Züchtung ist zwar aufwendig und teuer und braucht eine gewisse Zeit, allerdings bleibt eine durch Züchtung einmal erreichte Veränderung des Leistungsprofils dauerhaft erhalten. Deshalb muss eine Bioökonomie-Strategie immer die Züchtung als einen der zentralen Pfeiler betrachten.
Was interessiert Sie persönlich an diesem Themengebiet?
Genetik und Züchtung ist aufgrund der genetischen Komplexität der meisten betrachteten Merkmale eine intellektuelle Herausforderung. Der Bereich erlaubt es mir, meine wissenschaftliche Neugier mit meinem vermutlich vorhandenen Talent für analytisches Denken zu kombinieren. Es ist mir eine große Freude, in einem gemischten internationalen Team mit Doktorandinnen, Doktoranden und Postdocs aus verschiedenen Bereichen wie Agrarwissenschaften, Biologie, Mathematik und Statistik zu arbeiten. Gerade diese Interdisziplinarität in Kombination mit den „explodierenden“ Datenmengen aus der Genotypisierung und Sequenzierung ermöglicht es, wichtige Zusammenhänge viel besser zu verstehen als es bislang möglich war.
Welche Herausforderungen erkennen Sie schon jetzt in Bezug auf Tierzucht und Haustiergenetik?
Aus meiner Sicht ist eines der zentralen Probleme der Zukunft für die Tierzucht die gesellschaftliche Akzeptanz unseres Tuns. Landwirtschaft wird in vielen Bevölkerungsschichten kritisch beobachtet und als „gefühlte“ Gefährdung wahrgenommen, was nicht notwendigerweise auf Faktenkenntnis beruht. Insbesondere die Tierhaltung und Tierzucht stehen hier aufgrund von Tierschutzaspekten in einem besonders kritischen Fokus. Langfristig werden wir auf züchterischem Weg nur zur Lösung wichtiger Probleme wie der notwendigen globalen Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität bei gleichem oder verringertem Ressourcenverbrauch beitragen können, wenn die Gesellschaft sowohl die Zuchtziele als auch die Zuchtmethoden akzeptiert. Das heißt auch, dass die Gesellschaft in die methodischen Entwicklungen frühzeitig mit eingebunden werden muss. Hier müssen wir Wissenschaftler noch einiges dazulernen.
Welche Projekte stehen als nächstes an?
Ich sehe ein großes und bislang weitgehend brach liegendes Potenzial in der Nutzung von Synergien zwischen Pflanzen- und Tierzüchtung. Viele der Herausforderungen in beiden Bereichen sind ähnlich, und ein auf Systemen und Kreisläufen basierendes Verständnis der Landwirtschaft kann sinnvollerweise die beiden Disziplinen nicht trennen. Wir haben in Göttingen deshalb beschlossen, mit der Einrichtung eines „Zentrums für Integrierte Züchtungsforschung“ den Züchtungsbereich durch die Besetzung von vier zusätzlichen Professuren zu stärken, und die interdisziplinäre Züchtungsforschung als Profilschwerpunkt zu entwickeln. Dies schließt Anknüpfungen an benachbarte Disziplinen (wie Forstgenetik, Biologie) ein, und ist nicht nur auf die „naturwissenschaftliche“ Züchtungsforschung beschränkt, sondern betrachtet auch wichtige Aspekte aus den Bereichen Wissenschaftskommunikation, Ökonomie, Recht und Ethik. Begleitet wird dies durch einen forschungsorientierten Masterstudiengang „integrated Plant and Animal Breeding“, der sehr gut angelaufen ist.
Interview: Judith Reichel