Zellen spüren Arzneien im Abwasser auf
Umweltforscher aus Tübingen haben neuartige Biosensoren entwickelt, die in Echtzeit Arzneimittel-Wirkstoffe in Abwässern erkennen können.
Ob Schmerzmittel oder Beta-Blocker: Die Zahl der Arzneimittel-Wirkstoffe, die über das Abwasser in Kläranlagen gelangen, nimmt stetig zu. Experten sprechen von einem regelrechten Medikamenten-Cocktail, denen die Lebewesen in Gewässern ausgesetzt sind. Sie warnen davor, dass schon geringe Mengen eines Schmerzmittels genügen, um die Gesundheit von Fischen zu gefährden. Die Menge der Arzneimittel in Gewässern zu bestimmen und deren schädliche Wirkung abzuschätzen, stellte bisher Ökotoxikologen und Umweltchemiker gleichfalls vor große Herausforderungen.
Fluoreszenzsignal leuchtet auf
Unter Federführung der Universität Tübingen haben Biologen und Chemiker nun ein Messinstrument entwickelt, dass Rückstände von Arzneimitteln in Gewässern zuverlässiger als bisher erkennt. Wie das Team im Fachjournal „Water Research“ berichtet, handelt es sich dabei um neue Biosensoren, die konkret zwei pharmazeutische Wirkstoffe, Beta-Blocker und Nicht-steroidale Entzündungshemmer (NSAIDs), selbst bei geringer Konzentration in sekundenschnelle aufspüren. Das Prinzip: Ein Fluoreszenzsignal erscheint, sobald die Biosensor-Zelllinien in Kontakt mit den Wirkstoffen kommen. Das geschieht innerhalb von nur wenigen Sekunden. Im Gegensatz zu herkömmlichen Sensoren wird die Wirkung von Chemikalien in der Zelle hier in Echtzeit sichtbar. Der Studie zufolge liegt die Sensitivität im Nanomolarbereich (ein Millionstel Promille) und ist vergleichbar mit der chemischen Analytik. Das Testsystem wurde im Rahmen des Verbundprojektes „EffPharm“ entwickelt und vom Bundesumweltministerium gefördert.
Messsystem für Kläranlagen geeignet
„Es wäre wünschenswert, dass die hier entwickelte Technik künftig in Monitoring-Programmen zur Bestimmung von Wasserqualität und Reinigungsleistung von Kläranlagen eingesetzt wird. Damit wäre eine wichtige Lücke in der Plausibilitätskette zwischen dem Auftreten von Arzneimitteln in Gewässern und den bei betroffenen Organismen auftretenden Gesundheitsschäden geschlossen“, sagt die Tübinger Ökotoxikologin Rita Triebskorn, die das Projekt koordinierte.
Empfindliche Messsysteme
Für die Entwicklung der Biosensoren war eine Arbeitsgruppe um Manfred Frey vom Steinbeis-Innovationszentrum Zellkulturtechnik an der Hochschule Mannheim zuständig. Tübinger Forscher um Triebskorn wiesen nach, dass die neuartigen Biosensoren selbst bei geringster Konzentration reagierten. Forscher am Technologiezentrum Wasser in Karlsruhe konnten wiederum zeigen, dass die neuen Biosensoren sogar Wirkung von Abbauprodukten der Wirkstoffe sowie weitere bisher unbekannten Verbindungen aufspüren, die für die ökologische Bedeutung der Umweltbelastungen entscheidend sind. Die Biosensoren können bereits jetzt die Wirkung künftiger Beta-Blocker oder NSAIDs aufzeigen, obwohl deren chemische Struktur noch gar nicht bekannt ist.
bb