Wenn Kläranlagen zu Bioraffinerien werden

Wenn Kläranlagen zu Bioraffinerien werden

Im Projekt RoKKa haben Partner aus Forschung und Wirtschaft demonstriert, wie mithilfe neuer Verfahren aus dem Abwasser von Kläranlagen hochwertige Rohstoffe für die Bioökonomie gewonnen und gleichzeitig CO₂-Emissionen eingespart werden können.

Mikroalgen in einem neuartigen Photobioreaktorsystem binden CO2 und produzieren daraus eine pflanzenstärkende Biomasse.
Mit Nährstoffen aus dem Schlammwasser der Kläranlage wurden wurden beispielsweise Mikroalgen in einem neuartigen Photobioreaktorsystem gefüttert, um Pflanzenstärkungsmittel und Bodenverbesserer für die Landwirtschaft herzustellen.

Mehr als 9.000 öffentliche Kläranlagen sorgen in Deutschland dafür, dass Abwässer biologisch gereinigt und damit die heimischen Gewässer möglichst wenig belastet werden. Bei der konventionellen Reinigung gehen jedoch auch wertvolle Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor verloren. In dem vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB und der Umwelttechnik BW koordinierten Verbundprojekt RoKKa haben zehn Partner aus Forschung und Industrie in den vergangenen drei Jahren mehrere Verfahren erprobt, um Rohstoffe wie Phosphor und Stickstoff aus Abwasser nachhaltig recyceln und neue Produkte für die chemische Industrie und Landwirtschaft generieren zu können.

Neue Module für Nährstoffgewinnung aus Kläranlagen

Umgesetzt wurde das Projekt auf der Kläranlage der Stadt Erbach (Donau). Hier wurden von den verschiedenen Partnern gleich mehrere innovative Verfahren pilotiert und getestet. Insgesamt wurden sieben Demonstrationsanlagen betrieben, die sich den Forschenden zufolge auch als eigenständige Module auf bestehende Kläranlagen integrieren lassen und fortan Interessierten für Tests zur Verfügung stehen.

Im Fokus des Projektes stand nicht nur die Rückgewinnung von Phosphor- und Stickstoffverbindungen für die Düngemittelproduktion. Auch das CO₂ aus Faulgas, das bei der Klärschlammfaulung durch die Zersetzung organischer Abfälle und Abwässer entsteht, sollte als Rohstoff für neue Produkte nutzbar gemacht und Lachgasemissionen auf der Kläranlage reduziert werden.

Mit der Hochlastfaulung stand den Forschenden in der Erbacher Kläranlage ein Verfahren zur Verfügung, das den anfallenden Klärschlamm schneller und effizienter zu Faulgas umsetzen kann als herkömmliche Verfahren. Bei der Hochlastfaulung werden organische Stoffe aus dem Abwasser vergärt, um Biogas als erneuerbaren Energieträger zu produzieren. Im Projekt wurde der Schlamm entwässert und aus dem Schlammwasser wurden die Pflanzennährstoffe Phosphor und Stickstoff gefiltert.

Phosphor und Stickstoffdünger gewonnen

Statt das nährstoffreiche Filtrat wie üblich in die Belebungsbecken der Kläranlage zu leiten, wurde das Filterwasser einer Anlage zugeführt, bei der Phosphor und Stickstoff elektrochemisch gefällt werden. Dabei entstand Magnesium-Ammonium-Phosphat, auch Struvit genannt, das als Phosphordünger in der Landwirtschaft genutzt werden kann. Mithilfe zweier Membranverfahren wurde Stickstoff aus dem Schlammwasser gewonnen, das in Form von Ammoniumsulfat ebenfalls als regionaler Dünger verwendet werden kann. Mittels großtechnischer Messungen konnten die Forschende auch zeigen, dass diese Verfahren die Lachgasemissionen bei der biologischen Stickstoffelimination reduzieren.

Schlammwasser für Mikroalgenkultivierung genutzt

Darüber hinaus wurden die Nährstoffe mit dem Schlammwasser einem neuartigen Photobioreaktorsystem zur Mikroalgenkultivierung zugeführt, das am Fraunhofer IGB entwickelt wurde. Mikroalgen benötigen neben Licht und CO₂ auch Phosphor und Stickstoff zum Wachsen. Wie die Forschenden schreiben, bildeten die Algen im Photobioreaktor während ihres Wachstums pflanzenstimulierende Polysaccharide aus, sogenannte Beta-Glucane. Diese Substanzen können den Forschenden zufolge Pflanzen bei der Abwehr von Pilzinfektionen wie Mehltau unterstützen und chemische Pflanzenschutzmittel etwa im Weinbau ersetzen. Darüber hinaus wurde im Projekt mithilfe einer Elektrosyntheseanlage CO₂ in Ameisensäure umgewandelt und damit ein wichtiger Grundstoff der chemischen Industrie erzeugt.

Beitrag zur klimaschonenden Kreislaufwirtschaft

Im Ergebnis konnte das Projekt RoKKa demonstrieren, wie neue Verfahren zum Nährstoffrecycling und die Implementierung von Verfahren zur Stickstoffrückgewinnung klimaschädliche Lachgas-Emissionen kommunale Kläranlagen nachhaltiger gestalten und damit einen effektiven Beitrag zu einer klimaschonenden Kreislaufwirtschaft leisten können. „Ausgebaut zu Bioraffinerien leisten Kläranlagen wertvolle Beiträge zur Rohstoffsicherheit und zum Klimaschutz und tragen damit zur Resilienz und zu nationalen Klima- und Nachhaltigkeitszielen bei“, resümiert Projektleiter Jürgen Schmidtke von der Umwelttechnik BW.

Das Projekt RoKKa war eines von insgesamt fünf Vorhaben, das vom Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg mit Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) im Rahmen des Programms "Bioökonomie – Bioraffinerien zur Gewinnung von Rohstoffen aus Abfall und Abwasser – Bio-Ab-Cycling" zwischen 2021 und 2024 gefördert wurde. 

bb