Seegraswiesen speichern mehr CO2 als gedacht

Seegraswiesen speichern mehr CO2 als gedacht

Die Pflanzen sondern zwar große Mengen Zucker in ihren Wurzelraum ab, doch nur wenige Bakterienarten ernähren sich davon.

Ein Taucher vor einer Seegraswiese
Die Messung von Stoffwechselprodukten, wie Saccharose und Phenolen, im Meerwasser ist schwierig. Die Forschenden des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen mussten eine spezielle Methode entwickeln.

Seegras entzieht der Atmosphäre Kohlendioxid (CO2) längerfristiger als bislang gedacht. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie im Fachjournal "Nature Ecology & Evolution", die Seegraswiesen vor der Insel Elba untersucht hat. Die Meerespflanze ist bekannt dafür, sehr effizient CO2 zu binden, das aus der Atmosphäre ins Meerwasser gelangt. Seegras eliminiert fast doppelt so viel Treibhausgas wie ein durchschnittlicher Wald gleicher Größe. Jetzt hat sich gezeigt: Ein großer Teil dieses Kohlenstoffes verbleibt länger als vermutet am Meeresboden – oder genauer gesagt: im Meeresboden.

Bis zu 1,3 Mio. Tonnen Zucker

Ein Forschungsteam des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen hat herausgefunden, dass die Pflanzen große Mengen Zucker in ihren Wurzelraum, die sogenannte Rhizosphäre, abscheiden. „Wir schätzen, dass weltweit zwischen 0,6 und 1,3 Millionen Tonnen Zucker, hauptsächlich in Form von Saccharose, in der Seegras-Rhizosphäre lagern“, berichtet Max-Planck-Forscher Manuel Liebeke.

Üblicherweise würde dieser Zucker dort nicht lange verweilen: Für Mikroorganismen ist er willkommene Nahrung. Doch im Wurzelraum des Seegrases scheinen nur einige spezialisierte Mikroben in größerer Zahl überleben zu können, denn die Pflanzen sondern auch größere Mengen Phenole dorthin ab. Diese Substanzen können den Stoffwechsel vieler Mikroorganismen hemmen. „Wir haben Experimente durchgeführt, in denen wir die Mikroorganismen in der Seegras-Rhizosphäre mit aus dem Seegras isolierten Phenolen in Kontakt brachten – und tatsächlich wurde dort viel weniger Saccharose konsumiert, als wenn wir keine Phenole zugesetzt hatten“, schildert Maggie Sogin, die Erstautorin der Studie.

Überschuss ernährt mögliche Symbionten

Warum Seegras überhaupt so viel Energie aus der Photosynthese investiert und damit Zucker produziert, den es dann wieder absondert – dafür hat das Forschungsteam eine Theorie: „Unter durchschnittlichen Lichtverhältnissen verwenden die Pflanzen den Großteil dieses Zuckers für ihren eigenen Stoffwechsel und ihr Wachstum“, erklärt Nicole Dubilier vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie. „Aber bei sehr starkem Licht, zum Beispiel zur Mittagszeit oder im Sommer, produzieren sie mehr Zucker als sie verbrauchen oder speichern können.“ Die Absonderung entspreche somit einem Überlaufventil.

Die spezialisierten Bakterien, die sich trotz der Phenole von diesem Zucker ernähren, sondern ihrerseits vermutlich Moleküle ab, von denen das Seegras profitiert, beispielsweise Stickstoff. „Solche vorteilhaften Beziehungen zwischen Pflanzen und Mikroorganismen in der Rhizosphäre kennen wir gut von Landpflanzen. Aber wir fangen gerade erst an, die innigen und komplizierten Wechselwirkungen von Seegräsern mit Mikroorganismen in der marinen Rhizosphäre zu verstehen“, erläutert Sogin.

Seegras vermeidet jährlich 1,5 Mio. Tonnen Kohlendioxid

Das Forschungsteam hat errechnet, dass rund 1,5 Mio. Tonnen CO2 in die Atmosphäre gelängen, wenn der Zucker im Wurzelraum des Seegrases durch Mikroorganismen vollständig abgebaut würde. Das entspräche etwa dem jährlichen Ausstoß von 330.000 Autos. Allerdings nehmen die weltweiten Bestände an Seegras rapide ab. Fachleute schätzen, dass bereits ein Drittel der globalen Population über die vergangenen Jahrzehnte verschwunden sein könnte. Der Erhalt der entsprechenden Küstenökosysteme wäre somit nicht nur aus Naturschutzsicht, sondern auch für den Klimaschutz wichtig.

bl