Riesengenom von Weizen entschlüsselt
Einem internationalen Forscherteam mit Beteiligung Münchner und Gaterslebener Pflanzenforscher ist es gelungen, das Weizengenom erstmals vollständig zu kartieren.
Weizen und insbesondere Brotweizen zählen zu den Grundnahrungsmitteln der Menschheit und versorgen diese mit etwa einem Fünftel des gesamten Kalorienbedarfs. Doch das Brotweizengenom ist enorm umfangreich und machte gezielte Züchtungen gerade hinsichtlich höherer Ernteerträge bisher nahezu unmöglich. Nun wurde das Genom der vermutlich wichtigsten Getreidesorte der Welt in einem Mammutprojekt nach 13 Jahren entschlüsselt. Über 200 Wissenschaftler aus 73 Forschungseinrichtungen in 20 Ländern, darunter Deutschland, waren daran beteiligt. Im Fachmagazin „Science“ präsentieren die Wissenschaftler eine detaillierte Kartierung des gesamten Brotweizengenoms.
Komplizierte Entstehungsgeschichte
Während das Genom der unter Pflanzenforschern beliebten Modellpflanze Arabidopsis etwa 130 Mio. DNA-Basenpaaren umfasst, und das menschliche Genom drei Milliarden Basenpaare zählt, enthält Brotweizen ganze 16 Milliarden Basenpaare verteilt auf 21 Chromosomen mit zahlreichen sich wiederholenden Elementen. Diese ungewöhnliche Genomgröße liegt im Ursprung der Pflanze begründet, die drei Genome in sich vereint. Vor etwa 500.000 Jahren hybridisierten zwei Wildgräserarten zum so genannten Emmer oder Zweikornweizen, der heute kaum noch angebaut wird. Nachdem der Emmer von den Menschen kultiviert und auf Feldern angebaut wurde, hybridisierte dieser abermals mit einer dritten Wildgrasart. So entstand der heute weit verbreitete hexaploide Brotweizen, der jedes Chromosomenpaar in dreifacher Ausführung in sich trägt – je ein Paar von jedem Vorfahren.
Angesichts der wachsenden Weltbevölkerung arbeiten Forscher, Züchter und Landwirte schon lange daran, den Ertrag der Weizenpflanze zu erhöhen. Doch um zu wissen, welche Gene wann aktiv sein müssen, um einen hohen Ernteertrag zu erzielen, bedurfte es der genauen Kartierung des Weizengenoms. Mit diesem Ziel schlossen sich Pflanzenforscher und Molekularbiologen aus aller Welt zusammen. Forschende des Helmholtz Zentrums München sowie des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) Gatersleben waren maßgeblich an der Entschlüsselung beteiligt. Ihre Arbeit wurde vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) mit knapp 1,5 Mio. Euro gefördert.
Komplexes Genom stellt Forscher vor Herausforderungen
Für ihre Studie analysierten die deutschen Wissenschaftler über achthundert Expressionsdatensätze aus 28 Studien. Diese kombinierten sie mit der vollständig annotierten Genomsequenz zu einem Transkript-Atlas. Dabei war nicht nur die Größe, sondern auch die besondere Struktur des Weizengenoms eine Herausforderung: „Die vollständige Sequenzierung des Genoms von Brotweizen wurde lange Zeit für unmöglich gehalten, da es enorm groß und komplex ist“, betont Nils Stein, Leiter der Arbeitsgruppe Genomik Genetischer Ressourcen am IPK in Gatersleben.
Selbst modernste Technologien konnten die Basenabfolge des Erbguts nicht im Ganzen entschlüsseln. Dadurch standen den Forschenden immer nur Fragmente des Genoms zur Verfügung. Entsprechend schwierig war es, den korrekten Zusammenbau dieser Teilsequenzen nachzuvollziehen. Hierfür mussten die Wissenschaftler spezielle Algorithmen und neue Strategien entwickelten, um die enormen Datenmengen auswerten und zusammenfügen zu können.
Schließlich gelang es ihnen aber zu entschlüsseln, wann welche Gene auf welchen Chromosomen(-abschnitten) in der Weizenpflanze aktiv sind. „Erstmals sind wir in der Lage, die Anteile bei der Ausprägung von Merkmalen einzelnen Subgenomen zuzuordnen und die Gen-Expression mit Hilfe von regulatorischen Netzwerken zu analysieren“, sagt Andrea Bräutigam, die am IPK am Projekt beteiligt war.
Mehr als 107.000 Gene kartiert
Voraussetzung dafür war die exakte Annotation der Sequenzen, die am Helmholtz Zentrum in München stattfand. „Nachdem die finale Sequenz bekannt war, ging es an die Inhalte“, erklärt Manuel Spannagl, Gruppenleiter in der Abteilung Genomik und Systembiologie pflanzlicher Genome am Helmholtz Zentrum München. „Unsere Aufgabe war es, aus den Milliarden von Basen herauszulesen, welche Gene wo liegen und wie sie organisiert sind: 107.891 Gene konnten wir kartieren.“ Außerdem analysierte das Team um Spannagl mehr als vier Millionen molekulare Marker sowie Sequenzinformationen über die Bereiche zwischen Markern bzw. Genen, die deren Aktivität beeinflussen.
Die Pflanzenforscher, die sich unter dem Dach des International Wheat Genome Sequencing Consortium (IWGSC) versammelt haben, hoffen nun, dass ihre Arbeit tatsächlich die gezielte und zügige Züchtung neuer Weizensorten ermöglicht, die nicht nur für höhere Ernteerträge sorgen, sondern auch resistenter gegenüber Extremwetterbedingungen wie Dürre oder Überschwemmungen sind.
jmr