Magnetospirillum ist Mikrobe des Jahres
Die Mikrobengattung Magnetospirillum hat aufgrund ihrer magnetischen Eigenschaften ein hohes biotechnologisches Anwendungspotenzial und wurde zur Mikrobe des Jahres 2019 gewählt.
Mikroorganismen werden in vielen biotechnologischen Verfahren unter anderem zur Herstellung von Chemikalien und Medikamenten eingesetzt. Sie sind somit eine nachhaltige und oftmals effizientere Alternative zu den bis dato meist auf fossilen Rohstoffen basierenden Verfahren. Um auf die Mikrobenvielfalt und deren großes Anwendungspotenzial aufmerksam zu machen, wählen die Mitglieder der Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie (VAAM) jedes Jahr die „Mikrobe des Jahres“. Für 2019 haben sie die Bakteriengattung Magnetospirillum gekürt.
Mikroben orientieren sich mittels Sauerstoffsensor und Magnetfeld
Magnetospirillum wurde 1963 erstmals von dem Italiener Salvatore Bellini entdeckt. Die Mikrobe lebt in Tümpeln und Meeren, vorrangig in tieferen und sauerstoffarmen Sedimentschichten. Wie der Name vermuten lässt, handelt es sich um Bakterien mit magnetischen Eigenschaften: Mithilfe der Ausrichtung am Erdmagnetfeld und eines Sauerstoffsensors finden sie zu den für sie angenehmsten Sedimentschichten. 1990 isolierte Dirk Schüler, damals Student in Greifswald und heute Professor an der Universität Bayreuth, das noch weitgehend unbekannte Bakterium aus dem Schlamm eines Flusses. Das Timing war dabei von großer Bedeutung: „Als glückliche Fügung erwies sich zeitgleich der Fall der Mauer: Im Münchner Labor von Karl-Heinz Schleifer und Rudolf Amann untersuchten wir mit modernen Methoden das neuentdeckte Bakterium. Es wurde namensgebend für die Gattung Magnetospirillum“, so Schüler.
Bakterien nehmen Eisenionen aus der Umgebung auf
Inzwischen ist Magnetospirillum detailliert erforscht und ein wichtiger Modellorganismus für die Bildung bakterieller Organellen. Die magnetischen Eigenschaften basieren auf Ketten magnetischer Kristalle in der Zellmitte der Bakterien. Diese Kristalle richten sich wie eine Kompassnadel aus. Sie entstehen mithilfe spezieller Enzyme, die Eisenionen aus der Umgebung in die Bakterienzelle transportieren. Dadurch bilden sich Ketten aus 15 bis 30 Eisenoxid-Kristallen, die zusammen wie ein Magnet wirken.
Hohes Anwendungspotenzial für Biotechnologie und Biomedizin
Für die Biotechnologie und die Medizin bietet Magnetospirillum etliche Anwendungsmöglichkeiten, da die winzigen Magnete eine einheitliche Größe und Form sowie hohe Magnetisierung aufweisen, die synthetisch hergestellte Nanopartikel nicht erreichen. Diese Mikroben sind daher als magnetisches Kontrastmittel für die Magnetresonanztomographie (MRT), aber auch für andere Bildgebungsverfahren und die medizinische Diagnostik äußerst interessant. In Tierversuchen konnten bereits mithilfe von Magnetosomen Tumore verkleinert werden.
Auch der komplette Biosyntheseweg von Magnetospirillum ist mittlerweile entschlüsselt und wurde schon erfolgreich in fremde Bakterien übertragen. So lassen sich laut Schüler Größe, Form und Magnetisierung der Mikroben nach Bedarf gentechnisch variieren. „Mit fremden Genen bringen wir die Bakterien dazu, Magnetpartikel mit neuen Eigenschaften zu produzieren: interessante Enzymaktivitäten, Antikörper oder größere geordnete magnetische Strukturen“, so Schüler. Diese seien für technische oder biomedizinische Anwendungen von großem Interesse. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit sind sogenannte Mikroroboter: Hier werden die magnetischen Mikroben mit Medikamenten beladen und anschließend gezielt an den gewünschten Wirkungsort im Körper gesteuert.
jmr