Biotechnologietage: Klimaneutrale Produktion im Blick

Biotechnologietage: Klimaneutrale Produktion im Blick

Auf den Deutschen Biotechnologietagen in Stuttgart wurden nicht nur die hiesigen mRNA-Impfstoff-Stars gefeiert. Auch die Bioökonomie hatte bei dem nationalen Branchentreff ihren Platz.

Green Deal Session auf den Deutschen Biotechnologietagen 2021
In einer Session der Deutschen Biotechnologietage in Stuttgart ging es um den Beitrag der Bioökonomie für ein klimaneutrales und nachhaltiges Europa.

Dass sich die deutsche Biotechnologiebranche in diesem Jahr zum „Familientreffen“ endlich wieder physisch treffen konnte, darf sie sich zu einem großen Teil selbst zuschreiben: In kaum mehr als anderthalb Jahren erlebten mRNA-Impfstoffe „made in Germany“ ihren großen Durchbruch und das Mainzer Biopharma-Unternehmen BioNTech wurde zum maßgeblichen Hersteller für die globale Impfkampagne gegen Corona – und damit weltberühmt.

So fanden die Deutschen Biotechnologietage am 20. und 21. September endlich wieder als Präsenz-Event statt. Rund 450 Teilnehmende waren insgesamt an den beiden Tagen ins CongressCenter der Messe Stuttgart gekommen, um sich über den aktuellen Stand der Branche auszutauschen und sich über neue Forschungstrends zu informieren. Ausgerichtet wurde das zweitägige Forum vom Branchenverband BIO Deutschland und dem Arbeitskreis der BioRegionen. Regionaler Gastgeber der größten deutschen Branchenveranstaltung war in diesem Jahr BioRegio STERN, Partnerregion war BioLAGO aus der Vierländerregion Bodensee.

BioNTech mit Preis geehrt

Die Veranstalter nutzten die Gelegenheit, die hiesigen Branchenstars wie BioNTech oder CureVac zu feiern. Das Mainzer Unternehmen wurde mit dem Paradigmapreis ausgezeichnet. BioNTech habe einen unschätzbaren Beitrag für die globale Gesundheit geleistet, so Oliver Schacht, der Vorstandsvorsitzende von BIO Deutschland. Zudem sei dadurch das Ansehen der Biotechnologie und das Ansehen von Gründerinnen und Gründern und Unternehmertum gewachsen, und die Bedeutung von Investoren für den Erfolg der Biotechnologieindustrie klar geworden, sagte Schacht.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn würdigte in einer Videobotschaft die Beiträge der forschungsintensiven Biotechnologiebranche – besonders in der Pandemie. „mRNA-Impfstoffe aber auch der erste Corona-PCR-Test – das sind Hightech-Innovationen made in Germany. Hier spielt Deutschland vorne in der Weltliga mit“, sagte er. „Beschleunigte Forschung und Entwicklung und regulatorische Unterstützung durch die Zulassungsbehörden, das wollen wir uns auch nach der Pandemie erhalten“, sagte Spahn. Die Bundesregierung habe aus der Krise auch gelernt, wie wichtig es sei, in Vorsorge zu investieren. So werde etwa am Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Langen ein „Zentrum für Pandemie-Impfstoffe und Therapeutika“ aufgebaut.

Klimaneutrales und nachhaltiges Wirtschaften im Blick

Wie die Bioökonomie zu einem klimaneutralen und nachhaltigen Wirtschaften beitragen kann, war Thema in einer Nachmittagssession am ersten Tag. Zugeschaltet aus Brüssel erläuterte Roman Brenne von der EU-Kommission den European Green Deal als transformatives Vorhaben hin zu einem klimaneutralen Kontinent im Jahr 2050. „Die Bioökonomie ist bisher in den Papieren zum Green Deal noch nicht sehr präsent“, sagte er. Das solle sich nun ändern. In einem Fortschrittsbericht zur EU-Bioökonomiestrategie, der im kommenden Frühjahr erscheinen soll, werde der Beitrag des biobasierten Wirtschaftens besonders hervorgehoben. „Wenn wir mit dem Green Deal erfolgreich sind, leben wir 2050 in einer Bioökonomie“, brachte Brenne es auf den Punkt.

Friedrich Gröteke, Referatsleiter aus dem Bundeswirtschaftsministerium, ist für das Thema Biotechnologie und Bioökonomie zuständig. Er machte deutlich, es gehe beim Green Deal nicht nur um Nachhaltigkeit, sondern auch um die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Gröteke berief sich hier auf die Nationale Industriestrategie und das Neue Klimaschutzgesetz. „Deutschland soll Leitmarkt und Leitanbieter in der Biotechnologie und der industriellen Bioökonomie werden“, sagte Gröteke. Mit der Dialogplattform Industrielle Bioökonomie sei ein Gremium entstanden, welches das BMWi in der Gestaltung von neuen Fördermaßnahmen berate. „Wir fördern unter anderem den Aufbau von Demonstrationsanlagen und von Beispielregionen für industrielle Bioökonomie“, sagte er. Gleichzeitig sei ein langer Atem gefragt. „In der Industrie dauert es etwa 25 Jahre, bis sich Wertschöpfungsketten verändern.“

Judit Schrick-Szenczi vom baden-württembergischen Wirtschaftsministerium berichtete über ihre Erfahrungen, in der Donauregion biobasierte Wertschöpfungsketten durch transnationale Zusammenarbeit aufzubauen. Martin Langer von der BRAIN AG erläuterte in seinem Impulsvortrag, wie Bioökonomie-Innovationen dazu beitragen können, den Produktionsprozess in der Industrie nachhaltiger zu gestalten und den CO2-Ausstoß zu senken. In Ernährungssektor entwickele sich der Bereich zellbasierte Landwirtschaft sehr dynamisch. Ein vielversprechender Ansatz sei es zudem, CO2 direkt als Rohstoff für die Produktion einzusetzen (Carbon-to-X).

Bioökonomie mit Ameisensäure

Wie genau solch ein Carbon-to-X-Ansatz aussehen könnte, erläuterte Frank Kensy von der b.fab GmbH in der Session "Biotechnologie für unser Klima". Sein Team will der „Formiat-Bioökonomie“ zum Durchbruch verhelfen. Mithilfe von Photovoltaik-Energie wird CO2 per künstliche Photosynthese direkt in das chemische Molekül Ameisensäure (Formiat) umgewandelt. Diese dient wiederum als Vorstufe für umprogrammierte Mikroorganismen, die verschiedene Produkte daraus herstellen. In mehreren öffentlichen Forschungskonsortien entwickelt das Dortmunder Biotech-Unternehmen das Konzept derzeit weiter.

Die Co-Vorsitzende des deutschen Bioökonomierats, Iris Lewandowski, hat mit ihrem Team an der Universität Hohenheim das Potenzial von mehrjährigem Biomasse-Gras wie Miscanthus erforscht. Die Pflanzen sind sehr anspruchlos und müssen nicht gedüngt werden. Gleichzeitig erbringen sie viele Ökosystemleistungen – etwa indem sie CO2 speichern (Carbon Farming). Miscanthus liefert auch den Rohstoff für das Bioraffinerie-Technikum der Uni Hohenheim. Das Potenzial der zellulären Landwirtschaft erläuterte Britta Winterberg vom Start-up Formo. Das Berliner Start-up „domestiziert Mikroorganismen“, um mit ihrer Hilfe vegane Milchproteine zu produzieren. Daraus soll verschiedenste Produkte wie veganer Käse entstehen. Kürzlich hat das Food-Start-up in einer Finanzierungsrunde 50 Mio. US-Dollar von Investoren eingesammelt.


Die nächsten Deutschen Biotechnologietage sind für den 4. und 5. Mai 2022 in Hamburg geplant. Dann wird das Cluster Life Science Nord das nationale Forum der Branche ausrichten.

pg