Acatech-Papier: Biotechnologie-Standort Deutschland stärken

Acatech-Papier: Biotechnologie-Standort Deutschland stärken

Die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften acatech hat eine umfassende Bestandsaufnahme der Biotechnologie in Deutschland vorgenommen und ausgelotet, wie das erstklassige Know-how hierzulande besser und schneller in innovative Anwendungen münden kann.

Impfstoffproduktion bei BioNTech
RNA-Impfstoffherstellung beim Mainzer Biotech-Unternehmen BioNTech (Preisträger Deutscher Zukunftspreis 2021): Das acatech-Papier macht Vorschläge, damit hierzulande noch deutlich mehr solcher Erfolgsgeschichten geschrieben werden können.

Die Biotechnologie gilt als eine der Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts. Denn sie kann einen relevanten Beitrag zur Lösung aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen bieten und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands stärken. Dass in Deutschland Forschung und Entwicklung zur Biotechnologie auf internationalem Spitzenniveau betrieben wird, hat die Branche eindrucksvoll an der raschen Impfstoffentwicklung während der Covid-19-Pandemie gezeigt. Biotechnologische Anwendungen sind aber nicht nur für den Gesundheitssektor bedeutend, sondern tragen auch zur Ernährungssicherheit, zum Umwelt- und Klimaschutz und zu einer kreislaufbasierten Bioökonomie bei.

Dossier für den Zukunftsrat des Bundeskanzlers

Damit die Erfolgsgeschichte des Mainzer Unternehmens BioNTech kein Einzelfall bleibt, müssen brillante Ideen der deutschen Forschungs- und Entwicklungslandschaft erfolgreich in marktreifen Anwendungen umgesetzt werden. Im internationalen Vergleich hapert es hier jedoch.

In einem Analyse- und Debattenbeitrag aus der Publikationen-Reihe IMPULS hat die Wissenschaftsakademie acatech eine umfangreiche Bestandsaufnahme des Biotechnologie-Standorts Deutschland vorgenommen. In dem Papier mit dem Titel Lost in Translation? – Ansätze zur Entfesselung gesellschaftlicher und ökonomischer Potenziale der Biotechnologie werden zudem Wege aufgezeigt, um die innovationspolitischen Chancen dieser Technologie in Zukunft besser nutzen zu können. Der am 1. Februar veröffentlichte Band ist eine leicht überarbeitete Fassung eines Dossiers, das im vergangenen Jahr für den Zukunftsrat des Bundeskanzlers erstellt wurde.

Titelbild acatech-IMPULS 2024

„Lost in Translation?“ – Ansätze zur Entfesselung gesellschaftlicher und ökonomischer Potenziale der Biotechnologie“

Herausgeber: acatech - Deutsche Akademie der Technikwissenschaften in der Reihe acatech IMPULS, 2023
Autoren: Henning Kagermann, Florian Süssenguth

Auf der acatech-Website können Sie das Papier herunterladen

Mehr als 90 Fachleute interviewt

Für das Papier wurden im vergangenen Jahr mit mehr als 90 Fachleuten Interviews geführt – die Liste der Interviewten liest sich wie das Who's who der deutschen Biotechnologie-Community. Entstanden ist eine umfassende Bestandsaufnahme der Biotechnologie in ihrer Bandbreite – von roter (medizinischer), weißer (industrieller) und grüner (landwirtschaftsbezogener) Biotechnologie. Für seine Analyse hat das Autorenteam unter anderem auf Ressourcen zurückgegriffen, die die Informationsplattform bioökonomie.de im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) umgesetzt hat, neben News-Artikeln sind das zum Beispiel die 2022 veröffentlichte BMBF/BMEL-Broschüre „Bioökonomie in Deutschland“ und die Forschungsumfrage. Auch die jährlichen Branchen-Statistiken von BIOCOM (dem Betreiber von bioökonomie.de) haben Eingang in das Papier gefunden.

Gemischtes Bild bei der Innovationsstärke

Das Autorenteam hat die technologiespezifische Innovationsstärke des deutschen Biotechnologie-Ökosystems im internationalen Vergleich grob eingeordnet. Zu den Querschnittstechnologien („Enabler“), in denen Deutschland stark aufgestellt ist, zählt demnach die Pilzbiotechnologie, das 3D-Bioprinting und Lab-on-a-Chip-Technologien. Allenfalls im Mittelfeld rangieren intelligente Laborautomation, Genomsequenzierung, Genom-Editierung und Synthetische Biologie. Im internationalen Vergleich als schwach wird der Bereich KI und Big Data eingeordnet.

Auch in der Entwicklung von mRNA-Impfstoffen und in der translationalen Gesundheitsforschung, in der biotechnologischen Kohlenstoffnutzung, bei innovativen Werkstoffen sowie bei neuen Lebensmittelsystemen liegt Deutschland der Analyse zufolge nur im Mittelfeld. Nicht zuletzt durch das strikte Gentechnikgesetz wird dem Potenzial der grünen Biotechnologie hierzulande nur eine schwache Position eingeräumt, ebenso bei der Entwicklung von Zell- und Gentherapien (ATMPs) und neuartigen Antibiotika. Zu allen genannten Technologiefeldern finden sich im Anhang des Papiers informative Steckbriefe.

Mit Innovationsclustern Schlagkraft entfalten

Um die Translationsschwäche der deutschen Biotechnologiebranche aufzulösen, müssten Kapitalengpässe, langwierige Verhandlungen zu „Intellectual Property“ (IP) und strikte Regulierungsvorschriften zugunsten innovationsbegünstigender Rahmenbedingungen überwunden werden. Zudem müssen bestehende Kräfte zu Innovationsclustern gebündelt werden, um international an Schlagkraft zu gewinnen. In der medizinischen Biotechnologie empfiehlt das Papier daher eine Bündelung der Kräfte in der Rhein-Main-Neckar-Region, München/Martinsried und Berlin. Eine ähnliche Bündelungsempfehlung gibt das Papier auch für die „aktuell sehr verstreute Expertise“ in der industriellen Biotechnologie. Um die Gründungsdynamik zu erhöhen, plädiert das Papier für eine Stärkung der Frühphasenfinanzierung. In den Interviews hätten die Fachleute die BMBF-Fördermaßnahmen GO-Bio und KMU-innovativ als besonders geeignet angesehen, um den Forschungstransfer zu unterstützen.

Spitzendialog gefordert

Neben der Etablierung eines Spitzendialogs zwischen Politik und Biotechnologie-Branche brauche es insbesondere eine ambitionierte Biotechnologie-Strategie, um Deutschland im internationalen Wettbewerb stabil zu positionieren, schreibt das acatech-Autorenteam. Mit der nationalen Pharmastrategie der Bundesregierung sei ein erster wichtiger Schritt hin zu einem solchen breiten Biotechnologie-Strategieprozess gemacht. Die Debatte um den Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission zum Umgang mit neuen genomischen Techniken in der Pflanzenzüchtung zeige aber auch, dass weiterhin auch Vorbehalte gegenüber biotechnologischen Verfahren bestünden. Es müsse gelingen, das Momentum aus der Pandemie zu nutzen und politisch rasch die richtigen Weichen zu stellen, um die Innovationskraft, Resilienz und Souveränität Deutschlands im gesamten Spektrum biotechnologischer Anwendungen zu stärken.

pg