Kompostierbares Wohnlabor
Karlsruher Forscher haben in der Nähe von Zürich eine Wohnung errichtet, die ausschließlich aus kompostierbaren und wiederverwertbaren Materialien besteht.
Die steigende Nachfrage nach Wohnraum zwingt auch die Baubranche zum Umdenken. Nachwachsende Rohstoffe wie Holz oder Stroh gewinnen an Bedeutung, um endliche Ressourcen wie Sand, ein wichtiger Zuschlagsstoff für Beton, zu schonen. Um das Bauen nachhaltiger zu machen, forschen Wissenschaftler am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) gezielt an neuen Materialen, die nicht nur umweltfreundlich, sondern auch wiederverwertbar sind. Dass nachhaltiges Bauen keine Utopie mehr ist, zeigen die Wissenschaftler nun anhand einer Testwohnung nahe Zürich.
Beweis für nachhaltiges Bauen
Die Drei-Raum-Wohnung dient zu Forschungszwecken und ist ein Beispiel für das sogenannte „Urban Mining & Recycling“. Mithilfe des Wohnlabors wollen die Wissenschaftler den Wandel des Bauens in Richtung Kreislaufwirtschaft vorantreiben. „Wir wollen beweisen, dass es schon heute möglich ist, so zu bauen, dass sämtliche Ressourcen zu hundert Prozent und sortenrein wieder ausbaubar sind“, sagt Dirk Hebel, Leiter des Fachgebiets Nachhaltiges Bauen des KIT.
Das Wohnlabor ist Teil des Forschungs- und Testgebäudes NEST (Next Evolution in Sustainable Building Technologies) im schweizerischen Dübendorf bei Zürich auf dem Campus der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt. Das Apartment wurde fabrikfertig angeliefert und innerhalb eines Tages in das mehrstöckiges Versuchsgebäude eingebaut.
Gebrauchte Türklinken und recycelte Abfälle
Die Recycling-Wohnung misst 125m2 und besteht vollständig aus kompostierbaren und wiederverwertbaren Materialien. So wurden Primärrohstoffe wie unbehandelte Weißtanne für einen Großteil der Fassade verwendet, während alte Kupferplatten eines Hoteldachs in Österreich als Fassadeneinfassung eine neue Verwendung fanden. Die Türklinken im Wohnlabor zierten einst Türen einer Bank in Brüssel. Aber auch recycelte Abfallstoffe und neu entwickelte Baumaterialien wurden eingesetzt. So wurden aus Bauschutt neue Backsteine gefertigt und Getränkekartons zu Wandverkleidungen verarbeitet. „Dieses urbane Materiallager zu nutzen, dient der Nachhaltigkeit und macht unabhängiger vom Rohstoffmarkt“, sagt Felix Heisel, Forschungsverantwortlicher des Fachgebiets Nachhaltiges Bauen des KIT. Um die hier verwendeten Einzelstoffe später unvermischt zurückgewinnen und wiederverwenden zu können, verzichteten die Erbauer der Testwohnung komplett auf Kleber oder Aufschäumer. Stattdessen wurde die Elemente verschraubt, geklebt oder gesteckt.
Kompostierbare Dämmplatten aus Pilzgewebe und Sägespänen
Aber auch komplett neue Baustoffe finden in der Drei-Raum-Wohnung erstmals Anwendung: So bestehen die Dämmplatten aus einen kompostierbaren Material, dass von den Karlsruher Forschern entwickelt wurde. Dabei handelt sich um Pilz-Myzel, einem aus Pilzgewebe und Sägespänen kultivierten Material. „Unsere Vision ist, Häuser künftig sozusagen wachsen zu lassen und nach Ende ihrer Nutzung die Baustoffe wiederzuverwerten“, so Hebel.
Wohnlabor im Alltagstest
Das im Frühjahr eröffnete Wohnlabor entstand in enger Zusammenarbeit mit Partnern aus Industrie und Handwerk. Das Pilotprojekt bietet die einmalige Chance neue Materialien in der Praxis zu testen. In den kommenden fünf Jahren will das Forscherteam beobachten, ob sich ihre Methoden bewähren und wie sich die Materialien verhalten. „Durch das Testen von Innovationen unter realen Bedingungen wird eine Brücke von der Forschung zur Anwendung geschlagen, denn die Kreislaufwirtschaft braucht neue Methoden und Produkte“, betont Hebel. Zwei Studenten, die im Mai das Wohnlabor bezogen haben, werden mit Erfahrungen aus dem Alltag die Studie ergänzen.
bb