Vom Elstar zum Selstar

Vom Elstar zum Selstar

Forschende haben einen selenreichen Apfel entwickelt, der Nahrungsergänzungsmittel ersetzen kann.

Im Sinne der verbraucher wird der Selstar in einer umweltfreudlichen Verpackung aus Karton verkauft.
Im Sinne der Verbraucher wird der Selstar in einer umweltfreudlichen Verpackung aus Karton verkauft.

„Ein Apfel am Tag hält den Doktor fern.“ Ob diese alte Weisheit tatsächlich stimmt, ist selbst unter Forschenden umstritten. Unstrittig ist aber: Äpfel sind gesund, denn sie sind reich an Vitaminen, Mineral- und Ballaststoffen. Mit einem Pro-Kopf-Verbrauch von 25 Kilogramm zählt der Apfel zum Lieblingsobst der Deutschen. Die Beliebtheit der Frucht zeigt sich auch beim Anbau: Auf über der Hälfte der Obstanbauflächen in Deutschland gedeihen Äpfel. Eines der traditionsreichsten Obstanbaugebiete, das Alte Land, ist für Forschende in den vergangenen Jahren zum Versuchsfeld für eine Apfel-Innovation namens Selstar geworden.
 
Der Selstar wurde im Projekt „BiofortiSe“ von Forschenden der Hochschule Osnabrück gemeinsam mit der Universität Hamburg und der AGLUKON Spezialdünger GmbH in Düsseldorf entwickelt und vom Bundesforschungsministerium im Rahmen des Ideenwettbewerbes „Neue Produkte für die Bioökonomie“ über vier Jahre mit rund 450.000 Euro gefördert.  

Natürliche Alternative zu Nahrungsergänzungsmitteln

Der Name Selstar ist eine Kombination aus der beliebten Apfelsorte Elstar und Selen – einem lebenswichtigen Spurenelement, das dem Apfel gezielt hinzugefügt wurde. „Untersuchungen haben gezeigt, dass Selen zu einer normalen Funktion des Immunsystems entscheidend beiträgt, die Versorgung mit Selen jedoch oft suboptimal ist“, sagt Projektleiter Diemo Daum. Das Problem: Pflanzen benötigen das Spurenelement nicht unbedingt zum Wachsen. Daher wird es in der Landwirtschaft nicht eingesetzt und ist im Boden nur geringfügig vorhanden. Über die tägliche Nahrung kann der Selenbedarf in Regionen mit selenarmen Böden oder bei veganer Ernährung nicht immer ausreichend gedeckt werden. Doch zu wenig Selen ist ein Risikofaktor für viele Erkrankungen. Ein Mangel kann vor allem chronisch Kranken und Schwangeren schaden.
 
„Mit dem selenreichen Apfel wollten wir eine natürliche Alternative zu Nahrungsergänzungsmitteln schaffen“, erklärt Christoph Budke, der die Apfel-Neuheit im Rahmen seiner Doktorarbeit federführend entwickelte. „Und wir wollten eine Frucht, die viele Kunden anspricht, in Deutschland im Anbau eine große Rolle spielt, frisch verzehrt werden kann und ganzjährig verfügbar ist“, ergänzt Daum.

Die Idee wurde 2016 zunächst im Rahmen einer mehrmonatigen Sondierungsphase ausgelotet. Mittels Verbraucherbefragungen wurde etwa das Marktpotenzial für den selenreichen Apfel ergründet. Dabei zeigte sich, dass der Elstar unter den Äpfeln der Favorit ist, aber auch, dass nur wenige Verbraucher und Verbraucherinnen das Spurenelement Selen an sich und dessen gesundheitlichen Wert überhaupt kennen. „Hier haben wir entschieden, eine Markteinführungsstrategie zu entwickeln, die den positiven gesundheitlichen Aspekt von Selen herausstellt“, so Daum.

 

Die selenreiche Apfel-Innovation wird bisher nur im Alten Land angebaut.
Die selenreiche Apfel-Innovation wird bisher nur im Alten Land angebaut.

Erhöhung des Selengehalts durch Blattdüngung

Diese Strategie wurde in der folgenden Machbarkeitsphase weiter ausgearbeitet und im Rahmen von realen Markttests schließlich überprüft. Im Fokus der von 2017 bis 2020 dauernden zweiten Etappe stand jedoch die Entwicklung einer Verfahrenstechnik zur sogenannten Biofortifikation von Äpfeln mit Selen. Unter Biofortifikation versteht man die Erhöhung des Nährstoffgehalts von Nahrungsmitteln durch Pflanzenzucht. In diesem Fall sollte das Selen über einen speziellen Dünger in den Apfel eingebracht werden. „Es ist nicht so einfach, das Selen in die Frucht zu bekommen. Da mussten wir diverse Varianten durchspielen, was den Zeitpunkt, was die Aufteilung der Selengaben und den Rahmen der Anbauphase angeht“, erklärt Budke. In zahlreichen Feldversuchen wurde daher geschaut, auf welche Weise der Dünger am besten von den Äpfeln aufgenommen wird – über Bodendüngung oder Blattdüngung. „Hier war schnell klar, dass der Blattdüngungsansatz deutlich effizienter war“, so Budke.

Algenbasierter Dünger mit Selen angerichert

Auch verschiedene mit Selen angereicherte Dünger wurden getestet. Denn der Dünger sollte für die Apfelbauern attraktiv sein. Am Ende gab es einen klaren Favoriten: „Ein algenbasierter Dünger hat sich in der Kombination mit Selen als besonders vorteilhaft erwiesen“, berichtet Projektleiter Daum. Der Algendünger aus dem Portfolio von AGLUKON wurde im Rahmen des Projektes BiofortiSe extra zu einem selenhaltigen Algendünger weiterentwickelt. Zugleich enthält dieser selenhaltige Algendünger Kalzium, das die Fruchtqualität und -haltbarkeit verbessert. „Der Algendünger mit Kalzium und Selen hat den Vorteil, dass der Obstbauer die Selendüngung nicht extra vorzunehmen braucht. Das ist dann ein Arbeitsgang.“ Daum zufolge musste der Projektpartner AGLUKON dafür jedoch erst in langen Testserien die richtige Formulierung finden, da sich Selen nicht ohne weiteres mit Kalzium zusammenführen lässt.
 
Die Selenzugabe im Algendünger wirkte sich zudem positiv auf sekundäre Pflanzenstoffe im Apfel aus. So stellten die Forschenden der Uni Hamburg unter der Leitung von Sascha Rohn bei ihren Analysen fest, dass der Gehalt an Polyphenolen unter bestimmten Bedingungen gestiegen war. Diese Äpfel könnten durch eine erhöhte antioxidative Wirkung besser vor schädlichen Radikalen schützen. Als überraschender weiterer Nebenbefund zeigte sich ein Effekt bei allergenen Stoffen. „Da haben wir festgestellt, dass der Gehalt des für die Apfelallergie verantwortlichen Proteins Mal d 1 durch die Selendüngung relativ zuverlässig reduziert wird“, berichtet Daum. Allergenfrei ist der Selstar damit aber noch nicht.

Selengehalt um das Zehnfache erhöht

Im Feldversuch wurden die Apfelbäume mit dem selenhaltigen Algendünger besprüht, wobei der Selengehalt über die Düngermenge gesteuert und regelmäßig kontrolliert wurde. Im Ergebnis der dreijährigen Machbarkeitsphase konnte die Forschungsgruppe eine Elstarvariante präsentieren, deren Selengehalt um mehr als das Zehnfache erhöht ist. In jedem Selstar stecken demnach rund 25 Mikrogramm Selen – das ist in etwa ein Drittel der empfohlenen Tagesmenge. Wer sich gesund ernähren will, sollte diese Äpfel jedoch ungeschält verzehren, denn in der Fruchtschale ist der Selengehalt am höchsten.
 
Seit 2019 ist die selenreiche Apfel-Innovation nun im Handel und kann in zahlreichen EDEKA-Filialen bundesweit gekauft werden. Weil Nachhaltigkeit ein wichtiger Faktor bei der Bewertung des Apfels war, wird der Selstar in einer plastikfreien Kartonschale verkauft. Der Erfolg hat im Alten Land schließlich viele Apfelbauern überzeugt: „Wir haben 2019 mit einem Erzeuger angefangen. 2020 hatten wir schon vier Erzeuger und eine Anbaufläche von fünf Hektar. 2021 waren es dann 19 Erzeuger und 33 Hektar Anbaufläche. Von den Äpfeln, die dort geerntet wurden, waren rund 550 Tonnen für die Selstar-Vermarktung geeignet“, berichtet Budke voller Stolz, der die Apfelbauern beim Selstar-Anbau auch weiter betreut und berät.

Aufklärung über gesundheitliche Vorteile von Selen nötig

Bis auf weiteres wird der Selstar nur im Alten Land angebaut, weil die Kapazitäten zur Betreuung neuer Anbaugebiete noch fehlen. Doch die Forschenden hoffen, dass mit zunehmender Bekanntheit auch die Nachfrage nach dem Selstar weiter steigt und das Apfelprojekt zukünftig als Start-up erfolgreich fortgeführt werden kann. Bis dahin ist noch ein Stück Weg zu gehen und Aufklärung das A und O, um den Selstar populär zu machen. „Wir haben die Erfahrung gemacht, wenn die Kunden vollumfänglich verstanden haben, wie gesund Selen für den Körper ist, dann ist die Akzeptanz des Produktes sehr hoch. Ansonsten bleibt der Apfel aufgrund seines etwas höheren Preises im Regal liegen“, so Daum. In Veranstaltungen und Pressekonferenzen werden Daum und Budke daher weiter über die gesundheitlichen Vorteile des selenreichen Apfels aufklären, damit „irgendwann der Name Selstar so für sich steht“, sagt Daum, „dass die Kunden sagen, wenn einen Elstar, dann einen Selstar.“ 
 
Autorin: Beatrix Boldt