„Wir wollen toten Materialien etwas Leben einhauchen“

„Wir wollen toten Materialien etwas Leben einhauchen“

Martin Hager

Beruf:
promovierter Chemiker
 
Position:
Junior-Gruppenleiter am Institut für Organische Chemie und Makromolekulare Chemie (IOMC) der Friedrich-Schiller-Universität Jena

Martin Hager
Vorname
Martin
Nachname
Hager

Beruf:
promovierter Chemiker
 
Position:
Junior-Gruppenleiter am Institut für Organische Chemie und Makromolekulare Chemie (IOMC) der Friedrich-Schiller-Universität Jena

Martin Hager

Martin Hager forscht an selbstheilenden Materialien und nimmt sich dafür die Natur zum Vorbild.

Die Natur ist für viele Forschende ein Wunderkasten der Inspiration. So auch für Martin Hager. Der Jenaer Chemiker orientiert sich an der Natur, um Polymermaterialien zu entwickeln, die die Fähigkeit haben, sich selbst zu heilen – und damit länger haltbar wären. Ein Vorbild für den Forscher sind hier die Byssusfäden von Muscheln. Das Biopolymer der Fäden ist sehr reißfest und heilt zudem von selbst. Hinter dem Selbstheilungsmechanismus verbergen sich reversible Bildungen, die auch Kunststoffe nachhaltiger machen könnten. Im Rahmen seiner Forschungsarbeit will Martin Hager nun herausfinden, ob sich Polymere herstellen lassen, die über definierte sogenannte schaltbare Eigenschaften verfügen, die für Kunststoffe geeignet sind.

Frage

Was war für Sie der Anlass, in der Natur nach Vorbildern für selbstheilende Materialien zu suchen?

Antwort

Bei Selbstheilung denken wir nicht unbedingt gleich an synthetische Materialien. Aus der Natur ist uns die Fähigkeit gut bekannt. Ein kleiner Schnitt in unserer Haut heilt, selbst gebrochene Knochen können wieder zusammenwachsen. Einige Tiere wie der Axolotl können selbst verlorene Gliedmaßen regenerieren. Die Natur hat diese Fähigkeit sozusagen perfektioniert – sie zeigt uns aber auch, dass die Selbstheilung nie nur der Selbstzweck ist. Alle Materialen erfüllen auch andere Funktionen beziehungsweise zeigen andere Eigenschaften.

Frage

Welche natürlichen Vorbilder stehen im Fokus Ihrer Forschungsarbeit und warum?

Antwort

Ein natürliches Vorbild unserer Forschungsarbeiten ist zum Beispiel der selbstheilende Byssusfaden bestimmter Muschelarten. Dies ist ein nicht-lebendes biologisches Material, welches die Fähigkeit zur Selbstheilung hat – die mechanischen Eigenschaften können nach starker Belastung regeneriert werden. Dies ist die „Lebensversicherung“ der Muschel in der Brandungszone. Der Mechanismus der Heilung beruht hier unter anderem auf reversiblen Bindungen und auf einer hierarchischen Struktur. Reversible Bindungen finden sich auch in unseren synthetischen Materialien wieder.

Frage

Wie kann die Bioökonomie von selbstheilenden Materialien profitieren?

Antwort

Alle Materialien, die wir nutzen, sind bei ihrer Anwendung Schadensprozessen ausgesetzt, welche mit der Zeit zur Akkumulation von vielen kleinen Schäden führen und schlussendlich zum endgültigen Versagen des Materials. Selbstheilende Materialien können nun mit diesen Schadensprozessen umgehen (Schadensmanagement), das heißt es wird nicht erst der massive Schaden am Ende geheilt, es werden bereits die kleinen Schädigungsprozesse (teilweise) umgekehrt. Auf diese Weise erreicht man eine verlängerte Lebenszeit der verwendeten Materialien.

Frage

In einem aktuellen Forschungsprojekt der VolkswagenStiftung untersuchen Sie, inwiefern sich Polymere herstellen lassen, deren Eigenschaften sich je nach ihrer Anzahl verändern. Welchen Vorteil hätten solche Polymere für die Kunststoffindustrie? Könnten sie Kunststoffe nachhaltiger machen?

Antwort

Responsive Materialien – also schaltbare Materialien – haben auch wieder ihre Vorbilder in der Natur. Die Eigenschaften von Materialien können sich hier in Abhängigkeit von den Umgebungsbedingungen ändern, das heißt anpassen. Schaltbare Kunststoffe könnten auf diese Weise zwischen einer leichter verarbeitbaren Form und einer sehr stabilen Form für die Anwendung hin und her geschalten werden. Es könnten so prinzipiell rezyklierbare – also recycelbare – vernetzte Polymere hergestellt werden – mit unseren heutigen Materialien ist dies nicht möglich.

Frage

Welches Ziel verfolgen Sie mit Ihrer Forschung?

Antwort

Mit unserer Forschung wollen wir neue Polymermaterialien herstellen, welche besondere Eigenschaften oder Fähigkeiten haben – wie die Fähigkeit zur Selbstheilung. Hierbei wollen wir auch andere Eigenschaften jenseits von mechanischen Eigenschaften (z.B. Absorption) wieder heilen können, das heißt funktionale selbstheilende Materialien. Inspiriert von der Natur wollen wir somit den „toten“ synthetischen Materialien etwas Leben einhauchen.

Interview: Beatrix Boldt