Muscheln als Vorbild für grüne Chemie

Muscheln als Vorbild für grüne Chemie

Miesmuscheln könnten als Vorbild für die umweltfreundliche Produktion komplexer Polymere dienen. Das haben Max-Planck-Forscher aus Potsdam herausgefunden.

Durch Byssusfäden am Boden befestigte Muschel

Die gemeine Miesmuschel hat mehr zu bieten als Perlmutt. Den besonderen Entstehungsprozess der reißfesten Fäden, mit denen sie sich am Meeresboden festhalten, haben Wissenschaftler am Max-Planck Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam-Golm nun entschlüsselt. Die Produktion dieser Byssusfäden passiert offenbar weitgehend autonom im Fuß der Muschel. „Viele Ausgangsstoffe der Biopolymere formieren sich ganz von selbst zu der komplexen Struktur, einfach weil die Muschel sie an bestimmten Stellen und zeitlich aufeinander abgestimmt freisetzt“, beschreibt Max-Planck-Forscher Matt Harrington den raffinierten Prozess. Für die grüne Chemie könnten die im Fachmagzain „Nature Communications“ veröffentlichten Ergebnisse als Blaupause dafür dienen, wie sich biobasierte und selbstheilende Polymere auf technisch einfachen und umweltfreundlichen Wegen zu komplexeren Strukturen zusammensetzen lassen.

Eindrucksvoller Unterwasserkleber

In ihren Forschungsarbeiten sind die Wissenschaftler dem Entstehungsprozess der Byssusfäden erstmals auf den Grund gegangen. Muscheln verwenden dieses gelbliche Fadengespinst, um sich am Grund oder an Steinen zu verankern. Am Ende der Fäden befindet sich eine kleine Platte, die selbst unter Wasser eine außergewöhnliche Haftung besitzt. Diese unvergleichliche Klebkraft erstaunt selbst die Forscher, und ihr Entstehungsprozess könnte nun auch als Inspiration für die Entwicklung neuer Polymere dienen. Das Biopolymer, das den Kern der Faser bildet, ist sehr reißfest und heilt zudem von selbst, wenn es beschädigt wird. Gleichzeitig ist die Hülle der Fäden hart wie das Epoxidharz – ein Material aus dem etwa Leiterplatinen hergestellt werden – sowie dennoch dehnbar. Aufgrund dieser vielfältigen Eigenschaften wollen Chemiker verstehen, wie das Schalentier dieses Material herstellt.

Separate Drüsen koordinieren die Entstehung

Schon länger war bekannt, dass die Muschel die Byssusfäden spinnt, indem Drüsen die Ausgangsstoffe in eine feinen Rinne in ihrem Fuß fließen lassen. Jetzt hat das Forscherteam um Harrington am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung herausgefunden, dass es drei separate Drüsen gibt, die jeweils einem Teil des Byssusfadens zugeordnet sind - für die Platte am Ende eines Fadens, seinen Kern und seine Haut. In den jeweiligen Drüsen befinden sich dann in Vesikeln die passenden Mischungen der Ausgangsstoffe. Die Max-Planck Forscher konnten nun zeigen, dass die Differenzierung der Drüsen, ihre Position und der Zeitpunkt, zu dem sie ihre Vesikel freisetzen, entscheidend sind, damit die drei Teile der Faser dort entstehen, wo sie hingehören. Perfekt aufeinander abgestimmt kommen so an den verschiedenen Stellen die Vesikel mit den Komponenten für die Polymere des Kerns, der Haut und des Bodenplättchens in der Rinne zusammen und ordnen sich dort zu einem Material mit komplexer Struktur.

Das hat das Potsdamer Team beobachtet, indem sie die Drüsen im Muschelfuß künstlich zur Abgabe der Vesikel anregten, den Fuß aber ansonsten lähmten, um ihn untersuchen zu können. Dann froren sie mehrere Füße in verschiedenen Phasen der Bioproduktion der Fäden ein und analysierten sie scheibchenweise mit einer spektroskopischen Methode, die ihnen etwas über die chemische Zusammensetzung der Stoffe verriet. Die Ergebnisse dieser Analysen verglichen sie mit den Resultaten von Experimenten, in denen sie verschiedene chemische Bestandteile der Fasern unterschiedlich einfärbten. „Da in dem gelähmten Fuß nur die Drüsen funktionierten, konnten wir genau unterscheiden, welche Schritte der Biopolymerisation selbstorganisiert stattfinden, und wo die Muschel noch regulierend eingreift“, erklärt Max-Planck-Forscher Tobias Priemel, der an den Untersuchungen maßgeblich beteiligt war.

Fehlerfreie Fadenproduktion nachahmen

Wird die Synthese jedoch künstlich eingeleitet, können die Fäden Fehler aufweisen. Offenbar hat der Muschelfuß selbst noch eine Rolle bei der Formation der Fäden. Matt Harrington und seine Forschungsgruppe will nun herausfinden, wie die Muscheln die Fäden ohne Fehler produzieren können. Er selbst sagt: „Wenn wir wissen, welche Faktoren wichtig sind, damit sich die Biopolymere selbstorganisiert ordnen, können wir komplexe Polymere in der Technik vielleicht auf ähnliche Weise erzeugen.“ Sobald die Geheimnisse der Byssusproduktion bei Miesmuscheln noch weiter entziffert sind, könnte sie als Vorbild für die industrielle Synthese von Polymeren dienen: „Mein Traum ist es, mithilfe der Erkenntnisse, die wir an den Byssusfäden gewinnen, einmal in einem umweltfreundlichen Verfahren selbstheilende Materialien herzustellen, die auch ähnliche mechanische Eigenschaften haben wie die Byssusfäden.“

jmr