Artenschwund per Domino-Effekt
Der Klimawandel könnte zu einer Aussterbekaskade in Ökosystemen führen. Die Glockenblume ist nur ein Beispiel, das Frankfurter Forscher simuliert haben.
Die Liste der vom Aussterben bedrohten Tier- und Pflanzenarten wird von Jahr zu Jahr länger. In der internationalen „Roten Liste“ der Weltnaturschutzunion (IUCN) werden rund ein Drittel der 82.945 erfassten Arten als Todeskandidaten geführt. Einer aktuellen Studie zufolge könnte der Klimawandel den Ökosystemen noch wesentlich mehr schaden als bisher angenommen, wie ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Senckenberg-Wissenschaftlern im Fachjournal „Nature Communications“ berichtet.
Artensterben simuliert
Die Forscher haben dafür modelliert, wie empfindlich mehr als 700 europäische Pflanzen- und Tierarten gegenüber möglichen zukünftigen Klimaveränderungen sind. Dafür wurden erstmals die Modelle mit Informationen zu den Interaktionen von Pflanzen mit ihren Bestäubern und Samenausbreitern kombiniert. Das Ergebnis: Die Initialzündung für das Artensterben infolge des Klimawandels geht vor allem von den Pflanzen aus und wirkt sich indirekt auf die Tierwelt aus.
Die Forscher halten es daher für wahrscheinlich, dass ein Verschwinden von Pflanzenarten durch den Klimawandel vor allem einen Verlust an Tierarten bedeutet. Denn Tier- und Pflanzenarten sind Teil eines komplexen Ökonetzwerkes und aufeinander angewiesen. Das Aussterben bestimmter Pflanzenarten wie der rundblättrigen Glockenblume kann somit für eine ganze Reihe von Tieren das Aus bedeuten. Die Forscher sprechen daher von einem Domino-Effekt, von dem besonders Tierarten betroffen sind, die nur mit wenigen Pflanzenarten interagierten und keine Ausweichmöglichkeiten als Nahrungsquelle haben.
"Spezialisten" sind doppelt gefährdet
Insektenarten sind der Studie zufolge daher mehr gefährdet als viele Vogelarten, die in der Regel flexibler in ihrer Nahrungswahl sind. „Diesen Spezialisten geht es in Zukunft gleich doppelt an den Kragen“, erklärt Senckenberg-Forscher Christian Hof. „Nach unseren Analysen haben sie nämlich zudem eine enge klimatische Nische und sind damit auch direkt durch eine zukünftige Temperaturerhöhung bedroht“, argumentiert Hof weiter. Als Beispiel nennt der Naturforscher die Glockenblumen-Scherenbiene, die direkt durch den Klimawandel als auch indirekt durch das Verschwinden einer wichtigen Nahrungspflanze wie der rundblättrigen Glockenblume bedroht ist. Im Gegensatz dazu fanden die Forscher jedoch nur geringe Rückkopplungseffekte von Tieren auf Pflanzen. "Die Glockenblume wird von verschiedenen Bestäubern besucht und wird vermutlich wenig unter dem Verlust einzelner, spezialisierter Bestäuber leiden“, ergänzt Mitautor Jochen Fründ von der Universität Freiburg.
Interaktionen in Prognosen einbeziehen
„Unsere Studie zeigt, dass der Klimawandel viele Tierarten nicht nur direkt bedroht, sondern zusätzlich indirekte Effekte zum Tragen kommen. Der Klimawandel könnte sich daher negativer auf die biologische Vielfalt von Tieren auswirken als bisher angenommen“, äußert Senckenberg-Forscher Alexander Schleuning. Wie groß die Bedrohung tatsächlich ist, sollen weitere Untersuchungen zeigen. „Um dies abschätzen zu können, ist es wichtig, die Interaktionen von Tieren mit ihren Pflanzenpartnern stärker als bisher bei zukünftigen Prognosen zu berücksichtigen“, so Schleuning weiter.
bb