Automobil
Ohne Automobil wäre die heutige Mobilität kaum vorstellbar. Mit Blick auf den Klimawandel sind zunehmend nachhaltige Mobilitätskonzepte gefragt: Die Automobilwirtschaft ist einer der größten Verwerter von Biokunststoffen und ist auch sonst zunehmend offen für biobasierte Materialien.
DATEN & FAKTEN
Unternehmen:
17 Hersteller (2017)
1.327 (inkl. Zulieferbetriebe, 2016)
Mitarbeiter:
820.200 (2017)
422,8 Mrd. Euro (2017)
Das Automobil ist aus dem Leben eines durchschnittlichen Deutschen nicht mehr wegzudenken. Heute legt eine Person in Deutschland täglich durchschnittlich 11,7 Kilometer zurück. Für 55% aller Distanzen wird das Auto genutzt. 78% der Haushalte verfügen über mindestens ein Auto, und 80% der volljährigen Bevölkerung besitzen einen Führerschein.
Dies schlägt sich auch in den statistischen Kennziffern der Automobilwirtschaft wider. Nach Angaben des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) gehört der Sektor zu den wichtigsten Standbeinen der hiesigen Wirtschaft. 2017 wurden in der Automobilindustrie 422,8 Mrd. Euro umgesetzt, davon 151,0 Milliarden im Inland und 271,8 Milliarden im Ausland. Die Automobilbranche zählt zu den forschungsintensivsten Branchen Deutschlands – im Jahr 2016 wurden 21,9 Mrd. Euro für Forschung und Entwicklung investiert. Insgesamt 840.000 Menschen sind bei Herstellern und Zulieferern beschäftigt.
Die Kehrseite der Mobilität ist ebenfalls in Zahlen messbar: 20% des gesamten Treibhausgasausstoßes gehen auf das Auto zurück. Versiegelte Flächen durch den Straßenbau bedecken knapp über 2% der Fläche Deutschlands. Lärm, Feinstaubbelastung, zerschnittene Landschaften und Milliarden Euro an Ausgaben für den Erhalt und Ausbau der Infrastruktur stehen ebenfalls zu Buche. Mehr als die Hälfte des weltweiten Erdölverbrauchs geht zudem auf den Verkehrssektor zurück. Erdöl wird hier nicht nur in Form von Benzin, Diesel oder Schmierstoff gebraucht, sondern auch als Ausgangsstoff für viele Autoteile benutzt – angefangen vom Autolack über weite Teile des Interieurs, elektronische Bauteile bis hin zu Displays. Der Anteil von Plastik, Kunstfasern und Schaumstoffen aus Erdöl in unseren Autos ist seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts stetig gewachsen, als private Personenkraftwagen die Straßen eroberten und zum Massengut wurden. Heute gehen etwa 10% der Kunststoffe, die jährlich in Deutschland produziert werden, in die Automobilindustrie. Dies liegt vor allem daran, dass diese Materialien leicht, gut formbar sind und eine gute Wärme- und Geräuschdämmung aufweisen. Aber auch Hybridteile, die aus Metall und Kunststoff zusammengesetzt sind, kommen zum Einsatz. Einige Kunststoffe sind sogar so robust, dass sie als Ersatz für Metall dienen.
Das Thema Nachhaltigkeit gewinnt auch in der Automobilindustrie zunehmend an Bedeutung. Der Verbraucher fragt nach spritsparenden Modellen, der Gesetzgeber verlangt einen geringen CO2-Ausstoß. Diese Anforderungen haben vor allem dazu geführt, dass innovative Materialien in den Fokus der Hersteller gerückt sind. Im Rückenwind der zunehmenden Verwendung von Plastik im Automobil-Leichtbau können sich auch biobasierte Kunststoffe und Biohybridmaterialien wie naturfaserverstärkte Verbundmaterialien immer besser am Markt platzieren. So werden derzeit etwa 90.000 Tonnen Wood-Plastic-Composites im europäischen Automobilsektor abgesetzt. Von einer steigenden Nachfrage an biobasierten Materialien profitieren auch kleine Unternehmen wie die Tecnaro GmbH. Gefördert vom BMBF hat die Firma ein Verfahren entwickelt, um Reststoffe aus der Zellstoffherstellung als Basis für thermoplastische Werkstoffe zu nutzen.
Streng genommen handelt es sich beim Einsatz von Biomaterialien um keinen ganz neuen Trend. Bereits Henry Ford verbaute schon im Jahr 1915 in seinem legendären T-Modell eine Starterbox aus dem Weizeneiweiß Gluten, verstärkt mit Asbestfasern. In den 1920er Jahren konstruierte er Autoprototypen mit Karosserieteilen aus Hanffasern und Sojamehl. Der Werkstoff war so stabil, dass Henry Ford zu Werbezwecken mit einer Axt auf einen Kofferraumdeckel einschlug – ohne ihn dadurch zerstören zu können. Höhepunkt der Entwicklung war schließlich ein Prototyp, dessen Karosserie vollständig aus nachwachsenden Rohstoffen bestand. Seit 2008 kommen biobasierte Werkstoffe beim Ford Mustang zum Einsatz, wenn auch in weit geringerem Ausmaß. Gerade einmal fünf Gewichtsprozent des Mustangs entfallen auf den Biokunststoff. Er besteht aus einem Polyurethan-Schaum, dessen Grundstoffe zu 40% aus Soja stammen. Weitere Autohersteller wie Toyota und Hyundai setzen ebenfalls auf Biokunststoff. Daimler Benz hat eine Motorabdeckung in der Serienproduktion der A-Klasse, die zu 70% aus pflanzlichen Rohstoffen besteht. Eine Herausforderung beim Einsatz von Biokunststoffen im Automobilbau liegt in ihrer Verarbeitungsfähigkeit. Entsprechend fließen viele Forschungs- und Entwicklungsarbeiten in die Frage, wie bestehende Spritzgussverfahren für die Herstellung von biobasierten Autoteilen angepasst werden können. Dies passiert unter anderem an der Hochschule Hannover im Institut für Biokunststoffe und Bioverbundwerkstoffe (IfBB), das mit allen großen Automobilherstellern und Firmen entlang der Wertschöpfungskette zusammenarbeitet, um biobasierte Materialien sowie deren industrielle Produktion den Weg zu bereiten.
Bioconcept-Car auf der nature.tec
Gefördert vom BMEL wird am IfBB auch das sogenannte Bioconcept-Car entwickelt: Es handelt sich um einen Rennwagen des Reutlinger Rennsportteams Four Motors GmbH, zu dem unter anderem Sänger Smudo von den Fantastischen Vier gehört. Im Rahmen des Projekts werden Bioverbundwerkstoffe mit einem Anteil nachwachsender Rohstoffe von 30 bis 70% sowie Biokunststoffteile als Karosserie- und Interieurbauteil entwickelt, hergestellt und montiert. Vor und nach dem Einsatz im Rennwagen untersucht das IfBB die Bio-Bauteile im Labor. Dazu werden sie zwischen den Rennen und am Ende der Saison ausgebaut und dann ausgiebig und zerstörungsfrei geprüft.
Konventionelle Kraftstoffe sind klimaschädlich und belasten die Umwelt. Mögliche Alternativen zu den fossilen Energieträgern sind Biokraftstoffe, Wasserstoff und Elektrizität. Selbstverständlich muss auch bei diesen Optionen immer wieder geprüft werden, welche Umwelt- und Sozialauswirkungen mit ihnen einhergehen. Im Kapitel "Energie" wird auf Biokraftstoffe der ersten und zweiten Generation eingegangen: Welches Potenzial steckt in Algen und wie weit ist die Forschung hinsichtlich der Nutzung von Reststoffen wie Stroh bei der Biokraftstoffherstellung?
Biobasierte Autoteile aus Naturfasern wie Flachs stehen bei Automobilherstellern aufgrund ihres geringen Gewichts hoch im Kurs. Hierzu hat auch der vom BMEL geförderte FENAFA-Netzwerkverbund (2009 – 2014) beigetragen. Das Kürzel steht für „Ganzheitliche Bereitstellungs-, Verarbeitungs- und Fertigungsstrategien von Naturfaserrohstoffen“. Das Projekt hatte zum Ziel, Anlagen und Verfahren zur Weiterentwicklung von technischen, hierzulande heimischen Naturfasern zu optimieren. Die Aufgabenstellung erstreckte sich von der Verbesserung der Erntetechnologie bis hin zur Produktentwicklung, um neue Anwendungsbereiche zu erschließen. Beteiligt waren vor allem kleine und mittlere Unternehmen.
Doch nicht nur Karosserie und Innenausstattung werden zunehmend biologisiert, auch bei der Gummiherstellung für Autoreifen wird nach Alternativen gesucht. Bisher wird hierfür der Kautschuk des subtropischen Gummibaumes importiert. Dabei bietet sich mit dem russischen Löwenzahn Taraxacum kok-saghyz eine Pflanze an, die sich auch hierzulande anbauen lässt. Die Kautschuk-Gewinnung aus der Pusteblumenwurzel ist deutlich wetterunabhängiger möglich und eröffnet aufgrund ihrer agrarischen Anspruchslosigkeit ganz neue Potentiale – insbesondere für brachliegende Anbauflächen. Im Rahmen eines vom BMBF geförderten Projekts wurde an der Universität Münster daran geforscht, wie die Eigenschaften des Wildkrauts Taraxacum kok-saghyz den Anforderungen der Massenzucht angepasst werden können. Zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie IME in Aachen sowie dem Reifenhersteller Continental wurde in Münster eine Pilotanlage gebaut, um Löwenzahn-Kautschuk im Industrie-Maßstab herzustellen.
Die leitenden Wissenschaftler wurden 2015 für ihre Forschung mit dem Joseph-von-Fraunhofer-Preis ausgezeichnet.
2015 wurden die ersten Reifen aus Löwenzahn-Kautschuk in der Anlage produziert. Die Testreifen konnten bereits erfolgreich unter sommerlichen und winterlichen Bedingungen auf den Straßen geprüft werden. Schon jetzt zeigen die Erprobungen der Fraunhofer-Forscher: Die Qualität des neuen Gummis entspricht der des herkömmlichen Materials. Mit der Einführung der Serienproduktion rechnet Continental in fünf bis zehn Jahren.