Groß denken mit smarter Bioprozesstechnik
Smarte Modelle, raffinierte Messtechnik und automatisierte Workflows: Auf der Fachkonferenz BioProScale in Berlin tauschten sich Akteure aus Wissenschaft und Wirtschaft zu den wichtigsten Trends der industriellen Biotech-Produktion aus.
Die industrielle Biotechnologie nutzt Mikroorganismen oder einzelne Biomoleküle wie Enzyme in Bioprozessen als Basis für die industrielle Produktion von Chemikalien, Biopharmazeutika oder Lebensmittelzusatzstoffen. Die Leistungsträger sind insbesondere Zellen als lebende Fabriken, die in geschlossenen Bioreaktoren ein gewünschtes Produkt in großen Mengen herstellen können. Bioprozesse so zu entwickeln, dass eine optimale biotechnologische Herstellung eines Produkts gelingt, ist sehr aufwendig und komplex.
Fachkonferenz für das Scale-up von Bioprozessen
„Eine effiziente Bioprozessentwicklung bildet die Grundlage für eine nachhaltige Bioökonomie und die kostengünstige Produktion von Therapeutika“, sagt Peter Neubauer, Leiter des Fachgebiets Bioverfahrenstechnik an der Technischen Universität Berlin. „Stark beschleunigte Entwicklungszyklen sind nur möglich, wenn wir auf völlig neue Denkansätze setzen und neue Technologien entwickeln“, sagt Neubauer. Er zählt weltweit zu den Pionieren der automatisierten Bioprozessentwicklung und hat das vom Bundesforschungsministerium geförderte Zukunftslabor für KI-gestützte Bioprozessentwicklung (KIWI-biolab) aufgebaut.
Eine große Herausforderung in der Biotechnologie ist die Maßstabsvergrößerung der Verfahren vom handlichen Labor-Bioreaktor hin zum „Brauen“ in riesigen Stahlbehältern – das Scale-up. 2009 hat Neubauer daher das BioProScale-Symposium initiiert, um eine Plattform zu schaffen, auf der neueste Trends für das Scale-up diskutiert werden können. Die Veranstaltung ist mittlerweile zu einem Forum mit internationaler Strahlkraft für Bioverfahrenstechnik-Fachleute geworden. Zur mittlerweile achten Ausgabe, die die TU Berlin mit dem Bio-PAT e.V. und BioProScale e.V. organisiert hatte, waren vom 9. bis 11. April rund 200 Akteure aus Industrie und Wissenschaft in das Langenbeck-Virchow-Haus auf dem Campus der Charité in Berlin-Mitte gekommen.
Technologie-Transfer
Auf der Konferenz wurde deutlich: In allen Phasen der Bioprozessentwicklung spielen heute Digitalisierung, Automatisierung und Modellierung eine entscheidende Rolle. „Beim Scale-up sind die Datenwissenschaften der große Trend, der durch die Corona-Pandemie nochmal einen Schub bekommen hat“, sagt Emmanuel Anane im Gespräch mit bioökonomie.de. In Dänemark arbeitet er für Fujifilm Diosynth Biotechnologies, einem Auftragshersteller für die Pharmaindustrie. Anane beschäftigt sich mit der Produktion von Biopharmazeutika – etwa Antikörper – mithilfe von Hamsterzellen (CHO). Üblicherweise werden solche tierischen Zellen in Einweg-Bioreaktoren mit einem Volumen von 2.000 Litern herangezüchtet. „Doch wenn die Nachfrage steigt, werden Prozesse in 20.000-Liter-Stahltanks interessant“. Um solche Maßstabsvergrößerungen zu simulieren, betreibt Anane Technologie-Transfer: „Dafür übertragen wir Informationen aus einem Kontext in einen anderen Kontext, um mit mathematischen Modellen Prozesse im Industriemaßstab zu simulieren.“
Eine große Herausforderung seien die oft lückenhaften Datensätze, die die Kunden an die Auftragshersteller lieferten. Abhilfe könnte unter anderem Künstliche Intelligenz schaffen. „KI-basierte Algorithmen könnten vorhersagen, zu welchem Zeitpunkt man im Bioprozess Proben entnehmen sollte – das wäre smart und äußerst hilfreich für eine effiziente Datenerhebung“, sagt Anane. Ebenfalls mit KI-basierten Lösungen arbeitet ein Team um Frédéric de Lapierre von der Hochschule München. Er stellte einen Machine-Learning-Algorithmus vor, der vollautomatisch die Zusammensetzung der Nährstofflösung in einem Mikrobioreaktor zubereitet, prüft das Wachstum und macht Vorschläge für verbesserte Medien-Mixturen.
Video: Das Labor der Zukunft – Digitalisierung der Biotechnologie
Automatisierte Laborplattform
Marco Oldiges vom Forschungszentrum Jülich erläuterte, wie sich die Bioprozessentwicklung durch Miniaturisierung, Automatisierung und Digitalisierung erheblich beschleunigen lässt. Sein Team hat – unter anderem mit Förderung durch das Bundesforschungsministerium – eine robotergestützte Hochdurchsatzplattform für automatisierte mikrobielle Experimente aufgebaut.
Hunderte Experimente für die die Charakterisierung von mikrobiellen Produktionsstämmen laufen hier parallel ab. So entsteht ein Datenschatz, der den Einsatz von Maschinellem Lernen zur Exploration komplexer Lösungsräume ermöglicht. Der Trend gehe klar hin zur Autonomisierung der Experimente: Algorithmen entscheiden, wie Experimente geführt werden. Dabei durchlaufen die Entwicklungsprozesse wiederholt einen Kreislauf aus Entwurf, Herstellung, Erprobung und Lernen (Design-Build-Test-Learn). Oldiges erläuterte die Anwendung dieses Ansatzes am Beispiel der mikrobiellen Produktion von katalytisch aktiven Einschlusskörperchen (Inclusion bodies).
Hightech für die Prozessanalyse
Ein weiterer thematischer Schwerpunkt bei der BioProScale lag auf der immer wichtigeren Prozessanalysetechnik (Process Analytical Technology – PAT). Denn sie erlaubt es, biotechnologische Produktionsprozesse im Detail zu analysieren, sie möglichst in Echtzeit zu kontrollieren und damit effizienter zu gestalten. Forschende stellten innovative Sensor-Lösungen vor, etwa elektrochemische Sensoren oder einen online-Sensor, der auf einem linsenfreien Mikroskop basiert.
Scale-up im System Bioökonomie
Bioökonomie-Expertin Daniela Thrän vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung und DBFZ weitete die Perspektive beim Thema Scale-up und ging auf die Rolle biobasierter Ressourcen und Prozesse auf dem Weg in eine klimaneutrale Industrie ein. Dabei betonte sie die Wichtigkeit von Kreislauf- und Kaskadenkonzepten bei der Nutzung der limitierten Ressource Biomasse und erläuterte, welche Lebenszyklusanalysen relevant sind, um die Reduktion von Treibhausgas-Emissionen bei Bioprozessen zu ermitteln.
Philipp Graf