Mission Negative Emissionen: Teil 2 – das HyBECCS-Verfahren
Die Bioökonomie-Doku „Mission Negative Emissionen“ beleuchtet biobasierte Ansätze für die CO₂-Verwertung. In Teil 2 geht es um das HyBECCS-Verfahren: Aus Biomasse wird Wasserstoff gewonnen und das anfallende CO₂ wird für die Biotech-Produktion genutzt. Möglich wird das in dafür umgerüsteten Biogasanlagen, wie Forschende vom Fraunhofer IPA zeigen. Oder durch einen mikrobiellen Prozess, den ein Team aus Stuttgart und Biberach entwickelt hat.
Video Transkript
Mission Negative Emissionen
2023 war das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen, mit weltweit drastischen Folgen. Ohne Zweifel der Hauptverursacher ist der Mensch mit seinen Emissionen. Die Gegenmaßnahmen sind bekannt: Wir müssen den Ausstoß von Treibhausgasen vermeiden und die erneuerbaren Energien ausbauen. Doch reicht das, um die Erwärmung tatsächlich aufzuhalten? Der Weltklimarat hat berechnet, dass wir die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad nur erreichen können, wenn wir einen Teil des ausgestoßenen Kohlendioxids zusätzlich aus der Atmosphäre entfernen.
Zum Beispiel durch Aufforstung über Bäume und Pflanzen. Oder maschinell über Filter aus der Luft. Das CO₂ wird dann verflüssigt und unter der Erde gespeichert. Dieser Prozess kostet jedoch viel Energie und bringt vergleichsweise wenig für eine negative CO₂-Bilanz. Eine CO₂-Reduktion lässt sich aber auch bei bestehenden Prozessen erzielen:
Teil 2 – HyBECCS Stuttgart & Biberach
Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung in Stuttgart. 2023 leitet hier der Ingenieur Johannes Full die Arbeitsgruppe biointelligente Technologien. Sein Bereich bringt die Verfahrenstechnik mit Informatik und Biotechnologie zusammen. Dabei interessiert ihn ein ganz bestimmtes Verfahren, genannt HyBECCS. Die Abkürzung steht für Hydrogene, Bioenergy und Carbon Capturing Storage. – Doch was versteht man genau darunter?
Johannes Full: „Damit sind zunächst mal alle Technologien und Verfahren zusammengefasst, die aus Biomasse Wasserstoff produzieren. Und das dabei entstehende CO₂, was immer als Nebenprodukt entsteht, abgeschieden und langfristig gespeichert wird und somit ist dieser Technologieansatz eine Negativ-Emissionstechnologie.“
Eine vielversprechende Idee. Denn grüner Wasserstoff soll baldmöglichst die fossilen Brennstoffe als Energieträger ablösen. Gewinnen lässt er sich auf zwei Wegen: durch die Elektrolyse von Wasser mit erneuerbarem Strom oder eben aus Biomasse:
Johannes Full: „Was immer in die Prozesse als Input eingeht, besteht zu großen Teilen aus Kohlenwasserstoffen, also aus Kohlenstoff und Wasserstoff. Und deswegen ist es auch naheliegend, dass die beiden Gas-Fraktionen, die man daraus produzieren kann, zum einen Wasserstoff ist. Das sind ungefähr 50 bis 60 %. Und auf der anderen Seite eben CO₂. Und anstatt, dass wir nur Wasserstoff in Anführungsstrichen als Produkt betrachten, sehen wir das eben als Produktionsprozess mit zwei möglichen Produkten.“
Auf das Klima soll sich das Verfahren doppelt positiv auswirken: Erstens verbrennt Wasserstoff CO₂-frei und zweitens wird das CO₂, das bei der Verbrennung der Biomasse anfällt, gebunden. HyBECCS verspricht viel. Die Frage ist, wie gut es sich umsetzen lässt.
Johannes Full. „Das Grundkonzept ist von uns entwickelt worden und einzelne technische Umsetzungsmöglichkeiten bewerten wir und vergleichen sie miteinander, um dann im Idealfall potenziellen Anwendern und Investoren die Entscheidung zu erleichtern, indem wir genau aufzeigen können. Wo sind jetzt die ökologischen und die ökonomischen Benefits.“
Denn je nachdem, wo die Reststoffe herkommen, und welcher Qualität sie sind, eignen sich unterschiedliche Technologien für ihre Verarbeitung. Für die Wasserstoffproduktion zählt die Dampfreformierung zu den etabliertesten Verfahren. Nach den Forschenden könnte es gut in Biogasanlagen integriert werden. Der Wasserstoff wird in diesem HyBECCS Szenario lokal produziert, ideal als Kraftstoff für landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge und mehr:
Johannes Full: „Also wir haben aufbauend auf den Biogas-Anlagen allerdings nur für Baden-Württemberg berechnet, dass wir den derzeitigen Wasserstoff Bedarf in Baden-Württemberg decken könnten, in dem man ungefähr 1/4 aller Biogasanlagen umrüsten, also Wasserstoff produzieren lassen würde anstatt Bio-Methan. Das heißt das sind schon enorme Mengen, die auch einen großen Beitrag zur Wasserstoff-Wirtschaft leisten könnten. Auch vor dem Hintergrund, dass wir im Vergleich zur Elektrolyse noch günstiger produzieren können.“
Die Dampfreformierung ist ein Weg, grünen Wasserstoff herzustellen. An der Hochschule Biberach verfolgt Johannes Funk ein anderes spannendes Verfahren. Hierbei steht die Biotechnologie im Zentrum und ihre kleinen Helfer, die Bakterien.
Johannes trifft den Leiter des Fachbereichs industrielle Mikrobiologie in seinem Labor. Hartmut Grammel arbeitet mit ganz besonderen Mikroorganismen, den sogenannten Purpurbakterien. Unter Lichteinfluss betreiben die Wasserbewohner Photosynthese und gewinnen dadurch Energie. Dabei entsteht die schöne rote Färbung. Und noch etwas ist besonders: Die Bakterien verfügen über spezielle Enzyme, über die sie Wasserstoff produzieren können.
Dafür nutzen sie das Sonnenlicht. Um relevante Mengen an Wasserstoff aus den Bakterien zu gewinnen, bräuchte man allerdings sehr viel Licht, womit ein extrem großer Energieaufwand verbunden wäre. Beim Projektpartner, der Uni Stuttgart, fand sich im Verbundprojekt RhoTech eine alternative Lösung. Unter der Leitung des Biologen Robin Gosh konnten die Purpurbakterien so kultiviert werden, dass sie auch im Dunkeln photosynthetische Zellen bilden. Die Grundvoraussetzung für eine industrielle Produktion war gegeben:
Hartmut Grammel: „Die Innovation in unserem Prozess hier liegt eigentlich darin, dass wir dann in herkömmlichen Edelstahl oder Bioreaktor in diesen photosynthetischen Zustand auch ohne Licht voll auslösen können, alle Wasserstoff-produzierenden Enzyme aktivieren können, ohne dass wir Licht benötigen. Und dadurch wird dieses Potenzial überhaupt erst einmal für industrielle Maßstäbe erschließbar, weil wir dann anders als hier im Labor nicht in zehn Liter Volumen arbeiten, sondern eben 100.000 Liter oder mehrere 100.000 Liter.“
Doch woher bekommen die Bakterien für die dunkle Photosynthese die Energie, wenn Licht dafür als Quelle nicht infrage kommt? – Auch Mikroben lieben Zucker. Eine süße Quelle haben die Forschenden in der regionalen Molkereiverarbeitung gefunden: Als Reststrom fallen dort Fructose-haltige Abfälle an, ein gefundenes Fressen für die Purpurbakterien.
Wie viel Wasserstoff lässt sich aus den Molkereiabfällen mit den Bakterien produzieren? Und was ist das optimale Verfahren dafür? Daran tüftelt Hartmut Grammel mit seinem Team. Ob und wann der Prozess am Ende auch wirtschaftlich ergiebig ist, wird vom Projektpartner am Fraunhofer IPA ausgewertet.
„Da sind wir absolut angewiesen auf die Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer IPA. Das heißt, wir würden wir produzieren Daten, Datenreihen, die dann eben bilanziert und ausgewertet und bewertet, ökonomisch bewertet werden müssen von der Partnergruppe, von Fraunhofer. Und das ist dann sehr entscheidend. Die Rückmeldung auch, wie wir den Prozess weiterentwickeln und optimieren werden.“
Immer wenn Biomasse verwertet wird, entsteht auch CO₂, so auch beim Stoffwechsel der Purpurbakterien. Wenn sie Wasserstoff produzieren, setzen sie gleichzeitig Kohlenstoffdioxid aus den Molkeresten frei. Im Laborbetrieb bleibt das CO₂ momentan noch ungenutzt und entweicht als Abgas in die Atmosphäre. An sich ein klimaneutraler Prozess. Doch im Sinne des HyBECCS Verfahrens ist hier noch mehr CO₂-Ersparnis zu holen:
Johannes Full: „Diese klimaneutralen Kohlenstoff-Quellen sind aber eben auch geeignet für negative Emissionen und dieses Potenzial ist mir wichtig, dass es in Zukunft mit betrachtet wird, dass man aus den klimaneutralen Kreisläufen das Atom rausnimmt, speichert und dann entsprechend Kohlenstoff senken schaffen kann und Treibhausgas senken im Allgemeinen.“
Auch das wird mit dem Purpurbakterium Rhodospirillum rubrum und seinem erstaunlichen Stoffwechsel möglich. Man kann die Mikroben nämlich auch so heranzüchten, dass sie CO₂ verwerten und in Biomasse umwandeln. Allerdings sind Wasserstoff-Produktion und CO₂-Verwertung zwei gegenläufige Prozesse. Wie könnte man sie kombinieren?
(Animation)
Denkbar ist das in zwei Schritten. Schritt eins: Aus der Molkerei oder dem Weinbau fließen Fructose-haltige Abfälle in den Reaktor. Damit betreiben die Purpurbakterien dunkle Photosynthese und produzieren Wasserstoff als Energieträger. Bei dem Prozess wird auch CO₂ frei. Aus den Zellresten lassen sich hochwertige Stoffe herauslösen wie Terpenoide.
Hartmut Grammel: „Was ich mir vorstelle, ist, dass das Verfahren zu einer dezentralen Anwendung wird, bei der im Sinne eines Bioraffinerie-Konzepts das Bakterium verwendet wird, um hochpreisige Produkte zu produzieren. Das können Produkte für die biopharmazeutische Anwendung sein, und wir versorgen dann diese Anlage energetisch mit dem Wasserstoff, den wir erzeugen innerhalb des Prozesses, sodass das eine dezentralisierte, integrierte Anwendung ist, wo wir möglichst das ganze Potenzial, was dieser Prozess bietet, dann auch ökonomisch versuchen zu nutzen.
Den Prozess könnte man in einem zweiten Schritt weiterdenken: Das CO₂, das die Bakterien bei der Fermentation freisetzen, wird abgefangen und in einen separaten Reaktor geführt. Dort verwandeln Purpurbakterien das Abgas zu Bausteinen für Biomaterialien wie Bioplastik. So entsteht ein negativer CO₂-Fußabdruck, und die Purpurbakterien werden zu Hauptakteuren einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft.