„Wir haben potenziell toxische Thioarsenate in den meisten Reisprodukten nachgewiesen“

„Wir haben potenziell toxische Thioarsenate in den meisten Reisprodukten nachgewiesen“

Britta Planer-Friedrich

Beruf:
Umweltgeochemikerin

Position:
Professorin für Umweltgeochemie an der Universität Bayreuth  

Porträtfoto von Frau Britta Planer-Friedrich
Vorname
Britta
Nachname
Planer-Friedrich

Beruf:
Umweltgeochemikerin

Position:
Professorin für Umweltgeochemie an der Universität Bayreuth  

Porträtfoto von Frau Britta Planer-Friedrich

Britta Planer-Friedrich und Stephan Clemens von der Universität Bayreuth erforschen bedenkliche und bisher unbemerkte Arsenverbindungen im Reis.

Reis ist das wichtigste Grundnahrungsmittel weltweit, gleichzeitig enthält das Getreide krebserregendes Arsen, das die Pflanzen aus dem Boden aufnehmen. Die Umweltgeochemikerin Britta Planer-Friedrich von der Universität Bayreuth und ihr Team haben herausgefunden, dass Reisprodukte weit mehr bedenkliches Arsen enthalten könnten als bisher angenommen. Sie kamen einer Gruppe potenziell gesundheitsschädlicher Arsen-Schwefel-Verbindungen – sogenannten Thioarsenaten – auf die Spur. Besonders Dimethylmonothioarsenat (DMMTA) könnte auch für den Menschen toxisch sein. Thioarsenate wie DMMTA waren mit den üblichen Messmethoden in der Vergangenheit nicht erfasst worden. Im Rahmen des in der BMBF-Fördermaßnahme Bioökonomie International geförderten Projekts „Thio-As-Rice“ ging Planer-Friedrich mit dem Pflanzenphysiologen Stephan Clemens und Forschenden aus China dem Problem auf den Grund.

Frage

Wie sind Sie auf Thioarsenate in Reispflanzen aufmerksam geworden? Könnten auch andere Nutzpflanzen bedenkliche Mengen an Thioarsenaten enthalten?

Antwort

Uns war grundsätzlich klar, dass die chemischen Bedingungen in gefluteten Reisböden die Bildung von Thioarsenaten begünstigen. Die Schwierigkeit bestand darin, diese Verbindungen analytisch nachzuweisen. Über die letzten Jahre entwickelten wir Methoden, um Thioarsenate im Bodenporenwasser von Reisfeldern zu bestimmen, und zeigten, dass sie von dort in die Reispflanze aufgenommen werden können. Darüber hinaus haben wir kürzlich gezeigt, dass auch die Reispflanze selbst Thioarsenat bilden kann. Für andere Nutzpflanzen erscheint die Gefahr zunächst einmal geringer, da Arsen unter nicht gefluteten Bedingungen generell weniger mobil ist. Es wurden allerdings auch schon vereinzelt in Kohl und Karotten Thioarsenate nachgewiesen.

Frage

Was ist über die gesundheitlichen Gefahren der Thioarsenate für den Menschen bekannt?

Antwort

Es geht hier um die chronische Toxizität von Arsen, also die Wirkung bei längerer Exposition gegenüber kleinen Konzentrationen. Über anorganisches Arsen weiß man, dass es Haut-, Lungen- und Leberkrebs auslösen kann, und es ist als einziges bisher in Reis und Reisprodukten reglementiert. Jedoch zeigen Zelltoxizitätsstudien klar, dass speziell Dimethylmonothioarsenat (DMMTA) eine der toxischsten Arsenverbindungen ist, ähnlich toxisch oder sogar toxischer als anorganisches Arsen. Allerdings liegen zu DMMTA bislang deutlich weniger Studien vor als zu anorganischem Arsen. Es besteht hier also eine größere Unsicherheit, inwieweit man von den In-vitro-Tests im Labor auf irgendeine zumutbare Höchstmenge und schädliche Auswirkungen für den Menschen schließen kann. Hier schließt sich allerdings auch ein Kreis. Solange das Vorkommen von DMMTA im Lebensmittel Reis nicht mehr Aufmerksamkeit bekommt, wird es auch weiterhin wenige Studien geben, die solide Informationen für eine Risikobewertung bringen.

Frage

Im Rahmen des Projekts „Thio-As-Rice“ haben Sie die Thioarsenat-Belastung verschiedener Reisprodukte untersucht. Welche Lebensmittel waren besonders stark belastet?

Antwort

Generell haben wir Thioarsenate, speziell das bedenkliche DMMTA, in nahezu allen kommerziell erhältlichen Reisprodukten nachweisen können. Gemeinsam mit unseren chinesischen Kooperationspartnern haben wir 140 Proben von poliertem Reis weltweit untersucht und festgestellt, dass bis zu 20 % vom gesamten Arsen DMMTA war. Die höchsten Gehalte fanden wir allerdings in Reiswaffeln. Erste Untersuchungen zeigen, dass tatsächlich eine Umwandlung vom einfachen methylierten Dimethylarsenat (DMA) zu DMMTA während des Herstellungsprozesses passiert. Hier könnte sich eventuell durch Anpassung von Prozessbedingungen eine Möglichkeit bieten, DMMTA weitgehend zu eliminieren. Derzeit gibt es aber keine rechtlichen Vorgaben, die die Hersteller zwingen würden, hier aktiv zu werden.

Frage

Was bedeutet das für die Verbraucher?

Antwort

Verbraucher können sich derzeit darauf verlassen, dass Reisprodukte, die sie im Lebensmittelhandel in Europa beziehen, die festgelegten Grenzwerte an anorganischem Arsen nicht übersteigen. Vielen ist aber sicher nicht bewusst, dass es hinsichtlich des zulässigen Höchstgehalts an Arsen Unterschiede zwischen „normalen“ Reiswaffeln und solchen gibt, die als für Kleinkinder geeignet gekennzeichnet sind. Zusammen mit einer potenziellen zusätzlichen Gefahr ausgehend von DMMTA, das nun nach unseren Studien in Reiswaffeln in Konzentrationen auftreten kann, die teils sogar über dem anorganischen Arsen liegen, kann man hier aus unserer Sicht den Verbrauchern derzeit eigentlich nur raten, den Konsum von Reiswaffeln, speziell bei Kindern, eher einzuschränken. Ein besseres öffentliches Bewusstsein für die Problematik und entsprechende Nachfragen der Konsumenten würden eventuell auch das Bewusstsein in der Lebensmittelindustrie schärfen.

Frage

Sie und Ihr Team haben sich dafür eingesetzt, die Problematik der Thioarsenate in den Fokus von Forschung, Medien und Politik zu rücken. Wie kommt das an – auch in der Lebensmittelindustrie?

Antwort

In den letzten Jahren hat das Bewusstsein für die Thioarsenat-Problematik deutlich zugenommen. Unsere Ergebnisse wurden mit VertreterInnen vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) und der European Food Safety Authority (EFSA) diskutiert, auf wissenschaftlichen Fachkongressen vorgestellt und über zahlreiche Plattformen und Beiträge der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die anfängliche Skepsis hinsichtlich der Bedeutung dieser neuen Verbindungen und ihrer Relevanz im Reis scheint sich weitgehend gelegt zu haben, zumal auch mehr und mehr andere Arbeitsgruppen international DMMTA analysieren und unsere Ergebnisse bestätigen. Wir hatten unsere ersten Ergebnisse zu Thioarsenat-Vorkommen in Reis- und Reisprodukten auch Lebensmittelfirmen zur Verfügung gestellt, sind allerdings nur mit einer Firma in eine gewisse Kooperation gekommen. Hier besteht ein relativ klarer Interessenskonflikt, ein Thema zu adressieren und ein Problem potenziell weiter zu manifestieren, für das es derzeit keinerlei Auflagen gibt.

Frage

Sind die Grenzwerte für Arsenverbindungen in Reisprodukten nach Ihren Ergebnissen noch adäquat? Wie verläuft die Diskussion hierzu?

Antwort

Lange Zeit lag das Augenmerk für Arsentoxizität im Reis nur auf anorganischem Arsen. Die geltenden Grenzwerte für anorganisches Arsen sind nach derzeitigem Stand der Forschung adäquat. Problematisch ist, wenn sich hinter dem bekannten und kalkulierten Risiko noch ein weiteres verbirgt, das noch nicht einmal analytisch erfasst wird, wie im Fall vom DMMTA. Organische Arsenverbindungen wurden bisher nicht, vor allem nicht differenziert, betrachtet. Am 29. November 2023 hat die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA eine „Draft Opinion on small organoarsenic species in food“ vorgestellt. Bis März 2024 soll diese veröffentlicht werden und eine erste Zusammenstellung und Ad-hoc-Bewertung von DMMTA aufgrund der derzeit verfügbaren Literaturinformationen, zum Beispiel zu Analytik und toxikologischen Studien, umfassen. Die Vizepräsidentin des BfR, Prof. Dr. Tanja Schwerdtle, Vorsitzende der Arbeitsgruppe „small organic arsenic species in food“, hat unsere Studien zum Vorkommen und zur Bedeutung von DMMTA in Reis bei der EFSA vorgestellt, allerdings auch hervorgehoben, dass eine Grenzwertsetzung eine umfangreiche Risikobewertung erfordert, für die im Fall von DMMTA leider noch viele grundlegende Informationen fehlen.

Frage

Was sagen Ihre Forschungsergebnisse darüber, wie der Thioarsenat-Gehalt von Reis reduziert werden kann?

Antwort

Dazu wissen wir bislang leider noch sehr wenig. Es gibt bestimmte chemische Bedingungen in Bodenporenwässern, die die Thioarsenat-Bildung erhöhen, zum Beispiel der Einsatz von Sulfat zur Düngung, das sollte kritisch geprüft werden. Wovon es abhängt, wie viele Thioarsenate vom Boden in die Pflanze gelangen und wie viele in der Pflanze umgewandelt werden zu „harmloserem“ DMA oder umgekehrt, wie viel DMMTA aus DMA in der Pflanze neu gebildet wird, ist ebenfalls bisher unklar. Eventuell gibt es Unterschiede in den Reisvarietäten, die gezielt genutzt werden können. Genom-Editierung könnte in der Reiszüchtung eingesetzt werden, um die Arsengehalte zu verringern. Letztlich könnte sich eventuell auch nach der Ernte der Reiskörner der Anteil von DMA zu DMMTA noch ändern je nach Lagerungsbedingungen. Und für Reiswaffeln ist, wie bereits erwähnt, der Anteil von Thioarsenaten möglicherweise durch Änderung der Herstellungsbedingungen minimierbar. Das wäre einer der ersten und einfachsten Ansätze.

Interview: Doreen Penso Dolfin