„Keine Aktion ohne Reaktion" – so lautet eine Redewendung, die zum Ausdruck bringt, dass jedes Handeln Folgen hat. Auch der Wandel von einer erdölbasierten hin zu einer nachhaltigen, biobasierten Wirtschaft zieht vielschichtige Veränderungen nach sich - und zwar weltweit. Soziologin Maria Backhouse ist überzeugt, dass „keine gesellschaftlichen Veränderungen, auch Technologieentwicklungen, im luftleeren Raum stattfinden", sondern „von sozialen Ungleichheitsverhältnissen von der globalen bis zur lokalen Ebene durchdrungen" sind. „Für uns stellt sich deshalb die Frage, inwieweit die existierenden sozialen Ungleichheiten durch die Förderpolitik von Bioökonomie verändert, rekonfiguriert, verstärkt oder aufgehoben werden.“
Im Projekt „Bioinequalities“ geht seit zweieinhalb Jahren eine siebenköpfige Nachwuchsgruppe an der Friedrich-Schiller-Universität Jena unter Leitung von Backhouse dieser Frage anhand von Bioenergie und der dafür notwendigen Biomasse – insbesondere Zuckerrohr, Soja und Palmöl – nach. Das Vorhaben wird über fünf Jahre mit rund 2,6 Mio. Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Initiative „Bioökonomie als gesellschaftlicher Wandel“ unterstützt.
Agrarsektor bestimmt vielerorts Ausrichtung der Bioökonomie
Im Fokus der Analysen stehen keine Zukunftsszenarien, sondern der Ist-Zustand. Fakt ist: Der Bioenergiesektor, insbesondere Biokraftstoffe der ersten Generation, ist eng an die Biomasseproduktion gekoppelt. Und Zuckerrohr, Soja oder Palmöl wird meist agrarindustriell produziert, wie Backhouse erklärt. Zweieinhalb Jahre nach Projektstart zieht die Forscherin nun eine erste Bilanz: „Im Bereich der Bioenergie und Biomasse läuft die Bioökonomie in den meisten Ländern auf die Förderung der Agrarindustrie hinaus. Denn der Agrarsektor bestimmt aktuell in vielen Ländern, wie die Bioökonomie auf politischer Ebene, national und international, diskutiert und verhandelt wird. Damit ist eine Reihe von sozioökologischen Problemen verbunden."
Bioenergie wird in den meisten Bioökonomie-Strategiepapieren als wichtiger Sektor präsentiert, den es im Fall von Biokraftstoffen schon seit mehreren Jahrzehnten gibt. Mit Brasilien, Malaysia, Argentinien sowie Deutschland, der Europäischen Union und China haben sich Backhouse und ihr Team wichtige internationale Akteure auf dem Bioenergie- und Biomassefeld für ihre Studie ausgewählt. „Wir untersuchen auf der lokalen und regionalen Ebene die Arbeitsverhältnisse und Landnutzungsrechte, aber auch die politische Ebene: Wer bestimmt mit, wie die Bioökonomie im jeweiligen Land oder auf der EU-Ebene ausgerichtet wird? Wer profitiert von staatlichen Anreizen für Bioenergien und wer nicht? ", erläutert die Projektleiterin.
Zuckerrohrplantage in Sao Paulo/Brasilien
Bioökonomie-Debatten finden in Expertenkreisen statt
Die Herausforderung der Ungleichheitsforschung besteht darin, dass es unterschiedliche Vorstellungen und Definitionen der Bioökonomie in den Ländern gibt, wie Backhouse betont. „Die Debatten um die Ausrichtung der Bioökonomiestrategien auf nationaler und supranationaler Ebene finden in allen untersuchten Ländern ausschließlich in Expertenkreisen statt und sind auf technologische Innovationen fokussiert.“ Sie seien in Deutschland, Argentinien, Malaysia oder Brasilien kaum Gegenstand öffentlicher Debatten, sagt Backhouse. Die Gespräche werden vorranging von Unternehmen und Verbänden aus dem Agrarsektor, aber auch von Biotechnologiefirmen sowie den jeweiligen Agrar- und Wissenschaftsministerien bestimmt.
Das ist auch auf der EU-Ebene nicht viel anders, wie Backhouse erläutert. Die Aktualisierung der EU Bioökonomie-Strategie im vergangenen Jahr sei zwar ein „komplexer Konsultationsprozess mit vielen Debatten gewesen, in denen unterschiedliche Sichtweisen geäußert werden konnten“. „Doch eine grundlegende Debatte über Ziele und Inhalte der Strategie wurde nicht geführt und die Ausrichtung blieb letztlich unverändert.“
Wichtig für die Ungleichheitsforschung ist auch, die Entwicklungen in den Ländern sowie auf globaler Ebene im historischen Zusammenhang zu betrachten und „nicht alle Veränderungen im Biomasse- und Bioenergiesektor vorschnell auf die Bioökonomie zurückzuführen“, wie Backhouse betont. Die Soziologin verweist auf Brasilien, wo seit den 1970er Jahren Bioethanol auf Zuckerrohrbasis produziert wird. „Zunächst sollte damit die Ölkrise abgeschwächt und der Zuckerrohrsektor gefördert werden. Die `grüne` Umdeutung von Ethanol als nachhaltiger Biokraftstoff setzte erst in den 2000er Jahren ein.“ Heute ist Brasilien der zweitgrößte Ethanolproduzent nach den USA und der größte Zuckerrohrproduzent weltweit.
Ambivalente Veränderungen durch technische Innovationen
Welche ambivalenten Veränderungen technische Innovationen auslösen können, zeigt eine Studie zu den Arbeitsverhältnissen auf den brasilianischen Zuckerrohrplantagen. Dort wurden durch die Mechanisierung das klimaschädliche Abbrennen der Felder und die schlechten Arbeitsbedingungen für die Zuckerrohrschneider abgeschafft. Gleichzeitig entstanden neue Jobs, auch für Frauen. „Andererseits ist keine neue Einkommensperspektive für die indigenen Arbeiter entstanden, die zuvor auf den Feldern arbeiteten. Damit verstärken sich die Konflikte, die es in dem Kontext um Landzugang und -nutzung zwischen Indigenen und Großgrundbesitzern bereits gab“, erläutert Backhouse.
Ölpalm-Baumschule in Malaysia
Malaysia steht als einer der weltgrößten Palmölproduzenten im Fokus. Wie in allen untersuchten Ländern ist auch hier die Bioökonomie darauf ausgerichtet, mehr Jobs, bessere Einkommen und Perspektiven für die Menschen zu schaffen. Die ersten Ergebnisse der Nachwuchsforschergruppe zeigen jedoch, dass diese „Versprechen“ nicht für alle gleichermaßen gelten: Von den damit verbundenen Innovationen profitieren Backhouse zufolge eher Arbeiter mit malaysischem Pass und nicht die Wanderarbeiter, die hauptsächlich die Plantagen bewirtschaften. „Was die lokalen Studien in Brasilien, Malaysia und Argentinien aufzeigen, ist eine Kontinuität der sozialen Widersprüche, die verbunden sind mit einem bestimmten Agrarindustriemodell, das gestärkt wird und die Landfrage bestimmt", resümiert die Soziologin.
Auf den riesigen Sojaplantagen in Argentinien arbeiten hingegen sehr wenig Menschen, was die bestehende Landflucht weiter verstärkt. Die Ausweitung des Sojaanbaus geht Backhouse zufolge mit der agrarindustriellen Bewirtschaftung der Flächen und einem exponentiell steigenden Pestizideinsatz einher, dem besonders arme Menschen in ländlichen Regionen ausgesetzt sind. In der Bioökonomie-Debatte werde dieses Problem jedoch wenig diskutiert, so Backhouse.
Mehr Biomasse, mehr soziale Konflikte
Fakt ist: Diese Themen werden in Zukunft noch wichtiger werden. Backhouse ist überzeugt: „Je mehr die Wirtschaft auf Biomasse basiert, desto mehr muss davon produziert werden.“ Und das könnte soziale Konflikte verschärfen. Die Europäische Union benötigt schon heute mehr Biomasse als sie produzieren kann.
In den kommenden zweieinhalb Jahren wird das Jenaer Team um Maria Backhouse die Ergebnisse zu den einzelnen Ländern aus einer transnationalen Ungleichheitsperspektive stärker ins Verhältnis zueinander setzen und aufzeigen, wie sich regionale Entscheidungen zur Bioökonomie auf andere Länder auswirken. Ein wichtiger Aspekt, den es dabei zur berücksichtigen gilt, ist der Einfluss Chinas. „China hat zwar keine explizite Bioökonomie-Strategie, ist aber ein großer Abnehmer aller Ressourcen und verändert so den politökonomischen Kontext, in dem sich die Bioökonomie bewegt“, erläutert Backhouse. Letztendlich hoffen die Forscher auch Ansätze zu finden, die Ungleichheitsverhältnisse positiv beeinflussen. „Wo zeichnen sich Tendenzen ab, die Arbeitsbedingungen verbessern oder die Wissensproduktion verschieben? Das ist eine spannende Schlussfrage", so Backhouse.
Autorin: Beatrix Boldt