Eisalgen mit gefährlicher Fracht auf Tiefgang
Helmholtz-Forschende vom AWI haben entdeckt, dass die arktische Kieselalge Melosira arctica Mikroplastik anreichert und in die Tiefsee befördert.
Die Weltmeere sind voll mit Plastikmüll. Sogar in der Arktis wurden Forschende fündig. Relikte von Kunststoffprodukten – von Plastikflaschen und -tüten über Schuhe bis hin zu Fischernetzen, die als Strandgut enden, oder Müllteppiche, die auf den Weltmeeren treiben, sind jeweils nur die offensichtlichen Beispiele. Das volle Ausmaß des Plastikmülls ist oberflächlich nicht sichtbar.
Seit Jahren warnen Forschende daher vor den Folgen der Vermüllung durch Mikroplastik für das Ökosystem und vor allem für die Meeresbewohner. Wie groß die Mikroplastikverschmutzung im arktischen Meereis tatsächlich ist, zeigt nun eine neue Studie, die unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts (AWI), dem Helmholtz-Zentrum für Meeres- und Polarforschung, durchgeführt wurde.
Alge befördert Mikroplastik zum Meeresboden
Aus früheren Messungen war bekannt, dass sich Mikroplastik bei der Meereisbildung im Eis aufkonzentriert und beim Schmelzen an das umgebende Wasser abgegeben wird. Die größten Mengen Mikroplastik wurde jedoch jeweils im Tiefseesediment im Bereich des Eisrandes gefunden. Warum das so ist, war bisher unklar. Darauf haben Meeresbiologen um Melanie Bergmann vom Bremerhavener AWI nun die Antwort gefunden: Die Alge Melosira arctica hat bei ihrem Tiefgang die gefährliche Fracht geladen.
„Die Algen befördern Mikroplastik auf direktem Weg mit nach unten zum Meeresboden, darum messen wir unter der Eiskante höhere Mikroplastikmengen. Normalerweise sinken die als Meeresschnee bezeichneten Aggregate aus Algenresten langsamer und werden von Wasserströmungen seitwärts abgetrieben, so dass der Meeresschnee weiter weg landet“, erläutert die AWI-Biologin.
Mikroplastikkonzentration in der Alge höher als im Wasser
Die Untersuchungen ergaben nun, dass die unter dem arktischen Meereis wachsenden Algen zehnmal so viele Mikroplastikpartikel pro Kubikmeter enthielten wie das sie umgebende Meerwasser. Demnach bildet sich Melosira arctica in den Frühlings- und Sommermonaten rasend schnell unter dem Meereis aus. Sterben die Zellen jedoch ab und schmilzt das Eis, verkleben sie zu Klumpen, wie das Team im Fachjournal "Environmental Science and Technology" berichtet. Diese Klumpen können demnach innerhalb eines Tages mehrere tausend Meter bis auf den Grund der Tiefsee sinken, wo sie eine wichtige Nahrungsquelle für die bodenlebenden Tiere und Bakterien sind.
Futterfahrstuhl mit Mikroplastik beladen
„Die fädigen Algen haben eine schleimig-klebrige Textur, so dass sie möglicherweise Mikroplastik aus atmosphärischen Niederschlägen, dem Meerwasser selbst, dem umgebenden Eis und jeder anderen Quelle, der sie begegnen, einsammeln“, erklärt Deonie Allen von der University of Canterbury und der Birmingham University, die zum Forschungsteam gehört. Einmal im Algenschleim gefangen würde die gefährliche Fracht wie in einen Aufzug zum Meeresboden fahren oder von Meerestieren gefressen, heißt es. Die Alge agiert sozusagen als Futterfahrstuhl für die Bodenlebewesen in der Tiefsee. Über diesen Weg könnte das Mikroplastik in das dortige Nahrungsnetz gelangen.
Doch an der Meeresoberfläche dient die Eisalge als wichtige Nahrungsquelle. Die Forschenden meinen damit endlich eine Erklärung gefunden zu haben, warum Mikroplastik besonders stark unter eis-assoziierten Zooplankton-Organismen verbreitet war, wie frühere Studien ergaben.
Stoffmix aus Kunststoffen und Chemikalien aufgespürt
Im Zuge der Analyse der Plastikverschmutzung in der Arktis spürten die Forschenden diverse Kunststoffe wie Polyethylen, Polyester, Polypropylen, Nylon und Akryl auf. Zuzüglich verschiedener Chemikalien und Farbstoffe habe sich so ein Stoffmix ergeben, dessen Auswirkungen auf Umwelt und Lebewesen schwer einzuschätzen seien, heißt es. Die Forschenden sehen neben der Gefahr für das Ökosystem und die Meeresbewohner daher auch eine Gesundheitsgefährdung für den Menschen. „Gerade die Menschen in der Arktis sind für ihre Proteinversorgung besonders auf das marine Nahrungsnetz angewiesen, beispielsweise durch die Jagd oder Fischerei. Das heißt, dass sie auch dem darin enthaltenen Mikroplastik und Chemikalien ausgesetzt sind“, so Baumann.
bb