Die Pandemie als Chance für Nachhaltigkeit
Der 13. Deutsche Nachhaltigkeitstag stand im Zeichen der Coronakrise. Rund 100 Fachleute diskutierten in virtuellen Foren über die Chancen der Pandemie für eine nachhaltige Zukunft.
Seit neun Monaten bestimmt das Coronavirus das Leben der Menschen weltweit. Ob Hygieneregeln, Kontakt- und Reisebeschränkungen: die Folgen der Pandemie sind in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens spürbar. Doch der Kampf ums Überleben hat auch neue Wege aufgezeigt und Themen wie Nachhaltigkeit und Umweltschutz stärker in das Bewusstsein der Menschen gerückt. Ist die Krise also eine Chance für eine Transformation der Gesellschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit? Diese Frage stand im Fokus des nunmehr 13. Deutschen Nachhaltigkeitstages in Düsseldorf. Anders als sonst fand der Kongress in diesem Jahr online statt.
Rund 100 Experten aus Politik, Wirtschaft, Forschung und Zivilgesellschaft diskutierten am 3. und 4. Dezember 2020 in verschiedenen Sessions über die Chancen der Coronakrise für eine nachhaltige Gesellschaft. Die Veranstaltungen wurden jeweils live ins Netz übertragen. In verschiedenen parallell laufenden Diskussionen standen spannende Themen wie krisenfeste Geschäftsmodelle, die Rolle von Unternehmen und Start-ups sowie das veränderte Konsumverhalten auf der Tagesordnung. Aber auch über Konzepte für nachhaltige Stadtentwicklung, Kreislaufwirtschaft, ökologische Verpackungslösungen und nicht zuletzt Klimaschutz und Biodiversität wurde debattiert.
Krise als Chance für nachhaltiges Wirtschaften
Maja Göpel vom „The New Institute“ inspirierte gleich zu Beginn in einem Vortrag dazu, die „Welt neu zu denken“. Die Wissenschaftlerin und Autorin des gleichnamigen Buches sieht in der Coronakrise eine historische Chance, das Gemeinwohl wieder in den Fokus zu stellen und eine nachhaltige Wirtschaft aufzubauen. Sie sei überzeugt, dass „die Transformation die schrittweise Verschiebung ausgedienter Modelle“ bedeute. „Die Krise hat gezeigt, dass die Gesellschaft in der Lage ist, neue Lösungen zu finden, wenn Grenzen aufgezeigt werden“, so Göpel. Die Wissenschaftlerin ist Mitglied des neu gewählten Bioökonomierates, der die Bundesregierung bei der Umsetzung der Nationalen Bioökonomiestrategie berät.
Kunden honorieren Nachhaltigkeit
Gerade der Lockdown im Frühjahr hat viele Lieferketten unterbrochen und der deutschen Wirtschaft ihre Abhängigkeiten aufgezeigt. Fakt ist: Die Wirtschaft leidet unter der Krise. Zwei Drittel des Mittelstandes mussten nach Angaben der IHK herbe Einbußen einstecken. Wie sich solche Krisen wirtschaftlich nutzen lassen und ob nachhaltige Unternehmen solche Phasen besser bewältigen, wurde in der Session „Krisenhafte Geschäftsmodelle“ diskutiert. Hier zeigte sich, dass sich nachhaltiges Wirtschaften lohnt. Hinnerk Ehlers vom Tiefkühlkostproduzenten Frosta berichtete, dass enge und langfristige Lieferketten verhinderten, dass die Produktion zum Erliegen kam. Das Unternehmen ist seit langem ein Vorreiter auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit. „Der Trend zur Nachhaltigkeit hat sich in der Krise fortgesetzt. Immer mehr Kunden haben das honoriert“, so Ehlers.
Krise als Gründerzeit für Start-ups
Die Chancen der Pandemie haben vor allem Start-ups erkannt. „Die Krise ist eine Gründerzeit“, resümierte Lina Behrends, Präsidentin beim Bundesverband Deutscher Start-ups. Allein im ersten Halbjahr dieses Jahres gab es im Vergleich zum Vorjahr über 11 Prozent mehr Neugründungen – darunter auch nachhaltige Geschäftsmodelle. „Innovationen sind ein wichtiger Punkt für die Resilienz eines Unternehmens“, so Behrends. Solche Neuerungen müssten jedoch stets mit Nachhaltigkeit zusammengebracht werden. Behrends zufolge könnten Kooperationen mit Start-ups helfen, nachhaltige Ideen in große Unternehmen einzubringen.
Recycling vorantreiben
Der Schutz der Artenvielfalt und die nachhaltige Nutzung von Ressourcen sind Triebfeder vieler Innovationen - nicht nur bei Start-ups. Auch Großunternehmen wie die BASF setzen auf neue Verfahren wie das chemische Recycling, um Ressourcen zu schonen. In einer Debatte um die neue Technologie wurde eines deutlich: Viele Rohstoffe gehen durch mangelhaftes Rohstoffrecycling noch immer verloren. „Es werden noch zu viele Kunststoffe nicht recycelt, obwohl es den Grünen Punkt seit 30 Jahren gibt“, sagte Viola Wohlgemuth von Greenpeace. Auch Volker Rehrmann von TOMRA Recycling unterstrich, dass nur bei PET-Flaschen das Prinzip der Kreislaufwirtschaft bisher funktioniere. Eine Alternative könnte das chemische Recycling sein – ein Verfahren, dass Polymerketten wieder aufspaltet und so Öle gewinnt, die zur Kunststoffherstellung wiedergenutzt werden können.
Wasserzeichen für besseres Kunststoff-Recycling
Doch ist das chemische Recycling tatsächlich ein Meilenstein echter Kreislaufwirtschaft? „Es ist nicht der alleinige Lösungsweg“, räumte Saori Dubourg, Vorstandmitglied der BASF, in der Diskussionsrunde ein. „Es ist aber eine gute Alternative, um verunreinigte Verpackungsmittel zu recyceln.“ BASF hat bereits einige neue Produkte aus dem gewonnenen Pyrolyseöl herstellen können. Eine weitere Option, das Kunststoffrecycling zu verbessern, wäre die Kennzeichnung von Plastikflaschen mit einem Wasserzeichen, das von den Sortiermaschinen erkannt wird.
Biobasierte Bindemittel und nachhaltiger Ackerbau
Die Biodiversität war ein weiteres Thema auf der Veranstaltung. Im Fokus stand die Frage, wie Akteure aus Lebensmittelwirtschaft und Handel vermeiden können, dass wider besseren Wissens die Artenvielfalt und damit unsere Lebensgrundlage zerstört wird. Das Unternehmen DAW SE geht hier beispielhaft ungewöhnliche Wege. Der Hersteller von Farben und Lacken baut gezielt Leindotter und Erbsen auf Feldern an, um daraus biobasierte Bindemittel für Holzschutzlasuren herzustellen. Das fördert nicht nur die Nachhaltigkeit des Unternehmens, sondern auch die Biodiversität. Nach Angaben von Christian Walter nahm die Artenvielfalt bei Bestäubern auf diesen Feldern deutlich zu.
Positive Effekte der Pandemie retten
Das gesellschaftliche Leben ist durch die Coronakrise zeitweise massiv eingeschränkt. Der Verzicht auf Konsum während des Lockdowns hat aber auch positive Effekte aufgezeigt, wie Stephan Grünwald vom Rheingold-Institut in Köln schilderte. Er hat das Konsumverhalten in der Coronakrise erforscht. „Nicht jeder hat diese Einschränkung als Verlust empfunden. Es gab Momente der Trauer, aber auch die Erkenntnis, dass 'weniger auch mehr sein kann'“, so Grünwald. Dem Forscher zufolge hat der Verzicht zu einer Veränderungszuversicht geführt und die Nachhaltigkeitsproblematik ausgeprägt. Doch wie können die positiven Effekte der Pandemie in die Zeit nach Corona gerettet werden? „Die Leute müssen das Gefühl haben, Veränderungen mit wenig Aufwand meistern zu können“, hieß es. Zudem müssten Innovationen einen Mehrwert liefern.
Bioprodukte boomen
Gerade die Lebensmittelindustrie scheint ein Gewinner der Krise zu sein. „Vor allem Biolebensmittel haben einen Boom erlebt“, so die Geschäftsführerin der Drogeriekette dm, Kerstin Erbe. „Dieser Trend zu nachhaltigen Produkten wurde in der Krise noch verstärkt.“ Anbieter von Biolebensmitteln wie followfood registrierten, dass „Leute bereit sind, mehr für Produkte auszugeben, die sozial-ökologische Standards erfüllen“.
Mit der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie hat die Bundesregierung einen Leitfaden zur Umsetzung der von den Vereinten Nationen festgelegten 17 Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals (SDG) in der Agenda 2030 geschaffen. Der Deutsche Nachhaltigkeitstag zeigte: Viele große Unternehmen, aber vor allem Start-ups, haben das Thema Nachhaltigkeit bereits auf ihre Agenda gesetzt und gehen mit Innovationen voran.
Podium für nachhaltige Unternehmen und Start-ups
Im Rahmen des Deutschen Nachhaltigkeitstages wurden traditionell am Abend des zweiten Kongresstages die nachhaltigsten Unternehmen in Deutschland mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet und Start-ups für ihre grünen Ideen mit dem „Next Economy Award“ geehrt. Gleichzeitig wurde der Deutsche Nachhaltigkeitspreis Forschung verliehen, der in diesem Jahr die urbane Bioökonomie zum Thema hatte.
bb