Ihre bedeutende Rolle als Bestäuber von Nutzpflanzen macht die Honigbiene zum drittwichtigsten Nutztier weltweit. Monokulturen auf den Äckern, Pestizide und Parasiten wie die Varroa-Milbe setzen den Honigbienen zu – diese und andere Faktoren wie extreme Witterung sind Mitauslöser für das sogenannte „Bienensterben“. Gleichzeitig nimmt aber die Zahl der Honigbienenvölker bundesweit zu: Der Deutsche Imkerbund hat 2016 hierzulande rund 800.000 Honigbienenvölker gezählt, das sind zwar 35 Prozent weniger als 1951, aber auch der höchste Stand seit 2003.
Inspektionen sind Stress für Bienen
Erfreulich ist zudem: Die Zahl der Imker steigt kontinuierlich um jährlich 3% bis 5% an. Eine Routinemaßnahme des Imkers sind regelmäßige Inspektionen der Bienenbehausungen, auch Beuten genannt. Inspektionen sind notwendig, bedeuten aber immer auch Stress für das gerade begutachtete Bienenvolk.
Digitale Lösung für sanfte Bienenkontrolle
Informationstechniker für Luft- und Raumfahrt der Julius-Maximilians-Universität Würzburg wollen den Blick in den Bienenstock digitalisieren: mit intelligenter Überwachungstechnik sollen die Inspektionen von Bienenvölkern auf ein Minimum reduziert werden. In dem Forschungsprojekt „Honeycloud“ arbeitet ein Team um Projektleiter Alexander Hilgarth derzeit an einer IT-Lösung, die Imkern ein kontinuierliches Monitoring der Bienenbeuten ermöglichen soll, ohne direkt eingreifen zu müssen. Das Vorhaben wird im Rahmen des Ideenwettbewerbs „Neue Produkte für die Bioökonomie“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.
Inspektion mittels Satellitensoftware
Dass IT-Experten der Luft- und Raumfahrt sich für Bienenvölker interessieren, hat seinen Grund. Bei der Entwicklung der Software für das neuartige Bienenüberwachungsprogramm kommt ein Betriebssystem zum Einsatz, das speziell für Satelliten entwickelt wurde. Erfinder der Präzisionssoftware namens RODOS (Realtime Onboard Operating System) ist der Leiter des Lehrstuhls für Informationstechnik der Würzburger Universität, Sergio Montenegro. Zunächst hatte das Würzburger Team in einer neunmonatigen Sondierungsphase, die das BMBF mit 50.000 Euro unterstützte, das Interesse für ein solches Bienenstock-Monitoringsystem auszuloten. „Wir haben mit Imkervereinen, Verbänden und Wirtschaftsexperten gesprochen und festgestellt, dass Bedarf besteht und ein solches System tatsächlich auch ökonomisch sinnvoll ist. Auch die Bienenforscher sind sehr interessiert an Daten, die innerhalb eines Bienenstocks anfallen und gemessen werden“, sagt Projektleiter Hilgarth.
Kontrollen mindern Bienenbestand und Honigausbeute
Recherchen der Forscher ergaben, dass Bienenstockinspektionen wenig ressourceneffizient sind: Jedes Öffnen des Bienenstockes ist mit einem Ertragsverlust von bis zu einem Kilo Honig verbunden. „Im Ergebnis führt es auch dazu, dass pro Kontrolle bis zu 500 Bienen sterben“, sagt Hilgarth. Weiteren Stress verursache die Entnahme der Rähmchen. „Da kann es passieren, dass bereits gebaute Wabenstrukturen aufgebrochen werden, sodass die Bienen nach der Kontrolle die Stelle wieder kitten müssen. Das ist eine vergeudete Ressource“, so Hilgarth.
Cloudbasierte Plattform ermöglicht Inspektion aus der Ferne
Big Data soll den Imkern künftig die Arbeit erleichtern und die Bienenvölker schonen. Die technischen Voraussetzungen dafür werden seit Oktober 2017 im Rahmen der sogenannten Machbarkeitsphase entwickelt, die mit weiteren 250.000 Euro vom BMBF gefördert wird. Angestrebt wird ein System, das Hobby- und Berufsimkern gleichermaßen hilft, den Zustand ihrer Bienenvölker kostengünstig und leicht zu kontrollieren. Mithilfe einer cloudbasierten Plattform sollen die Bienenstöcke so vernetzt werden, dass der Imker aus der Ferne – von seinem Smartphone oder Bürocomputer aus – anhand der Daten ablesen kann, wie es seinen Bienen geht: Sind sie kerngesund oder geschwächt? Ist der Standort der Beute gut gewählt? Ist es Zeit, Honig zu ernten?
Drahtlose Funksensoren liefern Daten vom Bienenstock an Handy-App
In und an den Bienenhäusern sind drahtlose Funksensoren montiert. Eine in den Boden des Bienenstockes eingebaute Waage könnte beispielsweise das Gewicht erfassen. Die in den „Smart homes“ gemessenen Daten werden dann via Bluetooth an eine Basisstation in der Nähe des Bienenkastens übertragen. „Die kleine Basisstation ist vergleichbar mit einem WLAN-Router und funktioniert energieautark mit Batterie und Solarzellen. Dort werden alle Sensordaten aus der Umgebung eingesammelt und an die Cloud weitergeleitet“, erläutert Hilgarth. In der Internet-Cloud werden die Daten gespeichert und dann für den Imker so aufbereitet, dass er jederzeit, entweder per Smartphone-App oder in einem Webbrowser, darauf zugreifen und Veränderungen frühzeitig erkennen kann. „Für den Berufsimker kann das tatsächlich wirtschaftlich interessant sein, weil er mithilfe des Systems seine Anfahrten reduzieren kann. Dadurch würde auch sein CO2-Abdruck verringert.“
Schwankende Daten signalisieren Handlungsbedarf
Momentan konzentriert sich das Team um Hilgarth auf Sensoren, die das Gewicht des Bienenstockes erfassen und das Mikroklima sowohl innerhalb als auch außerhalb messen können. „Bei einem gesunden Bienenvolk muss ein ständiger Gewichtszuwachs beobachtet werden. Wenn die Gewichtskurve abnimmt, dann wüsste man, da stimmt etwas nicht und es ist nötig, dass der Imker vor Ort reinschaut.“ Auch eine messbar verminderte Temperaturregulierung durch die Bienen kann Hilgarth zufolge ein Alarmzeichen sein. „Durch das stetige Datensammeln wollen wir erreichen, dass das Öffnen des Bienenstocks auf ein Minimum beschränkt wird“, sagt Hilgarth. Auch könnten darüber Korrelationen sichtbar werden, die man möglicherweise vorher so noch nicht gesehen hat.
Honeycloud als offene IT-Plattform gedacht
Prinzipiell streben die Forscher eine offene IT-Plattform an, die durch die Einbindung neuer Sensoren jederzeit erweitert werden kann. Neben dem Zustand der Bienen werden auch sensible Daten wie der Standort der Bienenstöcke erfasst. Im kommenden Jahr muss das Honeycloud-System den Praxistest bei verschiedenen Imkern bestehen. Bis dahin gibt es noch viel zu tun. Für jede einzelne Komponente des Systems, von den Sensoren über die Basisstation bis hin zur App, muss die Software geschrieben werden. Darüber hinaus wird die Datenaufbereitung und -analyse noch weitere Zeit in Anspruch nehmen. Die Digitalisierung, so viel ist sicher, hat auch die Bienenbehausungen erreicht.
Autorin: Beatrix Boldt