Weniger Bienen, Hummeln, Schmetterlinge - Anzeichen für einen deutlichen Rückgang der Insekten sorgten in den vergangenen Jahren wiederholt für Schlagzeilen in den Medien. Schnell ist vom Insektensterben die Rede. Wir ziehen den weniger apokalyptischen Begriff "Insektenschwund" vor. Denn der Rückgang der Insekten besonders in der Agrarlandschaften ist offenkundig und auch alarmierend - ein auswegloses Aussterben der Insekten ist jedoch nicht zu befürchten. Dieser Themenfokus stellt in 5 Fakten-Blöcken zusammen, wie das Verschwinden der Insekten dokumentiert wird, welche Gründe dazu beitragen und wieso eine Debatte zur Qualität der erhobenen Biodiversitäts-Daten eingesetzt hat.
Insekten sind die erfolgreichste und vielfältigste Tiergruppe auf der Erde. Sie machen 80% aller tierischen Lebewesen aus – es gibt knapp 1 Million beschriebene Arten. Insekten sind insbesondere als Bestäuber von Blütenpflanzen für den Menschen von unermesslichem Wert. Forscher aus Frankreich und dem UFZ in Leipzig haben errechnet, dass Insekten allein als Bestäuber von Kulturpflanzen einen weltweiten ökonomischen Wert von 150 Mrd. Euro pro Jahr erwirtschaften. Allein in Deutschland beträgt der volkswirtschaftliche Nutzen durch Insektenbestäubung von Agrarpflanzen 2 Mrd. US-Dollar. Insektenbestäubung unterstützt nach diesen Schätzungen knapp 10% der globalen Nahrungsmittelproduktion. Mehr als 80% der Erträge im Pflanzen und Obstbau sind hierzulande von der Insektenbestäubung abhängig.
Allein die durch die Bestäubung von Nutzpflanzen erbrachten Ökosystemleistungen machen die Honigbiene zum drittwichtigsten Nutztier weltweit. Die wiederkehrenden Alarmmeldungen vom „Bienensterben“ muss man jedoch – zumindest was die Bienenwirtschaft angeht – differenzierter einordnen. Der Deutsche Imkerbund hat 2016 hierzulande rund 800.000 Honigbienenvölker gezählt, das sind 35 Prozent weniger als 1951, aber auch der höchste Stand seit 2003. Die Zahl der (Hobby-) Imkerinnen und Imker steigt kontinuierlich um jährlich 3 bis 5% an.
Dank ihrer enormen Vielfalt haben Insekten in der Evolution faszinierende Überlebensstrategien entwickelt. Bestimmte Insekten halten auch Organismen in Schach, die beispielsweise schädlich für die Landwirtschaft sind. Für die (gelbe) Insektenbiotechnologie bergen Insekten daher ganz besondere Schätze. So vermehren sich die Larven von Mehlkäfern oder Soldatenfliegen in Farmen auf organischen Abfällen derart schnell, dass sie zu Tierfutter oder zu eiweißreichen Lebensmitteln verarbeitet werden können.
Trotz der Bedeutung und oft jahrzehntelanger Erfassungen durch vielfach ehrenamtliche Artenkenner fehlt es für Analysen auf Grundlage gesicherter Daten auch in Deutschland weiterhin an systematischen, kontinuierlichen, repräsentativen und großflächigen Beobachtungsprogrammen (Monitoring) und einem entsprechenden Datenaustausch. Bisher existieren nur regionale oder auf bestimmte Gruppen begrenzte Programme.
In diesem Zusammenhang steigt seit Jahren die Bedeutung der „Bürgerforschung“ (Citizen Science). Hier helfen interessierte Privatpersonen, viele davon Experten, bei der Begutachtung. Oder sie fangen bundesweit Insekten und schicken diese an wissenschaftliche Sammelstellen. So gilt das Tagfalter-Monitoring Deutschland (TMD) als eines der bekanntesten nationalen Citizen-Science-Projekte. Seit 2005 erfassen hier Freiwillige an ungefähr 500 Orten in Deutschland regelmäßig und mit einer standardisierten Methode Schmetterlinge.
Einfacher geht es mit Malaise-Fallen, wie sie etwa die Mitglieder des Entomologischen Vereins Krefeld e.V. über viele Jahre lang aufgestellt haben. In diesen zeltartigen Konstrukten lassen sich recht einfach fliegende Insekten fangen, die anschließend von Hand begutachtet werden müssen. Um zu quantitativen Daten zu gelangen, wird meist einfach die gefangene Biomasse bestimmt.
Um eine systematische Infrastruktur für die Artenerfassung und Zählung in Deutschland aufzubauen, wurde das Deutsche Zentrum für Biodiversitätsmonitoring (BioM-D) initiiert. Organisiert als Verbund aus elf großen Forschungseinrichtungen will dieser hierzulande „Wetterstationen für Artenvielfalt“ aus einem Mix aus automatisierten Sensoren, Mustererkennung und genetischem Barcoding aufbauen und eine Infrastruktur für die Auswertung bieten.
In den vergangenen Jahren hat besonders ein Langzeit-Monitoring-Projekt des Entomologischen Vereins Krefeld e.V. international für Aufmerksamkeit gesorgt. Im Oktober 2017 haben die Insektenkundler ihre Ergebnisse zusammen mit Wissenschaftlern aus den Niederlanden und Großbritannien im Fachjournal "PLoS One" veröffentlicht.
Von 1989 bis 2016 hatten die ehrenamtlichen Forscher an ausgewählten Standorten und geschützten Biotopen in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg Malaise-Fallen aufgestellt, in denen Fluginsekten ins Netz gingen. Dann wurde gewogen, was sich in Behältern am Ende der Fangnetze angesammelt hatte. 1989 gingen den Wissenschaftlern im Schnitt 1,6 Kilogramm Insekten in jede Falle. Im Jahr 2013 waren es nur noch 300 Gramm pro Falle. Um durchschnittlich 76 Prozent hatte sich die Biomasse pro Falle reduziert.
Die auf den ersten Blick drastischen Rückgänge bei der Insektenbiomasse sorgten für ein großes Medienecho – im Sommer 2017 war das Insektensterben in aller Munde. Doch die Ergebnisse der Studie sollten bezüglich ihrer Aussagekraft vorsichtig bewertet werden und taugen nicht für simple Schlüsse. Zum einen liegt das an der Datenbasis: So haben die Entomologen ihre Fallen nicht in jedem Jahr in allen Habitaten aufgestellt. Nur selten wurde an den gleichen Stellen in mehreren Jahren hintereinander beprobt. Der Rückgang der Insektenbiomasse sagt auch nichts über die Zahl der verschwundenen Arten aus. Statistik-Experten bemängelten auch noch weitere methodische Aspekte. Unter dem Strich stellen die Langzeit-Studienergebnisse der Krefelder Forscher aber die bisher besten verfügbaren Daten zum Insektenschwund dar. Sie offenbarten auch die Notwendigkeit eines kontinuierlichen Monitorings. Die unterschiedlichen Reaktionen auf die Insektenstudie haben für den Wissenschaftsjournalisten Christian Schwägerl Ähnlichkeit zur Klimawandel-Debatte.
Mit diesen Malaise-Fallen haben die Insektenkundler aus Krefeld über 27 Jahre lang Fluginsekten gefangen und deren Biomasse bestimmt.
Andere wissenschaftliche Langzeitstudien dokumentieren den Artenschwund: Bei Schmetterlingen im Raum Regensburg und im Moseltal gab es laut Wissenschaftlern der TU München und des zum Senckenberg-Museum gehörenden Deutschen Entomologischen Instituts enorme Rückgange in der Artenvielfalt.
Bei Honigbienen kommt es witterungsbedingt zu mehr oder minder heftigem Völkersterben – das aber meist regional und auf einzelne Jahre beschränkt ist (15-20% gelten als normal). Der Winter 2016/17 brachte tatsächlich gravierende Einbußen, im vorvergangenen Winter gab es hingegen wenig Verluste. Anders sieht es bei den Wildbienen aus: von den 582 Arten Wildbienen, die die Deutsche Wildtier Stiftung hierzulande zählt, sind mindestens 200 gefährdet. 77 deutsche Forscher forderten in ihrer Resolution zum Schutz der Insekten von der Bundespolitik bereits Sofortmaßnahmen, um das Artensterben bei Bienen und anderen Insekten zu stoppen.
Eine erste Einschätzung zur globalen Situation präsentierte der Weltbiodiversitätsrat IPBES (Intergovernmental Science Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services), ein Gremium der Vereinten Nationen, Anfang 2016. Die Autoren warnten, dass die weltweit beobachtete Abnahme an bestäubenden Insekten und Tieren die globale Getreideproduktion gefährde. So zeigten Studien, dass weniger Bestäuber bei Nutzpflanzen zu niedrigeren Erträgen führen. Er merkte allerdings auch an, dass der Zusammenhang von Insektizidgebrauch und Bienengesundheit in bisher vorliegenden Studien nicht immer gegeben sei. Kritiker bemängeln beispielsweise zu hohe Dosen an Pflanzenschutzmitteln, die untersucht wurden. Dennoch gibt es nach Aussage der Forscher mittlerweile zahlreiche Studien, die Langzeitwirkungen bestimmter Pestizide aufzeigen.
Für den Insektenschwund machen Experten einen Mix aus Ursachen verantwortlich. Gerade die intensive Landwirtschaft und die massive Düngung der Felder gelten als Auslöser für den zunehmenden Verlust an genetischer Vielfalt, Artenvielfalt und Ökosystem-Vielfalt. Das verdeutlicht auch der im Juni 2017 vom Bundesamt für Naturschutz erstmals vorgelegte „Agrarreport zur biologischen Vielfalt“. Er dokumentiert gerade bei Vögeln und Insekten in der Agrarlandschaft einen deutlichen Artenschwund. Auch der Anbau von Energiepflanzen hat demnach die Landnutzung intensiviert.
Die Bienen leiden wie die anderen Insekten besonders an den ausgeräumten, fragmentierten und durch Monokulturen charakterisierten Landschaften und den verarmten Ökosystemen, die eine intensive Landwirtschaft mit sich bringt. Es fehlt an kleinräumigen Strukturen wie Hecken und Tümpeln, in denen sich Insektenbestände vermehren könnten. Das hat dazu geführt, dass die Honigbienen in Städten mittlerweile ein reicheres und vielfältigeres Nahrungsangebot als auf dem Land finden. Vor Jahrzehnten eingeschleppte Parasiten wie dieVarroa-Milbe sind zum unliebsamen Dauergast im Bienenstock geworden und schwächen die Völker massiv. Würden die Imker nicht durch entsprechende Hygienemaßnahmen gegensteuern, stünde die Honigbiene vor dem Aus. Auch Viren und Bakterien bedrohen die Bienengesundheit.
Der Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln, wie die Neonicotinoide, bildet einen weiteren erheblichen Stressfaktor. Die Chemikalien wirken offenbar nicht tödlich auf die Bienen, lösen jedoch sogenannte subletale Effekte – etwa ein eingeschränktes Orientierungsvermögen – aus. Bei Hummeln beeinflussen die Neonics sogar die Summgeräusche und stören die Kommunikation der sozialen Insekten. Ein kompletter Verzicht von Pflanzenschutzmitteln in der Agrarindustrie scheint utopisch. Doch künftig kommt es darauf an, die Wirkungen der Substanzen genau zu kennen und die Mittel klug und schonend einzusetzen.
Zudem sehen Experten den Klimawandel und auch Windenergierotoren als mögliche Ursachen für den Insektenschwund an. Im Fall der Krefelder Insektenstudie blieb die Ursache für die festgestellte Abnahme der Insektenbiomasse unklar.
Agrarforscher versuchen, durch schonende Anbaumethoden und robustere Pflanzen für mehr Vielfalt auf dem Acker zu sorgen. Und damit wieder Lebensräume für Insekten zu schaffen. Die Forschung am 2016 eingerichteten Institut für Bienenschutz in Braunschweig, einer dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft zugeordneten Einrichtung, ist darauf ausgerichtet, für die Biene verträglichere Pestizide zu identifizieren. Bienenforscher untersuchen zudem die genetische Vielfalt von Honigbienen, um resistentere oder robustere Varianten zu züchten.
Auch das Bienen-Mikrobiom ist ins Visier geraten. Andernorts wird nach schonenderen Alternativen für die Ameisensäurebehandlung gesucht – die derzeit die Standardmaßnahme der Imker gegen die Varroamilbe ist. Forscher untersuchen zum Beispiel, ob spezifische RNA-Moleküle als biologische Wirkstoffe eingesetzt werden können. Andere Strategien zielen darauf ab, die Arten- und Ökosystemvielfalt für die Bienen zu erhöhen. So gilt die biologische Schädlingsbekämpfung der Varroa-Milbe mit Bücherskorpionen als vielversprechende Strategie. Gleichzeitig wird versucht, die Blütenvielfalt und das Angebot von Nisthilfen sowohl auf dem Land als auch in der Stadt zu erhöhen. Ein Projekt des Bundesumweltministeriums will das Wildbienensterben stoppen. Die Deutsche Wildtierstiftung hat im Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf 2017 ein fünfjähriges Modellprojekt gestartet – 2,5 Hektar werden dort „bestäuberfreundlich“ gestaltet. Es werden auch Änderungen in der Landbewirtschaftung, Zuschüsse für Bauern, die Natur und Biodiversität erhalten oder wieder vergrößern und entsprechende Forschungsprogramme angeregt.
Redaktion: Philipp Graf, Sebastian Delbrück