Pilz verwandelt Cellulose in Plattformchemikalie

Pilz verwandelt Cellulose in Plattformchemikalie

Forschenden am Leibniz-HKI in Jena ist es mithilfe eines Pilzes gelungen, eine nahe Verwandte der Zitronensäure – die erythro-Isozitronensäure – aus Cellulose in nur einem Schritt herzustellen und so für industrielle Anwendungen interessant zu machen.

Drei Kolonien von Talaromyces verruculosus in einer Petrischale
Drei Kolonien von Talaromyces verruculosus in einer Petrischale

Sie kommt in Entkalkungsmitteln, Konservierungsstoffen, Pflegeprodukten oder Geschmacksverstärkern zum Einsatz: Zitronensäure ist ein wichtiger und günstiger Zusatzstoff, der industriell mithilfe des Schimmelpilzes Aspergillus niger biotechnologisch hergestellt wird. Mit etwa 2,8 Millionen Tonnen Jahresproduktion weltweit ist Zitronensäure sogar eines der bedeutendsten biotechnologischen Produkte überhaupt. So effizient und unkompliziert der Herstellungsprozess ist, er basiert auf Zucker als Rohstoff und steht damit in direkter Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion. Doch es gibt eine nahe Verwandte der Zitronensäure, die vergleichbare Eigenschaften hat und die als Ersatz dienen könnte: die Isozitronensäure. Das Schwesternmolekül der Zitronensäure wird bisher nur als Forschungschemikalie genutzt, weil die Herstellung aufwendig und kostspielig ist. Doch das könnte sich bald ändern.

Pilz nutzt Cellulose aus Pflanzenabfällen zur Chemikalienproduktion

Forschende am Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut (Leibniz-HKI) haben eine neue Methode zur effizienten Umwandlung von Cellulose in eine Form der Isozitronensäure entdeckt. Den Forschenden diente hier der Schimmelpilz Talaromyces verruculosus als Produktionsfabrik. Wie das Team in der Fachzeitschrift „ACS Sustainable Chemistry & Engineering“ berichtet, ist der Pilz in der Lage, die bisher wenig beachtete Plattformchemikalie erythro-Isozitronensäure direkt aus der Cellulose von Pflanzenabfällen in nur einem Produktionsschritt herzustellen. Bisher ist ein komplexes dreistufiges Verfahren notwendig, um Cellulose enzymatisch in Zucker aufzuspalten, damit das Biopolymer von den Mikroorganismen verwertet werden kann.

Einfacher und günstiger Prozess

„Mit dem Pilz haben wir einen einfacheren und günstigeren Prozess entwickelt“, sagt Miriam Rosenbaum, Leiterin des Biotechnikums am Leibniz-HKI und Professorin für synthetische Biotechnologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. „T. verruculosus besitzt die einzigartige Fähigkeit, Lignocellulose mit einer bemerkenswerten Effizienz direkt in erythro-Isozitronensäure umzuwandeln. Die Umwandlungsraten des Pilzes sind dabei vergleichbar mit denen von Glukose, die im Labor als Ausgangsmaterial für den Fermentationsprozess genutzt wird.“ Der Pilz produziert dabei alle Enzyme selbst, die für den Bioprozess erforderlich sind.

Im Rahmen der Studie loteten die Forschenden nicht nur die idealen Bedingungen für den Celluloseabbau und die Produktion von Isozitronensäure aus. Auch neue Methoden wurden ermittelt, um die Aktivität des Enzyms Cellulase, das für den Abbau von Cellulose entscheidend ist, während des Fermentationsprozesses genau messen zu können. Damit hatten die Jenaer Forschenden einen Werkzeugkasten zur Hand, um den Herstellungsprozess optimal steuern zu können.

Vielseitige Anwendungsmöglichkeiten

„Mit dem Pilz T. verruculosus ist der Grundstein für eine günstige grüne Technik gelegt, vielfältige industrielle Verwendungsmöglichkeiten von Isozitronensäure gibt es obendrein“, sagt Ivan Schlembach, Erstautor der Studie. Der Forscher hatte bei Screeningtests die Fähigkeit des Pilzes zur Herstellung von erythro-Isozitronensäure aus Lignocellulose entdeckt.

Das Besondere an dem neuen Verfahren ist, dass hier ausschließlich erythro-Isozitronensäure und kein Gemisch erzeugt wird, was das Molekül vor allem für Spezialanwendungen etwa in der Pharmaindustrie interessant macht und als chiraler Baustein für chemische Synthesen dienen kann. Noch sind die spezifischen biologischen Eigenschaften von erythro-Isozitronensäure weitestgehend unbekannt. Doch das Jenaer Team ist überzeugt, dass die neue aus dem Pilz gewonnene Chemikalie vergleichbare nützliche Eigenschaften bietet, wie das Schwestermolekül threo-Isozitronensäure, das der Medizin, Pharma-, Kosmetik- oder Lebensmittelindustrie schon heute als wertvolle Ergänzung zur Zitronensäure dient. „Das Einzige, was im Moment noch fehlt, ist die Offenheit des Marktes für das neue Verfahren“, sagt Schlembach.

bb