Kabelbakterium ist Mikrobe des Jahres 2024
Die Mikrobe Electronema gehört zu den stromleitenden Bakterien. Sie fördern den Schadstoffabbau und reduzieren die Bildung von Treibhausgasen in Meeren und Seen.
Mikroorganismen wie Bakterien und Pilze sind überall zu finden. Die mikroskopisch kleinen Lebewesen siedeln nicht nur auf der menschlichen Haut oder auf Pflanzen und Tieren. Auch im Boden und im Wasser sind sie zu finden. Als Meister der Stoffumwandlung sind sie nicht nur unverzichtbare Helfer bei der Herstellung von Lebensmitteln wie Käse, Bier oder Wein. Mit ihrem speziellen Stoffwechsel können sie auch aus organischen Verbindungen neue Stoffe herstellen und sind damit wichtige Werkzeuge des bioökonomischen Wandels.
Eine Mikrobe als lebender Stromleiter
Mit der Wahl der Mikrobe des Jahres erinnert die Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie (VAAM) jedes Jahr an die Vielfalt und Bedeutung der Mikroorganismen für Ökologie, Gesundheit, Ernährung und Wirtschaft. Im vergangenen Jahr wurde mit Bacillus subtilis ein Multitalent geehrt, das für die Gesundheit von Mensch und Tier ebenso wichtig ist wie für die Industrie. Mit dem Titel „Mikrobe des Jahres 2024“ steht diesmal das Kabelbakterium Electronema im Rampenlicht. Der Mikroorganismus lebt in Meeren und Seen und gehört zu den stromleitenden Bakterien. Diese fördern den Schadstoffabbau in Gewässern und reduzieren die Bildung von Treibhausgasen.
Bisher wurden zwölf Arten von Kabelbakterien beschrieben. Keine der bisher bekannten Arten konnte jedoch im Labor vermehrt werden. Mit Electronema kürt die VAAM daher erstmals eine Bakterienart zur Mikrobe des Jahres, für deren vollständige Beschreibung noch die Reinkultur fehlt. Der wichtigste Vertreter der Art erhielt daher den vorläufigen Namen Candidatus Electronema.
Einsatz als biologisch abbaubares Stromkabel möglich
Diese Mikrobenart bildet am Grund von Meeren und Seen mikrobielle Ketten, die Strom über mehrere Zentimeter leiten können. Die Ketten bestehen aus Zehntausenden von Bakterienzellen, die wiederum durch stromleitende Proteinfasern in ihrer Zellhülle miteinander verbunden sind. Diese „Kette“ zeichnet sich durch eine einzigartige Arbeitsteilung aus. „Während in unserem Körper jede einzelne Zelle essen und atmen muss, teilen Kabelbakterien diese lebenserhaltende Redoxreaktion auf“, schreibt die VAAM. Obwohl Kabelbakterien in der Tiefe des Sediments leben, wo es reichlich Sulfid, aber keinen Sauerstoff gibt, können sie Sulfid zu Sulfat oxidieren, indem sie die dabei entstehenden Elektronen über die elektrisch leitenden Fasern auf den Sauerstoff am anderen Ende des Kabels übertragen. Candidatus Electronema ist also eine Art lebender Stromleiter, der „eines Tages als biologisch abbaubares Stromkabel eingesetzt werden könnte", heißt es in einer Pressemitteilung der VAAM.
Baut Schadstoffe und Treibhausgase ab
Darüber hinaus sei Electronema in der Lage, „mikrobielle Aktivitäten zu simulieren, die sonst nur mit Sauerstoff möglich sind, und Populationen, die dort sonst nicht leben könnten“. Kabelbakterien kommen auch häufig in Gewässern vor, die mit Kohlenwasserstoffen verunreinigt sind, zum Beispiel nach einer Öl- oder Benzinverschmutzung. Aufgrund ihres speziellen Stoffwechsels können die Bakterien den Schadstoffabbau erheblich beschleunigen. Es gibt bereits erste Überlegungen, Electronema zur Sanierung von kontaminierten Flächen wie überdüngten Seen einzusetzen. Die Wirkung könnte wiederum durch Elektroden im Sediment gezielt stimuliert werden, so dass die Kabelbakterien beim Abbau von Treibhausgasen helfen könnten. Erste Versuche im Gewächshaus mit Reispflanzen ergaben, dass die Zugabe von Candidatus Electronema zum Boden die Methanemissionen um mehr als 90 % reduziert.
bb