Biotechnologietage 2024: Vielfalt für eine klimaneutrale Industrie
CO₂ als Ressource, Neue Züchtungstechniken, Plastik-Recycling: Auf dem Weg zu einem nachhaltigen Wirtschaften standen auf den Deutschen Biotechnologietagen in Berlin zahlreiche Bioökonomie-Ansätze auf der Agenda.
Zum dritten Mal seit ihrem Debut im Jahr 2010 fanden die Deutschen Biotechnologietage in Berlin statt. Zu dem jährlichen Branchentreffen der Biotechnologie-Akteure waren diesmal mehr als 900 Teilnehmende ins Kongresszentrum bcc in Berlin-Mitte gekommen. Organisiert wurde die Konferenz vom 16. bis 17. April vom Branchenverband BIO Deutschland sowie dem Arbeitskreis der Bioregionen. Das Bundesland Rheinland-Pfalz und die Landeshauptstadt Mainz waren in diesem Jahr Partnerregion.
„Die Biotechnologie in Deutschland ist bunt, vielschichtig und divers“, sagte der BIO Deutschland-Vorstandsvorsitzende Oliver Schacht, und begrüßte in Berlin Gäste aus 21 Nationen. 19 Symposien beleuchteten Top-Themen aus der Medizin (etwa Gen- und Zelltherapien, personalisierte Krebsmedizin) sowie wichtige Entwicklungen in der industriellen Biotechnologie und im Agrarsektor. Selbstverständlich standen auch die Branchen-Dauerbrenner-Themen wie Innovationspolitik und Finanzierung auf der Agenda.
Förderinitiative GO-Bio vor Comeback
In Vertretung von Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger begrüßte Veronika von Messling, die im BMBF die Abteilung Lebenswissenschaften leitet, die Teilnehmenden. „Das Potenzial der Biotechnologie ist außerordentlich, sie prägt Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft“, sagte von Messling. Das gelte nicht nur in der Entwicklung von neuen Therapien, sondern auch für die Landwirtschaft. „Klar ist aber auch: Innovationen benötigen Zeit und Kapital“, sagte sie. In dieser Hinsicht leiste das BMBF mit der Forschungs- und Innovationsförderung in der Gesundheitsforschung als auch für die Bioökonomie seinen Beitrag. Eine gute Nachricht hatte von Messling in Sachen Gründungsförderung in der Biotechnologie: „Diesen Herbst werden wir eine Neuauflage von GO-Bio auf den Weg bringen.“ Zuletzt waren Forscherteams im Jahr 2018 mit der begehrten Start-up-Förderung ausgezeichnet worden.
Biotech-Initiative der EU-Kommission
Kristin Schreiber von der EU-Kommission, die als Direktorin in der Generaldirektion GROW für Chemikalien, Lebensmittel und Einzelhandel zuständig ist, ging insbesondere auf die „Biotechnology and Biomanufacturing Initiative“ ein, mit der die EU-Kommission im März dieses Jahres für Aufsehen gesorgt hatte. Kurz vor den Europawahlen handele es sich bei dem Papier um eine wichtige Weichenstellung, damit die nächste EU-Kommission gleich loslegen könne, sagte Schreiber.
Mit der Initiative soll der Technologietransfer aus dem Labor zum Markt in Europa stärker vorangetrieben werden, etwa durch eine vereinfachte Biotechnologie-Gesetzgebung. Zugleich solle die Nachfrage nach biobasierten Produkten stimuliert werden, zum Beispiel mit der öffentlichen Beschaffung als einem Hebel. „Mit dem EU Biotech Hub soll eine Plattform entstehen, die Unternehmen durch den regulatorischen Dschungel geleitet und auch Unterstützung für das Scale-up bietet“. Auf dem Weg in einen klimaneutralen Kontinent müsse die Bioökonomiestrategie der EU weiterentwickelt werden.
Klimaneutrale Industrie: CO₂ als Ressource
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) war mit eigenem Stand in der Ausstellung präsent und gestaltete in Berlin eine eigene Session, in der „CO₂ als Ressource“ im Mittelpunkt stand. Das BMBF hat zu diesem Themenfeld die Fördermaßnahme „Klimaneutrale Produkte durch Biotechnologie – CO2BioTech“ aufgelegt. „Kürzlich sind im Rahmen von CO2BioTech zehn Verbundprojekte zu biotechnologischen Verfahren in der chemischen Industrie gestartet“, sagte Enrico Barsch, Referent im Bioökonomie-Referat des BMBF. Vier Projekte wurden in Berlin näher vorgestellt:
Bioingenieur Tobias Erb, Direktor am Max-Planck-Institut für Terrestrische Mikrobiologie in Marburg, erläuterte, wie sein Team mithilfe Synthetischer Biologie neue Wege erschließt, um der Atmosphäre CO₂ zu entziehen und es in interessante Produkte umzuwandeln. Vorbild ist die Photosynthese der Pflanzen. „Doch die natürliche Photosynthese ist nicht effizient genug und wird nicht ausreichen, um den menschengemachten Klimawandel aufzuhalten“, so Erb. Er skizzierte, wie sein Team mithilfe Synthetischer Biologie eine leistungsfähigere Alternative erschaffen will, die CO₂ effizienter umwandelt als ihr natürliches Vorbild. „Durch die gezielte Erzeugung biologischer Systeme mit neuen Eigenschaften erkunden wir den Lösungsraum, den die Natur bisher nicht entdeckt hat“, sagte Erb.
Künstliche Stoffwechselwege für die CO₂-Fixierung
Mit dem CETCH-Zyklus hat sein Team einen künstlichen Stoffwechselweg für die CO₂-Fixierung entworfen und konstruiert, der aus 15 Enzymen besteht. Der erste Prototyp dieses Systems funktioniere, sei aber noch ineffizient, so der Leibniz-Preisträger von 2024. Um die künstliche CO₂-Fixierung im CETCH-Zyklus weiter zu optimieren, habe man die Synthese der biologischen Systeme im Labor hochgradig automatisiert, miniaturisiert und digitalisiert. Die Effizienz ließ sich so bereits deutlich steigern.
„Mit dem CETCH-Zyklus haben wir ein Betriebssystem gebaut – nun erproben wir verschiedene Wege der Anwendung“, so Erb. Das reiche vom Einsetzen des Stoffwechselwegs in natürliche Algenzellen bis hin zur Konstruktion von künstlichen Zellen in Form von Mikrofluidik-Tröpfchen. „Wir haben auf diese Weise künstliche Chloroplasten gebaut, die durch Licht angetrieben werden“. Im CO2BioTech-Verbund eCO2DIS werden nun Ansätze der Synthetischen Biologie, Bioelektrokatalyse und Polymerchemie zusammengeführt: Mittels eines synthetischen Acetyl-CoA-Reaktionswegs will der Verbund wertvolle chemische Verbindungen direkt aus CO₂ synthetisieren.
Aminosäuren aus Methanol
Mit mehrschrittigen Enzym-Kaskaden für die CO₂-Verwertung arbeitet auch das Team um Volker Sieber vom Campus Straubing der Technischen Universität München: Die Forschenden verfolgen die Strategie, zunächst CO₂ und Wasserstoff in Methanol umzuwandeln und dieses als Rohstoff für Fermentationen oder enzymatische Umsetzungen zu nutzen. Ein Beispiel dafür ist ein synthetischer Stoffwechselweg, eine zellfreie Enzymkaskade, in der aus Methanol die Aminosäure L-Alanin entsteht. Im CO2BioTech-Projekt Pythagoras entwickelt Siebers Team die enzymatische Aminosäureproduktion aus durch Windenergie gewonnenem grünem Methanol weiter und möchte sie auf ein industriell relevantes Niveau heben.
Ulf-Peter Apfel von der Ruhr-Universität Bochum will für das CO₂-Recycling Biologie und Chemie kombinieren und nutzt dafür sogenannte Power-to-Methane-Systeme. Kürzlich hat sein Team ein bioelektrochemisches System entwickelt, das die Speicherung von erneuerbarer elektrischer Energie als Methan ermöglicht. Im Verbundprojekt BEFuel steht die Entwicklung eines kombinierten bioelektrochemischen Verfahrens zur stofflichen Nutzung von CO2-haltigen Abgasen für die Produktion hochwertiger Säuren und Alkohole im Fokus.
„Der Bedarf an biobasierten chemischen Produkten mit gutem Ökoprofil steigt zunehmend an“, sagte Barbara Navé, die beim Chemiekonzern BASF für industrielle Biotechnologie zuständig ist. Bei der Nutzung von CO₂ durch Bakterien kooperiere man mit Lanzatec, um mittels Gasfermentation Produkte wie n-Octanol herzustellen, die unter anderem in der Kosmetik eingesetzt werden. In dem CO2BioTech-Verbund FUMBIO steht der Aufbau einer nachhaltigen Wertschöpfungskette zur biobasierten Produktion der Plattformchemikalie Fumarsäure im Fokus.
Netzwerk für die industrielle Bioökonomie
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hatte ebenfalls ein Symposium organisiert, bei dem das Förderprogramm Industrielle Bioökonomie vorgestellt wurde. Matthias Scholz von der TU München präsentierte das neue Transfernetzwerk zur Beschleunigung der industriellen Bioökonomie (TransBiB). Bundesweit mehr als 20 Akteure aus den Beispielregionen der industriellen Bioökonomie sind darin vernetzt. „TransBiB bündelt Kompetenzen und Spezialisten und beschleunigt dadurch die industrielle Transformation in Deutschland“, formulierte Scholz das Ziel der neuen Allianz. Das Projekt wird zunächst über drei Jahre vom BMWK mit 5,6 Mio. Euro gefördert. Zu den Vorhaben zähle unter anderem der Aufbau eines Bioökonomie-Wissensspeichers, der Zugang zu Know-how, um biobasierte Wertschöpfungsketten zu bewerten, sowie die Schulung der Fachkräfte der Zukunft.
Am zweiten Biotechnologietag war Michael Kellner, Parlamentarischer Staatssekretär im BMWK, ins bcc gekommen und betonte das Potenzial von Biotechnologie und Bioökonomie für die Transformation der Wirtschaft: „Ohne die Biotechnologie werden wir die Dekarbonisierung nicht erreichen“, sagte Kellner. Deutschland sei sehr gut in der Forschung aufgestellt, aber in Sachen Hochskalieren passiere noch zu wenig. Die Bundesregierung habe mit dem Wachstumschancengesetz, dem Deep Tech & Climate Fonds und der Bereitstellung von Wagniskapital aus dem Zukunftsfonds über die KfW wichtige Weichen gestellt, von der auch Biotech-Unternehmen profitieren könnten. Bei einer anschließenden Diskussionsrunde zur Innovationspolitik betonte Kellner zudem, die Politik müsse bei Industrieentscheidungen und Genehmigungen schneller werden.
Von Neuen Züchtungstechniken und Pflanzenschutz
Auch die Grüne Biotechnologie hatte ihren Platz. In einer von Ludger Wess moderierten Session und Podiumsdiskussion erläuterten Fachleute aus Wissenschaft, Wirtschaft und Medien ihre Perspektive auf die aktuelle Debatte zum Umgang mit genom-editierten Pflanzen. Im Fokus stand die Novellierung des Gentechnikrechts und der Regulierungsvorschlag der EU-Kommission zur Nutzung neuer Pflanzenzüchtungstechnologien.
Nachdem das EU-Parlament im Februar für den Vorschlag der EU-Kommission votiert hatte, wird in dieser Woche in Brüssel erneut über den Entwurf diskutiert. Mittlerweile gibt es zahlreiche Änderungswünsche zu dem Entwurf, etwa eine Kennzeichnungspflicht. Auch zur Frage der Patentierbarkeit und der Akzeptanz der neuen Züchtungstechniken in der Bevölkerung tauschte sich die Runde aus.
Eine weitere Session beleuchtete die Vielfalt der biotechnologischen Ansätze im innovativen Pflanzenschutz – darunter RNA-Moleküle oder bakterienbeladene Fadenwürmer, mit denen sich schädliche Insekten gezielt bekämpfen lassen. Um enzymatische Strategien für das Kunststoff-Recycling und biobasierte Alternativen für Mikroplastik drehte sich eine weitere Session.
Die nächste Ausgabe der Deutschen Biotechnologietage findet in Baden-Württemberg statt: Mit dem BioRN Network als Gastgeber trifft sich die Branche vom 9. bis 10. April 2025 dann im nagelneuen Kongresszentrum in Heidelberg.
Philipp Graf