Biotechnologietage 2023: Hier steckte Bioökonomie drin
Mehr als 700 Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik hatten die Deutschen Biotechnologietage 2023 in Wiesbaden angelockt, zu den Topthemen gehörten Digitalisierung und nachhaltiges biobasiertes Wirtschaften.
Rund 750 Teilnehmende kamen am 28. und 29. März auf den Deutschen Biotechnologietagen (DBT) in Wiesbaden zu ihrem jährlichen Austausch zusammen, so viele wie vor der Pandemie. Bei dem jährlichen Branchentreff stand neben der Diskussion aktueller Themen auch der Austausch untereinander und mit der Politik im Vordergrund. Ausgerichtet werden die Biotechnologietage vom Branchenverband BIO Deutschland gemeinsam mit dem Arbeitskreis der BioRegionen. Regionaler Gastgeber war diesmal Hessen Trade and Invest und Technologieland Hessen.
Das Programm der Biotechnologietage beleuchtete die zahlreichen Anwendungsbereiche, in denen Biotechnologie als Schlüsseltechnologie zur Anwendung kommt. Der Schwerpunkt lag dieses Jahr bei der biobasierten, nachhaltigen Wirtschaft, der Bioökonomie, und der Kreislaufwirtschaft. Aber auch die medizinische Biotechnologie, Digitalisierung und Fachkräftemangel waren Thema.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck betonte in seinem Videogrußwort, dass ihm die Biotechnologie am Herzen liege. Biotechnologie bringe Wirtschaft, Klimaschutz und Innovation zusammen und sei eine Game-Changer-Technologie, sagte der Bundesminister.
Geförderte Bioökonomie-Forschung vielfach präsent
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) war mit eigenem Stand präsent, zudem wurden in mehreren Sessions durch das BMBF geförderte Projekte vorgestellt.
Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind die Megatrends unserer Zeit. Doch wie digitalisiert ist die industrielle Biotechnologie bereits – welche Chancen eröffnen sich, wo liegen die Herausforderungen? Darüber diskutierte Enrico Barsch, Referent im Bioökonomie-Referat des BMBF, mit drei Biotech-Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft. Martin Langer, Managing Director BioScience Operations bei BRAIN Biotech, verdeutlichte, wie zentral die Digitalisierung schon heute für das Biotech-Geschäft ist und vor allem in Zukunft sein wird. Entscheidend sei heute nicht mehr die Datenproduktion sondern vielmehr die Datenanalyse. Im Zuge von sogenannten Metagenom-Analysen hat BRAIN große Datenbanken mit Sequenzinformationen aufgebaut. „Diese mikrobielle Diversität durchmustern wir nach neuartigen Biokatalysatoren.“ Auch in der Entwicklung maßgeschneiderter Proteine via rationalem Design habe es riesige Fortschritte gegeben: „Hier können Proteine mittlerweile innerhalb von Wochen optimiert werden“, sagte Langer. Noch in den Kinderschuhen sieht Langer indes das Konzept der digitalen Zwillinge, die in anderen Industriezweigen längst integraler Bestandteil des Produktionsprozesses seien.
Der Bioinformatiker Jürgen Pleiss von der Universität Stuttgart sieht die Biochemie in einer Zeit des Umbruchs. „Der Trend geht hin zu quantitativen Vorhersagen zur Entwicklung und Optimierung von Proteinen und Prozessen und einem prädiktiven Design, das sich auf Modelle stützt.“ Zentral auf dem Weg hin zu einer digitalisierten Enzym-Forschung ist für Pleiss das Management der experimentellen Daten. Diese gelte es nach den FAIR-Datenprinzipien (Findable, Accessible, Interoperable und Reusable) zu gestalten. Dazu müsse man gewonnene Daten strukturieren, damit man sie in Modellierungsplattformen überführen könne. Pleiss' Team hat in diesem Sinne das Datenaustausch-Format EnzymeML entwickelt. Wichtige Initiativen seien zudem die Aktivitäten im Rahmen der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI). Außerdem sei es wichtig, Fachkräfte auszubilden, die fit für die Digitalisierung sind.
Bioverfahrenstechnik-Professor Dirk Weuster-Botz von der TU München erläuterte, wie Miniaturisierung, Parallelisierung und Automatisierung derzeit die Bioprozess-Entwicklung verändern und beschleunigen. In dem BMBF-Projekt DigInBio wurden bundesweit drei Demonstrationslabore aufgebaut und wichtige Fortschritte auf dem Weg zum digitalisierten Biotech-Labor erzielt. Geräte im Labor müssten stärker miteinander kommunizieren, betonte Weuster-Botz. „Wir brauchen einen industriellen Kommunikationsstandard im Labor. Und wir brauchen ein Labormanagement- und Automatisierungssystem.“ Hier habe man innerhalb von DigInBio Lösungen entwickelt, die bereits erfolgreich in den Technologietransfer sowie in die Gründung eines Start-ups gemündet seien. Die Vision des Münchner Biotechnologen ist das voll autonome Bioprozesslabor. „Wir müssen dazu mehr Intelligenz in unsere Experimente hineinbringen. „Bisher sind wir allenfalls bei Assistenzsystemen.“
Video ZOOM+: Das Labor der Zukunft – Digitalisierung in der Biotechnologie
Hefe als Produzent von Öl und Proteinen
In einem vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) präsentierten Session zur industriellen Bioökonomie stellten sich zwei Projekte aus dem Förderprogramm „Industrielle Bioökonomie“ vor. Im Rahmen des Programms werden bisher 19 Projekte gefördert mit dem Ziel, Deutschland als Leitmarkt und Leitanbieter biobasierter Produkte zu positionieren. Hier geht es um das Scale-up von Prozessen und den Aufbau von Demonstrationsanlagen.
Biotechnologie-Professor Thomas Brück von der TU München und Mahmoud Masri haben das Start-up Global Sustainable Transformation (GST) gegründet. In dem Projekt NextOil fördert das BMWK den Aufbau einer Mehrzweck-Demonstrationsanlage für die Produktion von Hefeöl – das in seinen Eigenschaften dem pflanzlichen Palmöl sehr nahekommt. Das Team von GST hat eine auf Krabbenschalen lebende Hefeart als ergiebige Ölquelle identifiziert. „Unser Prozess liefert Hefeöl in zwei bis vier Tagen in hoher Ausbeute und es ist kein Downstream-Schritt für die Aufarbeitung notwendig“, sagte Brück. Zudem laufe der Bioprozess lösungsmittelfrei ab und die Hefen seien auch nicht gentechnisch verändert. Mit Blick auf die biobasierte Kreislaufwirtschaft ist auch die Rohstoffbasis bemerkenswert: Das Start-up nutzt altes Brot und Brotreste, um die Ölhefen zu füttern.
Tomas Kurz von ProteinDistillery setzt Hefe nicht als Ölproduzent, sondern als Protein-Lieferant ein. „Wir nutzen dafür Hefe aus der Brauerei, also Bierhefe, die ihren eigentlichen Job schon getan hat“, sagte Kurz in Wiesbaden. Die in der EU als vegan eingestuften Hefeproteine ließen sich in Fleischalternativen, in Milchersatzprodukten und Käseprodukten oder als Eiersatz einsetzen.
In der Session wurden auch große Projekte aus der Bioökonomieforschungsförderung des BMBF vorgestellt: Jochen Michels erläuterte, wie der Innovationsraum „BioBall – Bioökonomie im Ballungsraum“ in derzeit neun Verbundprojekten die Potenziale der Bioökonomie in und für die Metropolregion FrankfurtRheinMain heben will.
Der Aachener Biotechnologe Ulrich Schwaneberg stellte das Innovationsnetzwerk Bio4MatPro (Kompetenzzentrum zur Biologischen Transformation der Materialwissenschaft und Produktionstechnik) vor. Ziel des in der Modellregion Bioökonomie im Rheinischen Revier angesiedelten Netzwerks ist es, hochwertige Produkte zu erschaffen, indem biologische Funktionalitäten und bioinspirierte Prinzipien in und auf Materialien gebracht werden. In Bio4MatPro gibt es 23 Verbundprojekte, von smarten Textilien bis zum schaltbaren Kleben.
Podiumsdiskussion zur Bioökonomie
In einem Impulsvortrag am zweiten Biotechnologietag mahnte Stefanie Heiden, an der Leibniz Universität Hannover Professorin für Innovationsforschung und Bioökonomierätin der Bundesregierung, die Finanzierung von innovativen Bioökonomie-Unternehmen müsse nachhaltig sichergestellt werden – durch eine weniger ordnungspolitisch geprägte Industriepolitik, die Prozesse beschleunige sowie durch ein stärkeres Engagement privater Investoren. „Wir brauchen ein funktionierendes Kapitalmarktökosystem und organisch wachsende Unternehmen. Zudem sollte versucht werden, dass der wirtschaftliche Impact hier realisiert wird und nicht global diffundiert“, sagte sie.
An der anschließenden Diskussionsrunde war neben Heiden und weiteren Fachleuten auch der hessische Wirtschaftsminister Hessen, Tarek Al-Wazir, beteiligt. „Auf dem Weg in eine nachhaltige Industrie müssen wir schneller werden, das gilt auch für das Thema Skalierung. Das erfordert auf EU-Ebene und auf nationaler Ebene ein stärker ressortübergreifendes Zusammenspiel“, sagte er und betonte zugleich den Stellenwert der Bioökonomie in Hessen.
In der Debatte über Konzepte wie Kaskadennutzung und Kreislaufwirtschaft lenkte Steffi Ober vom NABU den Blick auf die Nationale Biomassestrategie, die derzeit erarbeitet wird. Die Frage sei, wie man das Leitprinzip „Food first“ auch absichere und eine nachhaltige stoffliche Nutzung anstelle einer energetischen Nutzung fördere. „Die Finanzwelt hat die Kreislaufwirtschaft noch nicht verstanden“, sagte sie. Hier müsse viel mehr privates Kapital einfließen. Bioökonomie-Kenner Christian Patermann machte sich dafür stark, institutionelle regulatorische Hindernisse zu erkennen und abzumildern. „Das Thema biobasierte Kreislaufwirtschaft muss noch stärker in den Fokus rücken“, sagte er.
Zwei Innovationspreise mit Bioökonomie-Relevanz
Ein Highlight der Biotechnologietage ist traditionell die Verleihung des Innovationspreises der Bioregionen, hier werden mit Patenten unterlegte, hochinnovative Entwicklungen aus den Life Sciences in Deutschland gewürdigt. Zu den diesjährigen Gewinnern zählt das Team BioThrust um Patrick Bongartz von der RWTH Aachen. Es hat einen Membranrührer entwickelt, mit dem zum weltweit ersten Mal Organismen und Zellkulturen in einem Bioreaktor blasenfrei mit ausreichend Gas versorgt werden können. Ein weiterer Gewinner ist das Team LigniLabs um Frederik Wurm aus Wiesbaden. Die Technologie besteht aus Lignin-Kaspeln, die ein Fungizid enthalten und in Rebstöcke injiziert werden können. Somit lässt sich die weltweit auftretende Pilz-Erkrankung „Esca“ präventiv und kurativ bekämpfen, die jährlich Milliardenschäden im Weinbau verursacht.
Die nächste Ausgabe der Biotechnologietage rückt dann wieder näher an die Bundespolitik: Am 16. und 17. April 2024 trifft sich die Branche erstmals seit sechs Jahren wieder in Berlin.
pg