Der Agrarökonom
Matin QaimBeruf:
promovierter Agrarökonom
Position:
Professor für Welternährungswirtschaft und Rurale Entwicklung an der Universität Göttingen
Beruf:
promovierter Agrarökonom
Position:
Professor für Welternährungswirtschaft und Rurale Entwicklung an der Universität Göttingen
Der Göttinger Agrarökonom Matin Qaim erforscht, welche technischen und strukturellen Veränderungen in der Landwirtschaft die Ernährung des Menschen verbessern und wie sie zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen können.
Nahrungsmittel, Futtermittel, Rohstoff und Einkommensquelle auf der einen Seite, Umweltschäden, Gesundheitsprobleme und Armutsfalle auf der anderen Seite: Es gibt wohl wenige Bereiche der Gesellschaft, die so stark sowohl mit Lösungen wie Problemen assoziiert sind, wie die Landwirtschaft. Matin Qaim kommt nicht vom Bauernhof, und doch war für ihn schon als Jugendlicher klar, dass er Agrarwissenschaften studieren würde. Heute ist Qaim einer der renommiertesten deutschen Professoren auf den Gebieten Agrarökonomie und ländliche Entwicklung.
Durch Chancen und Neugier Forscher geworden
„Mein Ziel war immer die Arbeit in der Entwicklungspolitik“, erinnert sich der 49-Jährige. Weil er häufiger seinen Vater begleitete, der als Wissenschaftler viel in der Welt herumreiste, war Qaim früh mit anderen Kulturkreisen und Lebenssituationen konfrontiert: „Ich fand es spannend darüber nachzudenken, was die dortigen Lebenssituationen verbessern kann. Das Studium der Agrarwissenschaften war dafür genau der richtige Fokus“, erläutert er mit Blick auf Themen wie Armut und Hunger. Selbst zu Zeiten seiner Promotion in Agrarökonomie an der Universität Bonn sei es nicht sein Ziel gewesen, in der Wissenschaft zu bleiben. „Ich wollte in die praktische oder politische Entwicklungsarbeit.“ Dass er dann „aufgrund interessanter Chancen gepaart mit einer guten Portion Neugier“ doch die akademische Laufbahn einschlug, hat am Ende vielleicht mehr bewirkt.
Der Agrarökonom hat schon früh Technologie, fachliche Praxis und ökonomische Rahmenbedingungen zusammengedacht. In seiner Diplomarbeit befasste er sich mit der beduinischen Landwirtschaft in Ägypten. Seine Promotion fiel dann in die Frühzeit der Kommerzialisierung gentechnisch veränderter Pflanzen: „Ich stand Bio- und Gentechnik zunächst skeptisch gegenüber und war zu Beginn meiner Forschung nicht der Auffassung, dass sie ein besonderes Potenzial für Kleinbauern und Entwicklungsländer haben.“
In seiner Promotion habe er aufzeigen wollen, dass Gentechnik für die Ärmsten der Armen eher problematisch sei – doch dann habe sich seine Einschätzung durch die eigene Forschung gewandelt. Damals analysierte er, welche Folgen die zu dieser Zeit in der Entwicklung befindlichen Technologien – darunter eben auch die Gentechnik – für Kleinbauern in Mexiko und Kenia haben würden. Nach der Promotion führte der Weg Qaim für zwei Jahre in die USA, bevor er mit nur 33 Jahren habilitierte und als Professor für Internationalen Agrarhandel und Welternährung an die Universität Hohenheim in Stuttgart berufen wurde.
Kontroverse Themen wie den „Goldenen Reis“ untersucht
Anfangs blieb der Agrarökonom am Thema Gentechnik hängen, auch wegen der vielen Kontroversen, die es dazu gab, und befasste sich unter anderem auch mit dem „Goldenen Reis“. Dahinter verbirgt sich eine gentechnisch veränderte Pflanze, deren Körner das Provitamin A enthalten und so insbesondere in Asien einen verbreiteten Vitamin-A-Mangel reduzieren können.
„Die Entwicklung des Goldenen Reises durch Ingo Potrykus und Peter Beyer war Ende der 1990er Jahre ein wissenschaftlicher Durchbruch, den Pflanzenzüchter damals nicht für möglich gehalten hatten“, blickt Qaim zurück. Allerdings seien verfrüht Versprechungen gemacht worden, und auch die mediale Aufmerksamkeit habe verfrühte Erwartungen geweckt. Von einer in der Praxis nutzbaren Sorte sei man in den 1990er-Jahren noch weit entfernt gewesen. Nicht zuletzt habe die Gentechnikindustrie, die da bereits Gegenwind spürte, das Projekt für ihre politischen Zwecke instrumentalisiert.
Dass es dann sogar 20 Jahre gedauert hat, bis heute in Bangladesch und auf den Philippinen die weltweit ersten Zulassungen für Goldenen Reis bevorstehen, habe unter anderem an strikten Regularien für die Forschung an gentechnisch veränderten Pflanzen gelegen, aber auch daran, dass Gegner den Fortschritt immer wieder verhindert und Feldversuche zerstört haben. „Viele Gegner haben den Goldenen Reis bekämpft, weil er ihre Argumente widerlegte, dass Gentechnik nur reichen Ländern helfe und immer profitgetrieben sei“, sagt Qaim.
Einzelne Technik nie Allheilmittel
Der Forscher warnt jedoch vor Technologiegläubigkeit: „Man darf von einer einzelnen Technologie nicht die Überwindung des Hungers erwarten, dafür ist das Problem zu komplex. Aber das heißt nicht, dass die Technologie keine Rolle spielt.“ So hätten seine eigenen Studien ergeben, dass der Goldene Reis etwa 60% des Vitamin-A-Mangels reduzieren könne. „Das macht ihn nicht zum Allheilmittel, aber 60% sind schon ein ganz erheblicher Beitrag“, findet Qaim.
Auch für die umstrittene gentechnische Bt-Baumwolle, die über ein artfremdes Gen verfügt, das die Pflanze vor bestimmten Schadinsekten schützt, zieht Qaim ein positives Fazit: „Kleinbauern, die Bt-Baumwolle anbauen, erzielen ein deutlich höheres Einkommen, weil sie weniger Schädlingsverluste haben und weniger Insektizide spritzen müssen.“ Ernsthafte Resistenzprobleme hätten die eigenen Daten innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren damals nicht gezeigt, und auch heute werde in Ländern wie Indien, China und Pakistan auf über 90% der Felder Bt-Baumwolle erfolgreich angebaut.
„Natürlich muss man das vernünftig managen“, betont der Forscher, und weist darauf hin, dass an einigen Standorten durchaus auch Resistenzen aufgetreten sind, im Gegenzug aber auch die Technologie weiterentwickelt werde und inzwischen ein weiteres Bt-Gen dem entgegenwirke. „Bei der Schädlingsbekämpfung muss man mögliche Resistenzen immer im Auge behalten – das ist kein Spezifikum, welches nur für die Gentechnik gilt.“
Matin Qaim hält eine Dankesrede für die Fellow-Auszeichnung im Sommer 2019 durch die American Agricultural and Applied Economic Association (AAEA).
Was hilft der Welternährung am meisten?
Heute widmet sich Qaim mit seiner Arbeitsgruppe im Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung an der Universität Göttingen vor allem der Frage, welche Art von Landwirtschaft die Ernährungssituation am besten verbessern kann. „Unterernährten Menschen fehlen viel häufiger Mikronährstoffe als Kalorien“, weiß der Forscher. Den Ansatz, dass ein diverser Anbau zu einer diversen und besseren Ernährung führt, teile er jedoch nur teilweise. Das verstärke bei Kleinbauern eher die Subsistenzausrichtung und könne obendrein wenn überhaupt nur saisonal die Verfügbarkeit verbessern. „Unsere Daten zeigen, dass eine vernünftige Marktanbindung für den Einkauf und Verkauf einen größeren Effekt auf die Vielfalt der Ernährung hat als ein sehr diversifizierter Anbau auf dem eigenen Betrieb“, berichtet der Agrarökonom.
Wenn die Straße zum mehrere Stunden entfernten nächsten Markt aber aus Schlaglöchern bestehe und Teile des Jahres gar nicht nutzbar sei, könne der Markt nicht funktionieren. „Dort muss man ansetzen.“ Oft seien es ganz einfache Faktoren, die die Ernährungssituation verbessern könnten – wie eben eine bessere Infrastruktur im physischen Sinn. Oft werde zudem nicht nur zu wenig, sondern auch falsch investiert: „Subventionen für Düngemittel sind bei Politikern in Afrika beliebt, helfen aber meist nur den ohnehin reicheren mittleren und großen Betrieben.“
Ein zweiter Schwerpunkt der aktuellen Arbeit von Qaim ist der Blick auf die gesamte Wertschöpfungskette, insbesondere die Modernisierung des Lebensmitteleinzelhandels in Entwicklungsländern. „Wir erleben eine rasante Ausbreitung von Supermärkten, die sowohl das Kauf- und Ernährungsverhalten der Verbraucher als auch die Organisation der Wertschöpfungskette verändern.“ Eine wichtige Frage laute: Was bedeutet die Ausbreitung der Supermärkte für Kleinbauern auf dem Land und für Konsumenten in den Städten? Zwei wesentliche Befunde: Vor allem die Kinderernährung verbessert sich im Bereich der Mikronährstoffe und Kleinwuchs nimmt ab. Bei den Erwachsenen allerdings tritt Übergewicht mit den damit verbundenen Gesundheitsproblemen nun häufiger auf.
Hohe Auszeichnung für Forschungsleistungen
Wie wichtig die Erkenntnisse sind, die Qaim im Laufe der Jahre erforscht hat, zeigen die zahlreichen Auszeichnungen, die der Agrarökonom erhalten hat. So wurde er in diesem Jahr von der American Agricultural & Applied Economics Association zum Fellow ernannt, als erster Deutscher. „Seit 1957 werden jedes Jahr nur sehr wenige als Fellow geehrt. Die Liste der über 50-jährigen Historie umfasst das Who-is-who der Agrarökonomie“, freut sich Qaim. Zu den Ehrungen, die ihm besonders wichtig sind, zählt außerdem die Aufnahme in die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina im vergangenen Jahr. Bis 2017 war dort kein Agrarökonom Mitglied. „Das zeigt, dass unsere Disziplin zunehmend als gesellschaftlich relevant wahrgenommen wird.“
Das sei auch nötig, wie er findet, denn die Ernährung des Menschen berühre viele der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung – Armut, Hunger, Gesundheit, Klima, … „Ein Drittel aller Gesundheitsprobleme hängen mit der Ernährung zusammen“, betont Qaim. Böden und Pflanzen würden zunehmend für andere Zwecke als die Ernährung benötigt, und der Agrarsektor sei für ein Viertel der Treibhausgase verantwortlich. „Die Arbeit an den Grenzen der Disziplinen wird wichtiger“, resümiert der Forscher, der auch in seiner Freizeit liest, „was im weitesten Sinne neue Perspektiven auf meine Forschungsarbeit eröffnet“ - gerne auch von Leuten mit anderen Ansichten, um deren Argumente besser zu verstehen.
Aufruf an die Politik
„Wir müssen unseren Lebensstil umstellen, bewusster konsumieren, mehr recyclen und externe Effekte einpreisen“, blickt Qaim über den Tellerrand. Die Fragen der Nachhaltigkeit beschäftigen ihn auch in Gesprächen mit Frau und Töchtern: „Wir versuchen, unseren privaten Umwelt- und Klimafußabdruck gering zu halten.“ Manchmal müsse er allerdings auch Dinge geraderücken, wenn die Kinder aus der Schule mit unzureichend differenzierten Informationen heimkehrten. Nach drei Jahrzehnten in der Wissenschaft zieht der Agrarökonom Qaim jedenfalls ein klares Fazit: „Die Probleme sind bekannt. Es sind lösbare Probleme. Die Wissenschaft spielt eine wichtige Rolle, aber die Politik muss handeln!“
Autor: Björn Lohmann