Ernährung
Die Ernährungsindustrie nimmt in der Bioökonomie eine herausragende Stellung ein. Agrarrohstoffe aus der Landwirtschaft werden zu Lebensmitteln und Futtermitteln verarbeitet. Ressourcenschonende Technologien helfen dabei, gesunde, hochwertige und sichere Produkte zu erzeugen. Aber auch für die Lagerung, Konservierung und den Transport von Nahrungsmitteln stellt die biobasierte Wirtschaft innovative Verfahren zur Verfügung.
DATEN UND FAKTEN
Unternehmen:
6.119
Mitarbeiter:
608.550
Umsatz:
179,6 Mrd. Euro
(Quelle: BVE-Jahresbericht 2019)
Beispiele aus der Bioökonomie:
Vitamine, Aromen und Aminosäuren, Lupineneis, funktionelle Lebensmittel
Die Ernährungsindustrie nimmt in der Bioökonomie eine herausragende Stellung ein. hier werden Agrarrohstoffe aus der Landwirtschaft zu Lebensmitteln und Futtermitteln verarbeitet. Ressourcenschonende Technologien helfen dabei, gesunde, hochwertige und sichere Produkte zu erzeugen. Aber auch für die Lagerung, Konservierung und den Transport von Nahrungsmitteln stellt die biobasierte Wirtschaft innovative Verfahren zur Verfügung.
Mit rund fast 6.000 Unternehmen und 570.000 Beschäftigten gehört die Ernährungsindustrie zu den größten Industriezweigen in Deutschland. Der Gesamtumsatz lag nach Angaben der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungswirtschaft (BVE) im Jahr 2015 bei fast 170 Mrd. Euro, ein europäischer Spitzenwert. Die Branche ist besonders stark durch kleine und mittelständische Unternehmen geprägt, 95% der Branchenunternehmen haben weniger als 250 Beschäftigte. Darunter finden sich viele traditionsreiche Familienunternehmen und international erfolgreiche Hersteller deutscher Spezialitäten, die eng mit ihrem Standort verbunden sind. Wichtige Teilbranchen der Ernährungsindustrie sind die Fleisch- und Fleischwarenindustrie, die Milchwirtschaft, die Süß- und Backwarenindustrie, die Herstellung von nicht-alkoholischen und alkoholischen Getränken oder auch die Verarbeitung von Obst- und Gemüse. Dies spiegelt sich auch in der großen Vielfalt an Produkten wider – mehr als 170.000 Lebensmittelprodukte sind aktuell auf dem Markt.
Für die Bioökonomie ist der Ernährungssektor ein wichtiges Standbein – rund 80% der Agrarproduktion in Deutschland werden von der Ernährungsindustrie zu hochwertigen Lebensmitteln verarbeitet (vgl. Land- und Forstwirtschaft). Neuartige Verfahren zur Herstellung wertvoller Inhaltsstoffe leisten zudem einen wichtigen Beitrag, um Lebensmittel gesünder und sicherer zu machen. Ressourcenschonende Verfahren liefern neue, nachhaltigere Verpackungsformen und -materialien. Zunehmend wichtiger werden zudem Strategien, die Abfallprodukte aus der Ernährungs- und Futtermittelindustrie weiterverwerten. Die Ernährungsindustrie ist damit im Konzept der Kreislaufwirtschaft nicht nur Verwerter von Agrarrohstoffen, sondern kann künftig selbst vermehrt zum Rohstofflieferanten werden – etwa für die Chemieindustrie (vgl. Chemie).
Der Griff in die Werkzeugkiste der Natur ist für die Lebensmittelzubereitung kein neues Phänomen, schließlich wird unter Zuhilfenahme der Bäckerhefe Saccharomyces cerevesiae seit Jahrtausenden Bier gebraut und Wein hergestellt. Aber auch bei Käse handelt es sich um ein traditionell biobasiertes Produkt. Damit Milch tatsächlich zu Käse wird, muss der Eiweißanteil der Milch gerinnen, wofür das Labenzym zuständig ist. Dieses wurde früher aus Kälbermägen gewonnen. Dank moderner biotechnologischer Verfahren übernehmen heute maßgeschneiderte Mikroorganismen in großen Stahlbehältern die industrielle Produktion dieser nützlichen Moleküle, die aus der Käseherstellung nicht mehr wegzudenken sind.
Biotechnologen sind auch dafür verantwortlich, dass viele Lebensmittel heutzutage Enzyme als natürliche Biokatalysatoren enthalten. Seit den 60er Jahren haben sich mikrobielle Verfahren in Fermentern als Standard bei der Herstellung von Enzymen etabliert . Rund 50 unterschiedliche Industrieenzyme sind derzeit in der Ernährungsindustrie im Einsatz. Rund 30 Biotechnologie-Firmen in Deutschland – alles kleine und mittlere Unternehmen (KMU) – sind darauf spezialisiert, entsprechende Herstellungsverfahren zu entwickeln und aufzubauen. Einige von ihnen wurden bei der Technologieentwicklung mit Fördermitteln des BMBF und des Bundeswirtschaftsministeriums unterstützt.
Brötchen: frisch aus dem Ofen
Für Hersteller von Ernährungsprodukten sind Enzyme ressourcenschonende Multitalente, da sie auch unter milden Bedingungen ihre Arbeit verrichten. In der Backindustrie sorgen spezielle Enzyme für eine schöne und stabile Brotkruste. Andere Enzyme in Backmischungen helfen dabei, dem Teig Volumen und Farbe zu verleihen. Das inzwischen weit verbreitete Aufbacken von vorproduzierten Teig-Rohlingen wäre ohne solche Enzyme gar nicht möglich. Andere Rohstoffe lassen sich durch Enzyme ernährungsphysiologisch aufwerten und effizienter nutzen.
So helfen Pektinasen dabei, die pflanzliche Zellwand beim Auspressen von Obst abzubauen und damit die Saftausbeute zu erhöhen. Zudem bauen sie Trübstoffe in Fruchtsäften ab. Andere biologische Prozesse wie die Milchsäuregärung helfen beim Vorverdauen von Futter und Lebensmitteln, wie beispielsweise bei der Herstellung von Sauerkraut oder die Silage im Tierfutter. Auch die Lactase ist ein wichtiges Enzym in der Ernährungswirtschaft: Sie sorgt für die Spaltung des Milchzuckers Lactose. Das Enzym wird in Form von Tabletten und Kapseln angeboten, damit Menschen mit Lactoseintole-ranz Milchprodukte zu sich nehmen können.
Muttermilch ist von Natur aus die ideale Nahrung für Säuglinge. Sie enthält neben Nährstoffen auch einen reichhaltigen Mix an natürlichen Gesundmachern. Dazu zählen humane Milchzucker. Diese komplex aufgebauten Mehrfachzucker unterstützen bei Neugeborenen die Entwicklung einer gesunden Darmflora und schützen die Neugeborenen vor Infektionen mit Krankheitserregern. Mediziner vermuten, dass die Zuckermoleküle in den Magendarmtrakt gelangte Viren oder Bakterien „abfangen“, bevor sie Zellen der Säuglinge attackieren können. Vor diesem Hintergrund empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation das Stillen von Babys bis zum sechsten Monat. Wo dies nicht möglich ist, gibt es Säuglingsnahrung als Alternative. Hersteller von solchen Produkten sind stets daran interessiert, sie noch besser zu machen. So haben Forscher von der Jennewein Biotechnologie GmbH aus Rheinbreitbach ein Verfahren entwickelt, mit dem sich menschliche Zuckermoleküle biotechnisch herstellen lassen. Zu Mini-Fabriken umgewandelte Mikroben produzieren hierbei Fucosyllactose – ein Zuckermolekül, das in natürlicher Muttermilch vorkommt.
Enzymatische und fermentative Verfahren sind vielfach auch die Basis, um natürliche Aromastoffe herzustellen. So werden zahlreiche Geschmacksstoffe mit Hilfe von Mikroorganismen produziert. Erdbeeraroma wird beispielsweise mittels Pilzen gewonnen, die auf Sägespänen wachsen. Aus Hefen wird Pfirsicharoma extrahiert. Der erste Lebensmittelzusatzstoff, der in großem Maßstab biotechnologisch hergestellt wurde, ist Zitronensäure. Während diese Substanz früher aus Zitrusfrüchten gewonnen wurde, stammt mittlerweile die gesamte Weltproduktion in Höhe von einer Milliarde Tonnen aus einem Verfahren, für das der Schimmelpilz Aspergillus niger genutzt wird. Zitronensäure steckt nicht nur in Limonaden, sondern überall dort, wo ein saurer Geschmack gebraucht wird. Eine weitere wichtige Gruppe an Nahrungsergänzungsmitteln wird ebenfalls biotechnologisch produziert: Aminosäuren. Es gibt rund 20 Aminosäuren, sie bilden die Grundbausteine, aus denen Eiweiße bestehen. Manche Aminosäuren sorgen für einen süßen Geschmack, manche duften nach Orangen, andere nach Zitronen. Die Salze der Glutaminsäure (Glutamat) wiederum werden als Geschmacksverstärker eingesetzt, und zwar nicht nur in der asiatischen Küche. Glutaminsäure wird mit Hilfe des Bakteriums Corynebacterium glutamicum im Industriemaßstab produziert. Essentielle Aminosäuren wie Lysin, Threonin und Methionin haben zudem eine große Bedeutung als Futtermittelzusatz. Weltweit werden inzwischen pro Jahr mehr als eine Milliarde Tonnen Lysin für die Futtermittelindustrie produziert. Mit chemischen Verfahren ließen sich diese großen Mengen nur mit einem sehr großen Aufwand bewältigen. In der Praxis kommen deshalb auch hier eigens umprogrammierte Bakterien als Zellfabriken zum Einsatz. Zu den großen Herstellern von Aminosäuren für Futtermittel gehört Evonik. Der Spezialchemiekonzern mit Hauptsitz in Essen stellt die vier essentiellen Aminosäuren Methionin, Threonin, Tryptophan sowie Lysin her und baut seine Kapazitäten weltweit deutlich aus. Für die biotechnologisch gewonnene Aminosäure L-Lysin strebt Evonik eine Jahrsproduktion von mehr als 500.000 Tonnen an.
Einen noch größeren Markt stellen enzymatisch produzierte Kohlenhydrate wie Glucose oder Fructose dar, die als Zuckerersatzstoffe genutzt werden. Glucose lässt sich aus pflanzlicher Stärke durch enzymatische Spaltung gewinnen. Ein Trend geht zudem hin zu Süßungsmitteln, die weniger kalorienreich sind und damit weniger Zivilisationskrankheiten wie Fettleibigkeit auslösen. Gefragt sind Substanzen, die zwar süß schmecken, aber keinen Zucker enthalten. Eine solche Alternative ist ein Extrakt der Tropenpflanze Stevia rebaudia, mit dem bereits heute Nahrungsmittel und Getränke kalorienneutral gesüßt werden können.
Stevia-Pflanze: Alternative zu herkömmlichen Zucker
Die sogenannten Stevia-Glycoside besitzen fast die 200fache Süßkraft von herkömmlichem Zucker. Derzeit wird versucht, die Herstellung der Stevia-Süßstoffe durch biotechnologische Verfahren zu ermöglichen. Mit Hilfe von Hefezellen können die einzelnen Komponenten des Stevia-Süßstoffes in hoher Reinheit getrennt voneinander kontrolliert hergestellt werden. Der Nahrungsmittelindustrie bietet sich damit die Chance, den Stevia-Geschmack je nach Anwendung zu variieren und neue Einsatzgebiete für den Süßstoff zu finden.
Ein weiterer Trend in der Nahrungsmittelbranche, bei dem biobasierte Verfahren nützlich sein können, sind funktionelle Lebensmittel: Dabei handelt es sich um Produkte, die durch besondere bioaktive Inhaltsstoffe einen positiven, vor allem vorbeugenden Einfluss auf die Gesundheit haben. Als funktionelle Zutaten gelten zum Beispiel präbiotische Substanzen, zu denen spezielle Ballaststoffe gehören, die sich positiv auf die Darmflora auswirken. Probiotische Milchprodukte wiederum enthalten speziell gezüchtete und lebende Bakterienstämme, die über die Nahrung eingenommen das Gleichgewicht der Darmflora verbessern helfen. Damit Lebensmittelhersteller aber mit gesundheitsbezogenen Aussagen auf ihren Produkten werben können, müssen sie gemäß der Health Claims-Verordnung der EU den wissenschaftlichen Nachweis für die Wirksamkeit erbringen, ein aufwendiges und kompliziertes Prozedere. Auch bestimmte sekundäre Pflanzenstoffe wie Polyphenole oder Glucosinolate gelten als Kandidaten für gesundheitsfördernde Inhaltsstoffe. So können sie unter anderem das Risiko für Krebserkrankungen vermindern, den Blutdruck regulieren, den Blutcholesterinspiegel senken oder das Immunsystem stärken. Darüber hinaus können sie antibakteriell, antiviral und entzündungshemmend wirken.
Um die heimische Landwirtschaft nachhaltiger zu gestalten und gleichzeitig den Verbrauch von tierischen Eiweißen zu senken, rücken alternative Proteinquellen ins Blickfeld der Ernährungswirtschaft. Zu den markantesten Eiweißpflanzen hierzulande zählt die Lupine, ihr Samen hat einen Eiweißgehalt von 35%. Der hohe Anteil an Bitterstoffen verhinderte bisher jedoch einen Einsatz in der Lebensmittelindustrie. Mit der Blauen Süßlupine Lupinus angustifolius fanden Forscher vor Jahrzehnten jedoch eine Sorte, die wenig Alkaloide enthält und gegen viele Krankheiten resistent ist. Zudem ist die Hülsenfrucht ziemlich anspruchslos und gedeiht besonders in Norddeutschland sehr gut. Als Stickstoffsammler ist die Lupine ein Bodenverbesserer und muss nicht gedüngt werden. Um die Marktchancen von innovativen Lupinenprotein-Produkten auszuloten, hat das BMBF den regionalen Wachstumskern „PlantsProFood – Lebensmittel aus Blauen Süßlupinen“ in Mecklenburg-Vorpommern unterstützt. Partner dieser Innovations-Initiative waren zehn Unternehmen und vier Forschungseinrichtungen im Raum Rostock. Darunter auch Forscher vom Fraunhofer-IVV und der Ausgründung ProLupin GmbH in Neubrandenburg, die inzwischen verschiedene Lupinen-basierte Lebensmittel entwickelt hat.
Lupineneis: schmackhafte Eiweißquelle
Das erste kommerzielle Produkt ist ein Speiseeis, das in Supermärkten erhältlich ist. Neben Lupinen-Proteinen enthält es Rapsöl, weitere pflanzliche Inhaltsstoffe sowie mehrfach ungesättigte Fettsäuren. Es ist sowohl für Vegetarier als auch für Allergiker interessant. Die Lupinenproteine wurden zudem in einer pflanzlichen Leberwurst verarbeitet, in der sie das Fett ersetzen: Von 30% Fettgehalt bei einer normalen Leberwurst bleiben in der Lupinenwurst nur noch 5%. Vom BMEL wird ein Verbundprojekt unterstützt, in dem erprobt wird, wie sich aus anderen heimischen Leguminosen, wie zum Beispiel Erbse und Ackerbohne, innovative Lebensmittel herstellen lassen.
In der Nahrungsmittelindustrie schlummert auch in Reststoffen noch viel Potential für die Bioökonomie. Zum Beispiel Citrus-Albedo, die innere weiße Gewebeschicht in Zitrusfrüchten. Sie findet als Abfallstoff in der Industrie bislang meist keine weitere Verwendung. Forscher von der Hochschule Ostwestfalen-Lippe wollen daraus ein natürliches Trübungsmittel herstellen. Solche Stoffe werden Limonaden zugesetzt, damit sie nicht ihre Trübung verlieren. Mit mehren Industriepartnern entwickeln die Biotechnologen ein enzymatisches Verfahren, um aus der Albedo-Schicht die geeigneten Bestandteile extrahieren zu können. Jährlich fallen auch in der Backindustrie viele Tonnen an Abfällen an. Forschern vom Leibniz-Institut für Agrartechnik in Potsdam liefern diese Reste wertvolle organische Ressourcen. In einem EU-Projekt wollen sie alte Brötchen dazu nutzen, um daraus Molekülbausteine für Biokunststoffe zu gewinnen, aus denen sich Tüten fertigen lassen. Die Nutzung von Abfällen in der Ernährungsindustrie ist damit in der Kreislaufwirtschaft der Bioökonomie ein Beispiel, wie sich verschiedene Branchen ressourceneffizient vernetzen lassen und damit zu einer höheren Wertschöpfung am Standort Deutschland beitragen können.