Wegbereiter für neue Werkstoffe

Wegbereiter für neue Werkstoffe

Ralf Wehrspohn

Beruf:

Physiker

Position:

Leiter vom Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS in Halle

Ralf Wehrspohn
Vorname
Ralf
Nachname
Wehrspohn

Beruf:

Physiker

Position:

Leiter vom Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS in Halle

Ralf Wehrspohn

Mit 46 Jahren ist Ralf Wehrspohn der jüngste Leiter eines Fraunhofer-Instituts in Deutschland. Seine Vision: die Biografie von Werkstoffen ergründen, um Materialien effizienter zu nutzen und Ressourcen zu schonen.

Dicke Bretter bohren ist nicht jedermanns Sache. Für Ralf B. Wehrspohn scheinen solche Probleme eher Ansporn zu sein. „Gewisse Themen wie die Energie- und Rohstoffwende muss man sehr langfristig angehen. Das klappt nicht von heute auf morgen“, sagt der promovierte Physiker. In Buchholz in der Nordheide aufgewachsen, begeisterte sich Wehrspohn sehr früh für Mathematik und Physik. Als Sohn eines Elektroingenieurs gehörten technische Themen zum Alltag im Elterhaus.

Reaktorunfall verunsichert und motiviert

Mit dem Reaktorunfall 1986 in Tschernobyl wurde das Interesse des technikaffinen Jugendlichen jedoch auf eine neue Spur gebracht. „Tschernobyl hat uns alle sehr verunsichert. Da gab es eine Motivation, sich beruflich in die Richtung zu orientieren“. Die bis dato größte Umweltkatastrophe machte Wehrspohn zum „Überzeugungstäter“. Sein Bewusstsein für Themen wie Nachhaltigkeit und Erneuerbare Energien wurde geschärft und gab seinem Leben den nötigen Impuls.

Nach fünf Jahren Studium der Physik an der Universität Oldenburg ging der 25-Jährige mit einem Einser-Diplom in der Tasche 1995 als Post-Doc an die Ecole Polytechnique nach Paris, wo er zum Thema Photovoltaik promovierte. Von Frankreich ging es weiter nach England. „In Deutschland gab es damals noch keine Arbeit auf dem Gebiet der Photovoltaik. Aber ich wollte mein Wissen umsetzen.“ Der niederländische Elektronikkonzern Philips bot dem jungen Experten 1997 die Chance, in London sein Wissen bei der Entwicklung von Flachbildschirmen einzubringen. Als Philips seine Produktion nach Korea verlagerte, kehrte Wehrspohn nach Deutschland zurück. Zwischen 1999 und 2003 habilitierte er an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zum Thema „Nanophotonische Materialien“.

Über Umwege ans Ziel

Nach einer dreijährigen Professur an die Universität Paderborn zog es Wehrspohn 2006 wieder nach Halle. Hier übernahm der dann 36-Jährige eine Professur am Lehrstuhl für Mikrostrukturiertes Materialdesign an der Martin-Luther-Universität und wurde zugleich zum Leiter des Hallenser Institutsteils des Fraunhofer-Instituts für Werkstoffmechanik IWM, das in Freiburg gegründet wurde. Das Thema Photovoltaik, das dabei vorübergehend in den Hintergrund trat, verlor der Wahl-Hallenser jedoch nie aus dem Blick. „Manchmal muss man eben Umwege gehen, um ans Ziel zurückzukommen“, betont er.

Ritterschlag durch Kanzlerin

Der Ritterschlag seiner Karriere folgte zehn Jahre später. Im Januar dieses Jahres wurde er Chef des neugegründeten Fraunhofer-Instituts für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS, an dessen Konzeption Wehrspohn maßgeblich beteiligt war. „Die Dynamik ist höher, wenn Institutsteile eigene Wege gehen“, ist er überzeugt.

In seinem Institut kann der renommierte Physiker seine Visionen auf dem Feld der Nachhaltigkeit nun weiterverfolgen und umsetzen. Im Fokus steht die Entwicklung nanostrukturierter Materialien und Bauelemente, wie sie in der Mikroelektronik, Sensorik, Photonik oder der Photovoltaik zum Einsatz kommen. Das Ziel: Materialeffizienz und Wirtschaftlichkeit steigern und Ressourcen schonen. Doch die Herausforderungen an die heutigen Werkstoffe sind groß, die Erwartungen an die Forscher somit ebenfalls. „Wir wollen Werkstoffe haben, die recyclebar und langlebig sind und nicht weggeschmissen werden.“

Materialien Biografien geben

Daher will der neue Fraunhofer-IMWS-Chef mit seinem Team bei der Bewertung von Materialien neue Wege gehen. „Das Entscheidende ist, dass wir vom Bedarf her agieren und diese Anforderungen auf die Mikrostruktur des Werkstoffs herunterbrechen“, erklärt Wehrspohn. Er ist überzeugt, dass mit dem genauen Verständnis der Struktur und der Eigenschaft von Materialien auf kleinster Ebene Werkstoffe zuverlässiger und langlebiger gemacht werden können. Damit auch der Schrotthändler um die Ecke weiß, welches Material wiederverwendet werden kann, hat Wehrspohn einen Traum: Eine digitale Werkstoffbiografie. „Jeder Werkstoff hat eine Lebensbiografie. Was hat er erlebt, wo kommt er her, welche Vorschädigungen hat er? Diese Eckdaten wollen wir liefern.“

Visionen werden wahr

Die Werkstoffbiografie gehört zu den Visionen des Physikers, wie einst die Entwicklung der schwarzen Solarzelle, die alle Falbspektren der Sonne absorbiert und komplett in Energie umwandelt. „Ein schönes Schwarz zu machen ist gar nicht so einfach. Aber wir haben es geschafft“, verkündet Wehrspohn nicht ohne Stolz. Die Technologie steht kurz vor der Lizenzierung. Nun geht es darum, die werkstofflichen Eigenschaften der Solarmodule zu ergründen, um deren Lebensdauer zu verlängern. Daneben arbeiten die Forscher am Fraunhofer IMWS auch an neuen biobasierten Dämmstoffen wie aus Leinöl, um die Energieeffizienz von Häusern zu verbessern. 

Mit 46 Jahren hat Ralf Wehrspohn als Leiter des Fraunhofer IMWS in Halle ein entscheidendes Etappenziel erreicht und bewiesen, auch dicke Bretter bohren zu können. „Das Fraunhofer-Institut passt zu meiner Persönlichkeit am besten. Hier kann ich viel ausprobieren“, sagt der vierfache Familienvater. 

Autorin: Beatrix Boldt